Rheinische Post

Frischer Wind bei Thiel und Boerne

In der 42. Folge liefert das Team aus Münster einen erstaunlic­h guten „Tatort“ab.

- VON TOBIAS JOCHHEIM „Tatort – Ein Freund, ein guter Freund“, Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr

MÜNSTER Wer den Münster-„Tatort“kaum erträgt, sei ermutigt, ihm diesmal eine Chance zu geben, obwohl anfangs alles ist wie immer: Der garstige Gerichtsme­diziner Professor Boerne ist verstimmt. „Wieso sehen Sie so gut aus?“, fragt er misstrauis­ch seine Assistenti­n Silke „Alberich“Haller. „Wieso leiden Sie nicht?“Das ungleiche Duo hatte die Nacht zuvor auf demselben champagner­und weinlastig­en sozialen Großereign­is verbracht. „Vielleicht, weil ich so klein bin“, antwortet sie lächelnd. „Ich leide proportion­al.“Boerne widerspric­ht: Das sei doch Unsinn, im Gegenteil, ihr geringeres Volumen müsste doch – ach, egal. „Thiel hat gerade angerufen, es kommt bald Arbeit rein. Bis dahin lautet meine Bitte: Weniger reden, mehr leiden!“

So kennt man die Fälle aus Münster: In gewissen Momenten wirkAlich witzig, aber mehr kommt da oft eben leider auch nicht. Weder inhaltlich noch filmisch.

Diesmal schon. Im Kultbuch „Per Anhalter durch die Galaxis“lautet die Antwort auf die ganz große Fravge „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“schlicht 42. Und diese 42. Episode mit Thiel und Boerne liefert die Antwort auf die Frage, wie man einen guten Film mit Thiel und Boerne macht, anstatt beide zu Karikature­n ihrer selbst zu machen, die bestenfall­s mit Halbgas und schlechten­falls im Halbschlaf dieselben Witze reißen wie immer, weil die Quoten ja sowieso stimmen.

„Ich glaube, die größte Herausford­erung beim ‚Tatort‘ aus Münster ist es, die Balance zwischen Krimi und Komödie zu finden“, sagt die Regisseuri­n

Janis Rebecca Rattenni (39). Dieser Satz hat glänzende Chancen auf eine Auszeichnu­ng als Binsenweis­heit des Jahrzehnts, aber seine Absenderin hat diese Herausford­erung angenommen und bewältigt.

Es geht um einen mächtigen Mafioso und dessen abgewrackt­e Anwälte. Und in einem zweiten Handlungss­trang um Boernes Anwalt und Jugendfreu­nd Friedhelm Fabian (wie immer gern gesehen: Jan Georg Schütte) sowie dessen elegante Frau Veronika (Proschat Madani). Keine wichtige Figur driftet schlimmer ins Klischee ab als gesollt, selbst der zwischenze­itlich zum CartoonCha­rakter abgestiege­ne Boerne

zeigt sich ungewohnt menschlich. Der Fall wird so intensiv, dass die Sätze fallen: „Jeder hat irgendwo ‘ne Kneifzange in der Schublade, und notfalls tut’s auch ein Zahnstoche­r. Beim Foltern geht’s nicht um Mittel und Wege – beim Foltern zählt einzig und allein der Wille!“Das ist witzig, gruselig, und wahr noch dazu.

Weshalb und für wen Fernsehkri­tiker in ihren Texten die Menschen hinter der Kamera aufzählen, wissen sie meist selbst nicht so genau, aber in diesem Fall ist es relevant: Den relativ jungen Machern gebührt Dank, sie lüften beherzt durch in Münster. Der Autor Benjamin Hessler hat noch nicht mal einen Wikipedia-Eintrag,

aber an der mehrfach preisgekrö­nten Clan-Drama-Serie „4 Blocks“mitgeschri­eben. Kameramann Victor Voß und Cutter Steffen Pohl finden zeitgemäße Bilder; auch wenn sie es mit dem Splitscree­n-Effekt arg übertreibe­n. Kein Wunder bei alledem, dass auch die Hauptdarst­eller Liefers, Prahl und Urspruch die nicht selten mal vermisste Spielfreud­e ausstrahle­n.

Falls ab jetzt mehr Münster-„Tatorte“dieser Art kommen, winkt ein neuer Westfälisc­her Frieden zwischen der Reihe und ihren Kritikern.

 ?? FOTO: WDR ?? Janis Rebecca Rattenni (39) spielte von 1994 bis 2004 in „Unter Uns“mit. Als Regisseuri­n fördert sie die Spielfreud­e von Jan Josef Liefers (links, als Pathologe Karl-Friedrich Boerne) und Axel Prahl (als Ermittler Frank Thiel).
FOTO: WDR Janis Rebecca Rattenni (39) spielte von 1994 bis 2004 in „Unter Uns“mit. Als Regisseuri­n fördert sie die Spielfreud­e von Jan Josef Liefers (links, als Pathologe Karl-Friedrich Boerne) und Axel Prahl (als Ermittler Frank Thiel).

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