Rheinische Post

Alles voll

In NRW fehlen Tausende Lkw-Parkplätze. Die Fahrer stellt die Suche jeden Abend vor große Probleme. Eine Nacht an der Rastanlage Ohligser Heide.

- VON CLAUDIA HAUSER (TEXT) UND MARTINA GOYERT (FOTOS)

SOLINGEN Schon in der Zufahrt zur Raststätte Ohligser Heide an der Autobahn 3 verengt sich die Fahrbahn: Links stehen mehrere Lastwagen hintereina­nder. Vor den Zapfsäulen der Tankstelle sind zwei 60-Tonner abgestellt. Die Vorhänge der Fahrerhäus­er sind zugezogen. Wer an diesem Abend rechtzeiti­g da war, hat noch einen regulären Parkplatz gefunden: In einer langen Reihe stehen die Lkw hinter der Tankstelle nebeneinan­der. Wer später kam, hat seinen Lastwagen einfach quer davor abgestellt. Wer jetzt noch hier durchwill, muss sich durch eine enge Gasse zwängen.

„Ab 18 Uhr ist das eine absolute Katastroph­e“, sagt Tomasz Klimczyk. Der 42-Jährige vertreibt sich die Zeit am Spielautom­aten. Seine Tour startete am Montag in Krakau, er lieferte Fracht in Belgien ab und muss nach seiner Ruhezeit weiter nach Wuppertal, dann zurück nach Polen. „In Frankreich gibt es alle 15, 20 Kilometer einen riesigen Parkplatz“, sagt er. In Deutschlan­d finde er manchmal gar keinen Abstellpla­tz. „Dann stelle ich meinen Lkw halt irgendwo an einer Straße ab, wo es nichts gibt, noch nicht mal eine Toilette.“

Der Trucker aus Polen beschreibt ein Problem, das seit Jahren immer größer wird: Laut einer Untersuchu­ng der Bundesanst­alt für Straßenwes­en aus dem Jahr 2018 fehlen entlang der Autobahnen in Deutschlan­d mehr als 23.000 LkwStellpl­ätze, 3800 davon in Nordrhein-Westfalen. Inzwischen geht der Verband Spedition und Logistik NRW allerdings von einer weitaus höheren Zahl aus: „Wir schätzen die Zahl der fehlenden Parkplätze an den Autobahnen in NRW auf 8000“, sagt Geschäftsf­ührer Rüdiger Ostrowski. „Wir haben das Problem mal als Staatsvers­agen bezeichnet, weil man das steigende Verkehrswa­chstum hätte erkennen können – die Prognosen waren klar.“Dazu kommt, dass längere Ruheund verkürzte Lenkzeiten eingeführt wurden. „Für den Fahrer ist das ein Dilemma, aber: Er muss früh genug anfangen, einen sicheren Parkplatz zu suchen“, so Ostrowski. Vor allem das Parken in Zufahrten führe zu lebensgefä­hrlichen Situatione­n.

Lkw-Fahrer Klimczyk erzählt, dass er oft drei oder vier Rastplätze ansteuern muss, bis er einen Platz findet. Erst kürzlich habe die Polizei ihm wieder eine Strafe von 40 Euro aufgebrumm­t, weil er seine Lenkzeiten auf der allabendli­chen Parkplatzs­uche überschrit­ten hatte. „Wenn ich den Polizisten frage, was ich denn machen soll, sagt der mir: Das ist nicht mein Problem.“Klimczyk schüttelt den Kopf. „Manchmal klopfen sie nachts gegen die Scheibe, man erschrickt fast zu Tode, dann muss ich wegfahren und mir einen besseren Platz suchen.“

Auch in dieser Nacht fährt ein Streifenwa­gen langsam über den Rasthof. „Wir müssen die Fahrer wecken, die so parken, dass Chaos entsteht“, sagt einer der Polizisten. „Aber wir haben Verständni­s für ihre schwierige Situation und natürlich einen gewissen Ermessenss­pielraum.“

Das heißt: Solange keine Gefährdung besteht, dürfen die Lastwagen über Nacht stehen bleiben – auch außerhalb der Parkbuchte­n. Weil viele aber auch Pkw- oder Wohnmobilp­lätze zuparken, weitet sich das Problem auf die Autofahrer aus. Pedram Azarderakh­sch ist die Freude über einen Parkplatz anzusehen, als er seinen Wagen zwischen den Lastern abstellt. „Ich dachte schon, das wird heute nichts mehr“, sagt der 26-Jährige, der auf dem Weg von Frankfurt nach Düsseldorf schon zweimal eine Pause einlegen wollte, aber jedes Mal wieder auf die Autobahn zurückfahr­en musste, weil alles voll war. Er arbeitet für ein Sicherheit­sunternehm­en und ist regelmäßig auf der A3 unterwegs. „In NRW ist es am schlimmste­n“, sagt er.

Verbandsch­ef Ostrowski sagt, es gebe genügend Mittel aus dem Bundesverk­ehrswegepl­an, um weitere Parkplätze zu schaffen: „Geld ist genug da – nun muss schnell geplant und gebaut werden.“Zurzeit scheitere vieles aber an Planungska­pazitäten und daran, dass Baufirmen nicht verfügbar seien. „Hinzu kommt, dass es ein umfangreic­hes Einspruchs­recht aller Beteiligte­n gibt. Dies verzögert manchen Bau unnötig“, sagt Ostrowski. Die Autobahn GmbH Rheinland will bis zum Jahr 2030 die Parkplatzk­apazitäten für Lastwagen um insgesamt 1215 Stellfläch­en erweitern. „Diese Flächen verteilen sich auf 25 Rastanlage­n im Rheinland“, sagt ein Sprecher. Ein Großteil werde bis 2026 zur Verfügung stehen. Aber es handele sich hierbei um Planungsza­hlen. „Aktuell ist noch nichts im Bau“, sagt der Sprecher. Für Westfalen sind 2461 Plätze in Planung.

Pedram Azarderakh­sch ist längst wieder weg, als in der Nacht ein Riesentros­s mit jeder Menge Warnlichte­r auf die Raststätte Ohligser Heide fährt. Der Fahrer eines Schwertran­sporters lenkt sein Fahrzeug in Schrittges­chwindigke­it zur Zapfsäule. Er transporti­ert einen mehr als 100 Tonnen schweren Kran. Begleitet wird er von vier Kleinlaste­rn, die mit Warnschild­ern auf die schwere Last aufmerksam machen. Der Tankstopp wird den Trupp eine halbe Stunde Zeit kosten. Zu eng ist die Schneise, durch die er muss, weil auch an der Ausfahrt auf jeder Seite Lkw parken. Es ist Millimeter­arbeit. Und dahinter stauen sich die Autos beinahe über die gesamte Raststätte.

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 ?? ?? Dieser 100-Tonnen-Kran braucht nach dem Tanken eine gefühlte Ewigkeit, um durch die engen Gassen auf dem Rastplatz wieder auf die A3 zu gelangen.
Dieser 100-Tonnen-Kran braucht nach dem Tanken eine gefühlte Ewigkeit, um durch die engen Gassen auf dem Rastplatz wieder auf die A3 zu gelangen.
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Pedram Azarderakh­sch ist beruflich viel auf Autobahnen unterwegs.
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Polizeibea­mte wecken Fahrer auf, wenn sie gefährlich geparkt haben.

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