Alles voll
In NRW fehlen Tausende Lkw-Parkplätze. Die Fahrer stellt die Suche jeden Abend vor große Probleme. Eine Nacht an der Rastanlage Ohligser Heide.
SOLINGEN Schon in der Zufahrt zur Raststätte Ohligser Heide an der Autobahn 3 verengt sich die Fahrbahn: Links stehen mehrere Lastwagen hintereinander. Vor den Zapfsäulen der Tankstelle sind zwei 60-Tonner abgestellt. Die Vorhänge der Fahrerhäuser sind zugezogen. Wer an diesem Abend rechtzeitig da war, hat noch einen regulären Parkplatz gefunden: In einer langen Reihe stehen die Lkw hinter der Tankstelle nebeneinander. Wer später kam, hat seinen Lastwagen einfach quer davor abgestellt. Wer jetzt noch hier durchwill, muss sich durch eine enge Gasse zwängen.
„Ab 18 Uhr ist das eine absolute Katastrophe“, sagt Tomasz Klimczyk. Der 42-Jährige vertreibt sich die Zeit am Spielautomaten. Seine Tour startete am Montag in Krakau, er lieferte Fracht in Belgien ab und muss nach seiner Ruhezeit weiter nach Wuppertal, dann zurück nach Polen. „In Frankreich gibt es alle 15, 20 Kilometer einen riesigen Parkplatz“, sagt er. In Deutschland finde er manchmal gar keinen Abstellplatz. „Dann stelle ich meinen Lkw halt irgendwo an einer Straße ab, wo es nichts gibt, noch nicht mal eine Toilette.“
Der Trucker aus Polen beschreibt ein Problem, das seit Jahren immer größer wird: Laut einer Untersuchung der Bundesanstalt für Straßenwesen aus dem Jahr 2018 fehlen entlang der Autobahnen in Deutschland mehr als 23.000 LkwStellplätze, 3800 davon in Nordrhein-Westfalen. Inzwischen geht der Verband Spedition und Logistik NRW allerdings von einer weitaus höheren Zahl aus: „Wir schätzen die Zahl der fehlenden Parkplätze an den Autobahnen in NRW auf 8000“, sagt Geschäftsführer Rüdiger Ostrowski. „Wir haben das Problem mal als Staatsversagen bezeichnet, weil man das steigende Verkehrswachstum hätte erkennen können – die Prognosen waren klar.“Dazu kommt, dass längere Ruheund verkürzte Lenkzeiten eingeführt wurden. „Für den Fahrer ist das ein Dilemma, aber: Er muss früh genug anfangen, einen sicheren Parkplatz zu suchen“, so Ostrowski. Vor allem das Parken in Zufahrten führe zu lebensgefährlichen Situationen.
Lkw-Fahrer Klimczyk erzählt, dass er oft drei oder vier Rastplätze ansteuern muss, bis er einen Platz findet. Erst kürzlich habe die Polizei ihm wieder eine Strafe von 40 Euro aufgebrummt, weil er seine Lenkzeiten auf der allabendlichen Parkplatzsuche überschritten hatte. „Wenn ich den Polizisten frage, was ich denn machen soll, sagt der mir: Das ist nicht mein Problem.“Klimczyk schüttelt den Kopf. „Manchmal klopfen sie nachts gegen die Scheibe, man erschrickt fast zu Tode, dann muss ich wegfahren und mir einen besseren Platz suchen.“
Auch in dieser Nacht fährt ein Streifenwagen langsam über den Rasthof. „Wir müssen die Fahrer wecken, die so parken, dass Chaos entsteht“, sagt einer der Polizisten. „Aber wir haben Verständnis für ihre schwierige Situation und natürlich einen gewissen Ermessensspielraum.“
Das heißt: Solange keine Gefährdung besteht, dürfen die Lastwagen über Nacht stehen bleiben – auch außerhalb der Parkbuchten. Weil viele aber auch Pkw- oder Wohnmobilplätze zuparken, weitet sich das Problem auf die Autofahrer aus. Pedram Azarderakhsch ist die Freude über einen Parkplatz anzusehen, als er seinen Wagen zwischen den Lastern abstellt. „Ich dachte schon, das wird heute nichts mehr“, sagt der 26-Jährige, der auf dem Weg von Frankfurt nach Düsseldorf schon zweimal eine Pause einlegen wollte, aber jedes Mal wieder auf die Autobahn zurückfahren musste, weil alles voll war. Er arbeitet für ein Sicherheitsunternehmen und ist regelmäßig auf der A3 unterwegs. „In NRW ist es am schlimmsten“, sagt er.
Verbandschef Ostrowski sagt, es gebe genügend Mittel aus dem Bundesverkehrswegeplan, um weitere Parkplätze zu schaffen: „Geld ist genug da – nun muss schnell geplant und gebaut werden.“Zurzeit scheitere vieles aber an Planungskapazitäten und daran, dass Baufirmen nicht verfügbar seien. „Hinzu kommt, dass es ein umfangreiches Einspruchsrecht aller Beteiligten gibt. Dies verzögert manchen Bau unnötig“, sagt Ostrowski. Die Autobahn GmbH Rheinland will bis zum Jahr 2030 die Parkplatzkapazitäten für Lastwagen um insgesamt 1215 Stellflächen erweitern. „Diese Flächen verteilen sich auf 25 Rastanlagen im Rheinland“, sagt ein Sprecher. Ein Großteil werde bis 2026 zur Verfügung stehen. Aber es handele sich hierbei um Planungszahlen. „Aktuell ist noch nichts im Bau“, sagt der Sprecher. Für Westfalen sind 2461 Plätze in Planung.
Pedram Azarderakhsch ist längst wieder weg, als in der Nacht ein Riesentross mit jeder Menge Warnlichter auf die Raststätte Ohligser Heide fährt. Der Fahrer eines Schwertransporters lenkt sein Fahrzeug in Schrittgeschwindigkeit zur Zapfsäule. Er transportiert einen mehr als 100 Tonnen schweren Kran. Begleitet wird er von vier Kleinlastern, die mit Warnschildern auf die schwere Last aufmerksam machen. Der Tankstopp wird den Trupp eine halbe Stunde Zeit kosten. Zu eng ist die Schneise, durch die er muss, weil auch an der Ausfahrt auf jeder Seite Lkw parken. Es ist Millimeterarbeit. Und dahinter stauen sich die Autos beinahe über die gesamte Raststätte.