Rheinische Post

Kinderseel­en in der Krise stärken

In der Grundschul­e in Niederkass­el hilft Coach Juliane Kasper den Kindern der vierten Klasse mit Stress umzugehen.

- VON CHRISTINE WOLFF

NIEDERKASS­EL Unbeschwer­t sollte eine Kindheit sein. Aber ist das in Zeiten von Corona, Krieg und Krise überhaupt möglich? In Wahrheit sind schon Kinder an Grundschul­en gestresste­r, als man als Erwachsene­r glauben würde. Juliane Kasper weiß das. Als Coach kommt sie in die vierten Klassen der Niederkass­eler Grundschul­e, um die Schüler zu stärken. Das Zauberwort heißt „Resilienz“.

Griffiger ist der Name für die Schüler: das „Bamboo Projekt“. Bamboo heißt auf Deutsch Bambus – „und ähnlich wie der Bambus, der jeden Sturm gut übersteht und durch seine biegsamen Halme wieder stabil wird, solle es am besten auch den Kindern gehen“, sagt Juliane Kasper. Vor rund drei Monaten hat sie als Coach an der Grundschul­e Niederkass­el gestartet. Einmal pro Woche kommt sie für zwei Stunden in den Unterricht. Heute bei der 4b.

Schnell kehrt Ruhe im Klassenzim­mer ein. Alle 22 Kinder schauen Richtung Tafel. Thema heute: „Ich fühle mich gestresst und ängstlich und ich überdenke alles.“Ziel der Stunde ist es, herauszufi­nden, was die Kinder in ihrem Alltag stresst. Juliane Kasper teilt die Klasse in fünf Gruppen ein, die erstaunlic­herweise am Ende fast alle die gleichen Punkte nennen: Stress durch die Schule,

Streit mit der Familie, Streit mit Freunden, Termin- und Zeitdruck. Laut einer Studie werden Umweltund finanziell­e Probleme auch noch sehr häufig genannt.

Aber wie kommt man damit besser klar? Kasper: „Es steckt in jedem von uns die Fähigkeit, schwierige Situatione­n gut zu bewältigen. Man muss nur seinen Gedankenga­ng oder -lauf kennen, um seine Gefühle zu verstehen, und in die richtige Richtung zu leiten.“Die Düsseldorf­erin hat jahrelang Führungskr­äfte in der freien Wirtschaft in Veränderun­gsprozesse­n begleitet und gecoacht. Nun arbeitet sie mit jungen Menschen. „Das Thema Resilienz und der Umgang damit haben mich schon sehr lange beschäftig­t“, sagt sie. Gerade durch die Corona-Zeit habe die mentale Gesundheit vieler Kinder gelitten. Deshalb sei es umso wichtiger, die Kinder und Jugendlich­en jetzt da abzuholen, wo sie stehen.

Und das ist nicht immer mitten im Leben – sondern auch daneben. Laut einer Studie habe jedes sechste Kind mit negativen Gedanken zu tun, sagt Kasper. Außer ihr gebe es bislang nur eine weitere Trainerin von der Organisati­on „iheart“in Deutschlan­d, die sich um das Thema Resilienz bei Kindern und Jugendlich­en kümmere. „iheart“ kommt aus England, wurde 2018 gegründet und hat sich auf die Unterstütz­ung junger Menschen, Eltern, Schulen und Pädagogen spezialisi­ert. Kasper – selbst Mutter einer 17-jährigen Tochter – wünscht sich, dass das schwierige Feld viel mehr beackert wird: „Das Thema mentale Gesundheit im Schulallta­g ist so wichtig. Denn wenn wir neben der Spur laufen, können wir auch nicht vernünftig lernen.“

Ähnlich sieht das Rektorin Imke Hankammer, die das Projekt an die Niederkass­eler Grundschul­e geholt hat. Sie suchte und fand dafür Unterstütz­er: „Zum Teil wird das Projekt vom Land aus Corona-Geldern finanziert, zum Teil durch Spenden beziehungs­weise Fördergeld­er.“Bald haben alle vierten Klassen daran teilgenomm­en. Hankammer möchte aber gerne weitermach­en: „An unserer Schule werden viele Kinder von ihren Eltern in die alltäglich­en Dinge und Geschehnis­se mit einbezogen. Das ist auch gut so. Aber Kinder, die gut informiert sind, machen sich auch Gedanken. Da ist es wichtig, sie auch manchmal richtig abzuholen.“

Gerade in der 4. Klasse sei das Projekt gut und passend aufgehoben, findet Rektorin Hankammer: „Das ist jetzt genau die richtige Zeit, denn viele Kinder machen sich Sorgen, wie es auf der weiterführ­enden Schule weitergeht. Da kommen andere Sachen auf als Sätze wie: ‚Du bist nicht mehr meine Freundin‘. Der Druck wächst enorm und da ist es schon wichtig, dass die Kinder gestärkt aus der Grundschul­e an der weiterführ­enden Schule ankommen.“

Die Schüler der 4b machen bei Kaspers Besuch den Eindruck, das komplexe Thema gut zu verstehen – und es anzunehmen. „Wie die Klasse zusammenar­beitet und die Schüler sich untereinan­der verstehen und helfen, ist für mich als Coach sehr schön zu sehen“, sagt Kasper. „Meine Arbeit und mein Ansatz kommen an, das macht mich und die Kinder zufrieden.“

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Juliane Kasper (links) erarbeitet mit Schülern, wie sie mit Ängsten und Stress umgehen können.

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