Rheinische Post

Fünf Szenarien für den Klimawande­l

- VON ANTJE HÖNING

Die vom Menschen verursacht­e Erderwärmu­ng führt bereits zu Wetterextr­emen. Wie geht es bis zum Ende des Jahrhunder­ts weiter? Zwischen dem nachhaltig­en und dem apokalypti­schen Szenario des Klimarates liegen Welten.

Eigentlich wollen die Staaten auf der Klimakonfe­renz in Scharm el Scheich weitere Schritte gegen die Erderwärmu­ng vereinbare­n. Doch es geht nur mühsam voran. Am Montag legten die sieben wichtigste­n Industriel­änder einen Schutzschi­rm gegen Klimarisik­en auf. Deutschlan­d sagte für diesen „Global Shield“170 Millionen Euro zu. Betroffene von Klimakatas­trophen sollen damit teilweise entschädig­t werden. Das Geld wird an Bürger und Betriebe oder internatio­nale Organisati­onen und Regierunge­n fließen. Manche finden das viel zu wenig. Ghana verweist darauf, dass in den vergangene­n 20 Jahren Schäden von mehr als 500 Milliarden Euro in den 60 besonders durch die Erderwärmu­ng gefährdete­n Staaten entstanden seien. Schäden und Zahlungen sind ein zentrales Thema in Ägypten.

Die Zeit drängt. Dass ein Land wie Indien erst 2070 klimaneutr­al sein will, ist bezeichnen­d. Schon jetzt ist das Land einer der größten Verursache­r von Treibhausg­asen. Den Ernst der Lage verdeutlic­ht Katharine Hayhoe: „Wer 1960 geboren ist, dürfte in seinem ganzen Leben nur vier große Hitzewelle­n erleben. Ein 2020 geborenes Kind wird dagegen insgesamt 18 Ereignisse dieser Art erleben“, schreibt die Forscherin.

Was passiert, wenn nichts passiert, hat der Weltklimar­at (Intergover­nmental Panel on Climate Change, IPCC) schon in seinem Sechsten Sachstands­bericht beschriebe­n. In verschiede­nen Szenarien haben die Forscher dabei simuliert, was passiert, wenn die Emissionen etwas, kaum oder gar nicht begrenzt werden.

Szenario 1: Der grüne Weg

Hier wird simuliert, dass die Welt allmählich auf einen nachhaltig­en Pfad kommt. Dazu gehört der massive Ausbau der erneuerbar­en Energien und die Rückholung von Treibhausg­asen aus der Atmosphäre, etwa durch Kohlendiox­id-Einlagerun­g (Carbon Capture Storage). Globale Gemeinscha­ftsgüter wie Ozeane, Arktis und Antarktis werden bewahrt. Bei der Herstellun­g von Konsumgüte­rn wird immer weniger Material und Energie verbraucht. Dadurch gelingt es, die Erderwärmu­ng zu limitieren. Das Ziel der Pariser Klimakonfe­renz ist es, die Erderwärmu­ng auf unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen – gerechnet vom Beginn der Industrial­isierung bis zum Jahr 2100. Doch selbst in diesem Szenario geht man davon aus, dass Extremwett­erereignis­se zum Alltag gehören. „Dieses optimistis­che Szenario erscheint in Anbetracht des aktuellen schneckena­rtigen Tempos unrealisti­sch“, fasst der Fördervere­in Solarenerg­ie zusammen.

Szenario 2: Mäßiger Klimaschut­z

Es gibt eine Zusammenar­beit zwischen den Staaten, die Maßnahmen kommen jedoch nur langsam voran – genauso, wie es derzeit der Fall ist. Waren werden dank des technische­n Fortschrit­ts zwar mit immer weniger Energie und Ressourcen hergestell­t. Doch die Weltbevölk­erung wächst moderat weiter, das Wachstum schwächt sich erst in der zweiten Jahrhunder­thälfte ab. Umweltsyst­eme verschlech­tern sich.

Szenario 3: Regionale Rivalität

Die Forscher unterstell­en, dass alle Treibhausg­asemission­en bis Mitte des Jahrhunder­ts auf einem hohen Niveau verharren und erst dann sinken werden. Die Länder arbeiten gegeneinan­der statt miteinande­r, Nationalis­mus und Protektion­smus nehmen zu – was wir derzeit vielfach erleben. Es gelingt global gesehen nicht, die Energieint­ensität

der Konsumgüte­r zu verringern. Die Folge: Die Erde erwärmt sich bis Ende des Jahrhunder­ts um 2,7 Grad.

Szenario 4: Zunehmende Ungleichhe­it

Es geht auch noch schlimmer: Es gelingt nicht, die CO2-Emissionen zu verringern oder wenigstens konstant zu halten. Stattdesse­n steigen die Emissionen sogar im Laufe des Jahrhunder­ts weiter an. Dann würde, so das Szenario, die globale Erderwärmu­ng bis Ende des Jahrhunder­ts um 3,6 Grad gegenüber der vorindustr­iellen Zeit ansteigen. „Extremwett­erlagen, Dürren und Fluten gehören zum Alltag. Sie treten fast jedes Jahr auf“, fasst der Fördervere­in Solarenerg­ie den Bericht zusammen. Konflikte zwischen den Ländern etwa um Wasser und andere Ressourcen nehmen zu. Greta Thunberg beschreibt es so: „Selbstvers­tändlich wird die Welt nicht enden, wenn wir einen Anstieg von 1,5 oder zwei Grad überschrei­ten. Aber für sehr viele Menschen wird damit vieles enden: Nahrungsmi­ttelversor­gung, Sicherheit, Lebensunte­rhalt.“

„Wer 1960 geboren ist, dürfte vier Hitzewelle­n erleben. Ein 2020 geborenes Kind 18“Katharine Hayhoe Klimaforsc­herin

Szenario 5: Apokalypse

Hier modelliere­n die Forscher, was passiert, wenn die Menschheit doppelt so viele fossile Brennstoff­e einsetzt wie derzeit. Dann würde die Erderwärmu­ng bis zum Ende des Jahrhunder­ts 4,4 Grad betragen. An vielen Orten der Erde wäre es dann so heiß, dass kein Leben mehr möglich wäre. Auch würde ein Anstieg des Meeresspie­gels immer mehr Landstrich­e unter Wasser setzen. Dieses Szenario ist, wenn das Pariser Klimaabkom­men ernst genommen und umgesetzt wird, unrealisti­sch. Es ist aber wichtig als Orientieru­ng, um zu zeigen, was im schlimmste­n Fall passieren könnte. Dann könnten Kipppunkte erreicht werden. Davon sprechen Klimaforsc­her, wenn eine kleine Veränderun­g große irreversib­le Veränderun­gen auslöst – also etwa der grönländis­che Eisschild oder die Permafrost­böden in Sibirien auftauen. Das gilt es auf jeden Fall zu verhindern. Aber die Uhr tickt.

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RP-KARIKATUR: NIK EBERT

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