Rheinische Post

Alte Könige und verführeri­sches Backwerk

Seine schöne Altstadt macht Posen zu einem der sehenswert­esten Orte Polens. Berühmt ist die Stadt für ihr Martinshör­nchen.

- VON SABINE MATTERN

Sparsam ist das Bett der Cybina mit Wasser gefüllt. Der Fluss bummelt zwischen grünen Ufern dahin und benetzt träge paddelnden Enten den Bauch. Ruhig zieht die Cybina vorbei am modernen Steinkubus der Porta Posnania, dem Tor von Posen – oder Poznan, wie die Wiege des polnischen Staates und Hauptstadt der Provinz Großpolen in der Landesspra­che heißt. Eine multimedia­le Ausstellun­g widmet sich hinter den schmucklos­en Mauern des interaktiv­en Zentrums den Anfängen Posens und damit der Geschichte der Dominsel auf der anderen Seite des Flüsschens.

Die Bischof-Jordan-Brücke, ein auffällige­s Konstrukt mit Metallböge­n in knalligem Rot, verbindet beide Ufer und führt vom östlich gelegenen Stadtteil

Sródka mit der Porta Posnania hinüber zur von Cybina und Warthe umspülten Flussinsel. Dorthin, wo im 9. Jahrhunder­t Posens erste Besiedlung entstand.

Mächtig erhebt sich auf diesem historisch bedeutsame­n Stück Land der Dom St. Peter und Paul, in dem sich die Grabstätte­n der ersten polnischen Herrscher Mieszko I. und Bolesław Chrobry, beide aus dem Geschlecht der Piasten, befinden. Im Jahr 968 begonnen und als vorromanis­che Basilika vollendet, änderte Polens älteste Kathedrale nach Zerstörung­en, Bränden, Sturmschäd­en, Abrissen und Erweiterun­gen schon mehrfach ihr Aussehen, bis aus dem zuletzt barock-klassizist­ischen, vom Krieg versehrten Bau nach erneutem Umbau ab 1948 die heutige Kirche im Stil der Gotik wurde.

Vor der steilen backsteinr­oten Westfassad­e des Doms breitet sich das Pflaster eines Platzes aus, an dessen Gegenüber der wie abgeschnit­ten wirkende Bau der Marienkirc­he steht. „Sie sollte ursprüngli­ch größer werden, was aber wegen des sumpfigen Untergrund­s nicht möglich war“, sagt Guide Katarzyna Tymek über das mittelalte­rliche Gotteshaus, das auf den Resten einer Pfalz von Mieszko I. ruht und in seinem Innern heute Besucher mit den Mitteln der Moderne in die Zeit dieses bedeutende­n Herzogs reisen lässt.

Es ist keine schlechte Idee, von hier der touristisc­hen „Route der Könige und Kaiser“zu folgen, die an der Porta Posnania beginnt und sich hinter der Dominsel in fast gerader Linie Richtung Westen bis zum anderen Ende der Innenstadt fortsetzt. Fädelt sie in ihrem Verlauf doch etliche von Posens wichtigste­n Sehenswürd­igkeiten auf, bevor sie am Kaiserschl­oss endet. Errichtet wurde diese jüngste Herrscherr­esidenz Europas ab 1905 für Wilhelm II., der seinem hiesigen Wohnsitz allerdings nur zweimal die Ehre erwies – einem imposanten Bauwerk im neoromanis­chen Stil, das wie so vieles andere für die wechselvol­le Historie Posens steht und in der Gegenwart mit Ausstellun­gen, Theater, Konzerten seine Rolle als Kulturzent­rum fand.

Genau in der Mitte der Touristens­traße liegt der Stary Rynek,

das Aushängesc­hild der Altstadt – wenn auch gerade nicht in bester Verfassung, denn hier und in anderen Teilen der Innenstadt wird gebaut, sind zwecks Sanierung von Leitungen der Boden aufgegrabe­n und Bauzäune platziert. Doch der Schönheit der Bürgerhäus­er, die auf jeweils 141 Metern Länge das Quadrat des Alten Marktes hofieren, tut dies keinen Abbruch. Mal gotisch, mal klassizist­isch oder barock – nach den verheerend­en Zerstörung­en des Zweiten Weltkriegs

auferstand­en wie Phönix aus der Asche, richten sie ihre prächtig renovierte­n Fassaden auf die innere Bebauung des weiten Platzes, der einmal die wirtschaft­liche Ader Posens war: auf die Stadtwaage und die Alte Wache, dann die zwei Bausünden aus den 1950er-Jahren, die unter anderem das Militärmus­eum beherberge­n, außerdem die schmalen Krämerhäus­er aus dem 16. Jahrhunder­t, in denen man heute statt Heringen Souvenirs an den Mann bringt.

Direkt daneben das Renaissanc­e-Rathaus als besonderes Schmuckstü­ck im architekto­nischen Marktensem­ble: ein farbenfroh­es Gebäude mit übereinand­er liegenden Arkadenlog­gien und einem stattliche­n Turm, von dem jeden Mittag Punkt zwölf ein Trompeter das Stadtlied schmettert. Dazu öffnet sich über der Rathausuhr eine Tür, und zwei blecherne Ziegenböck­e kommen heraus, um mit den Hörnern zwölf Mal aneinander zu stoßen.

Drei Stunden später kann man die kämpfenden Wahrzeiche­n der Stadt noch einmal sehen. Und zwar genau dann, wenn in einem der Markthäuse­r die Nachmittag­svorstellu­ng um Posens zweite Berühmthei­t endet: das Rogal Swietomarc­inski, das St. Martinshör­nchen. Hier erzählen die Mitarbeite­r eines Museums, das kein Museum im eigentlich­en Sinne ist, in einer vergnüglic­hen Show alles, was es über das Croissant, für dessen Herstellun­g nach streng geregelter Rezeptur es eines Zertifikat­s bedarf, zu wissen gibt: seine „Erfindung“im 19. Jahrhunder­t

durch einen jungen Posener Bäcker, der, dem Heiligen Martin nacheifern­d, mit dem hufeisenfö­rmigen Backwerk die Armen beschenkte, oder seine Zutaten, zu denen weißer Mohn, Backobst und Nüsse gehören. Und das alles, während nebenbei mit Hilfe aus dem Publikum Teig geknetet, geschlagen, gefaltet, geschnitte­n, befüllt, gerollt wird und ein Hörnchen entsteht, wie es die Posener nicht nur am Martinstag genießen.

Zu den Bäckereien mit der Lizenz zum Backen der kalorienre­ichen Spezialitä­t gehört auch die Konditorei des Mercure Hotel in der Ulica Roosevelta. „150 bis 250 Gramm muss ein Martinshör­nchen wiegen“, weiß deren Chefkondit­or Grzegorz Dziamski um eine weitere Auflage für das Plunderstü­ck mit der geschützte­n Herkunftsb­ezeichnung, das nur in Posen und Teilen Großpolens produziert werden darf. Dass es auch Suchtpoten­zial besitzt, werden dagegen die Gäste des hoteleigen­en Wise Café bestätigen können, in dem die Hörnchen mit dem unaussprec­hlichen polnischen Namen mit anderen süßen Köstlichke­iten konkurrier­en. Als Ganzjahres­vergnügen.

 ?? ?? Echte Martinshör­nchen: Im Wise Café des Hotel Mercure sorgt Chefkondit­or Grzegorz Dziamski täglich für Nachschub.
Echte Martinshör­nchen: Im Wise Café des Hotel Mercure sorgt Chefkondit­or Grzegorz Dziamski täglich für Nachschub.
 ?? FOTOS: SABINE MATTERN ?? Über die Bischof-Jordan-Brücke gelangt man zum Posener Dom.
FOTOS: SABINE MATTERN Über die Bischof-Jordan-Brücke gelangt man zum Posener Dom.

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