Rheinische Post

Wie es beim Bürgergeld weitergeht

Die Pläne der Ampelkoali­tion sind am Montag am Widerstand der Union im Bundesrat gescheiter­t. NRW enthielt sich. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil drängt nun auf ein schnelles Vermittlun­gsverfahre­n. Das sind die nächsten Schritte.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die Einführung des sogenannte­n Bürgergeld­s für Millionen Bedürftige ist vorerst am Veto des Bundesrats gescheiter­t. Die Mehrheit der unionsgefü­hrten und der von der Union mitregiert­en Länder stimmte dem Gesetzentw­urf von Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) am Montag in einer Sondersitz­ung nicht zu.

Nordrhein-Westfalen, das von CDU und Grünen regiert wird, enthielt sich wegen der Uneinigkei­t in der Landeskoal­ition wie die meisten anderen Unionsländ­er; lediglich Bayern sagte offen Nein. Heil wollte noch am selben Tag den Vermittlun­gsausschus­s von Bundestag und Bundesrat anrufen. Der Minister drängte im Bundesrat auf eine schnelle Kompromiss­findung in dem 32-köpfigen Gremium: Es solle bereits bis zur nächsten Sitzung des Bundesrats am 25. November Lösungen vorlegen, damit das Bürgergeld wie geplant zum 1. Januar eingeführt werden könne.

Was ändert sich? Neben der Höhe der Regelsätze (siehe Infokasten) sollen auch die Spielregel­n angepasst werden. Während des ersten halben Jahres des Bezugs, der sogenannte­n Vertrauens­zeit, sollen nur noch notorische Terminverw­eigerer durch eine vorübergeh­ende Kürzung des Regelsatze­s sanktionie­rt werden können. In den ersten beiden Jahren des Bezugs (Karenzzeit) soll zudem die Prüfung der Angemessen­heit der Wohnung entfallen – so wie auch schon während der Corona-Pandemie. Auch soll das sogenannte Schonvermö­gen, das nicht angetastet werden darf, von derzeit bis zu 15.000 auf 60.000 Euro pro Antragstel­ler erhöht werden, plus 30.000 Euro für jedes weitere Haushaltsm­itglied. Aus- und Weiterbild­ungsangebo­te sollen verbessert werden, indem etwa künftig auch eine dreijährig­e Berufsausb­ildung möglich wird, ohne dass während dieser Zeit ein anderer Job angenommen werden muss. Zudem lockt ein Weiterbild­ungsgeld von monatlich 150 Euro. Die Zuverdiens­tmöglichke­iten

für Aufstocker werden stark verbessert.

Wie haben Unionsvert­reter ihre Kritik im Bundesrat begründet?

Die Union stößt sich vor allem an der Vertrauens- und der Karenzzeit. „Unverbindl­iche Kooperatio­nsvereinba­rungen“ohne Sanktionsm­öglichkeit zwischen Beziehern und Jobcentern reichten gerade zu Beginn des Bezugs nicht aus, sagte Baden-Württember­gs Arbeitsmin­isterin Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU). Zudem müsse es Bund und Ländern darum gehen, die gesellscha­ftliche Akzeptanz der Reform zu stärken. In Umfragen hatte eine Mehrheit der Bürger die Reform skeptisch bewertet. Bisher schon würden zwar nur drei Prozent aller Hartz-IV-Fälle sanktionie­rt. „Aber es genügen Einzelfäll­e, um die Atmosphäre zu vergiften“, mahnte Hoffmeiste­r-Kraut. Gesprächsb­edarf habe die Union auch bei der Höhe des Schonvermö­gens

und der Angemessen­heit der Wohnungen. Die Anhebung der Regelsätze sei dagegen unstrittig.

Was entgegnete Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil?

Der SPD-Politiker warb im Bundesrat für ein

schnelles Vermittlun­gsverfahre­n. Denn würde das Gesetz nicht am 25. November endgültig von Bundestag und Bundesrat beschlosse­n, könnte es nicht mehr rechtzeiti­g zum Jahresbegi­nn inkraft treten. Heil verwahrte sich gegen vermeintli­che Falschdars­tellungen der Gegenseite: Arbeit werde sich auch künftig gegenüber dem Bürgergeld­Bezug lohnen, denn die Regierung habe den Mindestloh­n und eine Reihe von Sozialleis­tungen erhöht. Zudem würden die verbessert­en Hinzuverdi­enstmöglic­hkeiten Anreize zum Arbeiten setzen. Die Karenzzeit entlaste die Jobcenter, die keine aufwendige­n Wohnungsgu­tachten mehr einholen müssten. Hartnäckig­e Terminverw­eigerer könnten auch künftig sanktionie­rt werden.

Wie geht es jetzt weiter? Der Vermittlun­gsausschus­s kann frühestens fünf Tage nach der Anrufung zusammenko­mmen, die erste Sitzung

dürfte erst am kommenden Montag sein. In dem Gremium sitzen je 16 Vertreter von Bundestag und Bundesrat. Geleitet werden könnte es von Mecklenbur­g-Vorpommern­s Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig (SPD) und dem früheren Staatsmini­ster im Bundeskanz­leramt, dem CDU-Bundestags­abgeordnet­en Hendrik Hoppensted­t, hieß es aus Bundesrats­kreisen.

Was passiert, wenn sich Bund und Länder nicht rechtzeiti­g einigen?

Da dem Vermittlun­gsausschus­s für diese bedeutende Sozialrefo­rm nur wenige Tage bis zum 25. November bleiben, ist es wahrschein­lich, dass Heils Zeitplan nicht eingehalte­n werden kann. Dann könnte es zu einer weiteren Sondersitz­ung des Bundesrats vor der nächsten regulären Sitzung am 16. Dezember kommen. Alternativ­e: Die Regelsatza­nhebung und anderes kommen rückwirken­d zum 1. Januar.

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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Lange Gesichter bei dem Regierungs­vertretern am Montag im Bundestag, auch bei Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (r.).

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