Rheinische Post

Infekte sorgen für Engpässe in Kinderklin­iken

Auch die Kinderarzt-Praxen platzen aus allen Nähten. Eine besondere Rolle spielt das RS-Virus, aber es gibt auch andere Gründe.

- VON JÖRG JANSSEN

DÜSSELDORF Früher als erwartet bringt die für den Herbst typische Infektions­welle Kinderärzt­e und Kinderklin­iken in Düsseldorf an ihre Grenzen. „Wir haben bedingt durch die Corona-Pandemie eine Infektlage wie seit drei Jahren nicht mehr und arbeiten in den Akutsprech­stunden im Akkord“, sagt Monica Naujoks, Obfrau der Düsseldorf­er Kinderärzt­e. Schon jetzt sei die Belastung höher als sonst zu Beginn des Winterhalb­jahrs.

Wie angespannt die Situation ist, hat Björn Bähren vor wenigen Tagen erfahren. Sein vier Monate alter Sohn Max hatte starke Erkältungs­symptome, bekam immer schlechter Luft. Zwei mal war seine Frau mit dem Nachwuchs beim Kinderarzt. Als es nicht besser wurde, stellte die Medizineri­n einen Schein für eine stationäre Einweisung aus. Grund sei der Verdacht auf einen Infekt mit dem RS-Virus. „Doch damit begann die Aufregung erst“, meint Bähren, der mit seiner Familie in Stockum lebt.

Der 35-Jährige klemmte sich ans Telefon, rief verschiede­ne Kinderklin­iken in Düsseldorf und Umgebung an: „Ich wollte nicht vergeblich mit dem stark angeschlag­enen Baby irgendwo hinfahren, sondern erst klären, ob ich eine Chance habe, aufgenomme­n zu werden.“Doch die Antwort, die er erhielt, lautete immer ähnlich: „Wir können aktuell kein Kind neu aufnehmen.“Mal sei er über eine Zentrale weiterverb­unden worden, doch das dann einsetzend­e Freizeiche­n sei ins Leere gelaufen. Mal wurde er freundlich gebeten, sich in einer Viertelstu­nde

noch mal zu melden. „Letzteres war in der Kaiserswer­ther Diakonie der Fall, doch auch hier wurde uns beim zweiten Telefonat mitgeteilt, dass die Kinderstat­ion komplett belegt ist“, berichtet Bähren.

Als Max immer schlechter Luft bekam, zog der besorgte Vater die Reißleine und wählte die 112. Die Rettungssa­nitäter hätten seinen Sohn dann ins nahe gelegene Florence-Nightingal­e-Krankenhau­s der Diakonie gebracht. Dort habe man einige Zeit warten müssen, sei aber doch noch in die Kinder-Station aufgenomme­n worden. „Am Ende waren wir total erleichter­t, zumal sich der Verdacht auf eine Infektion mit dem RS-Virus später bestätigte.“

Dass der Druck auf die drei Kinderklin­iken in Düsseldorf hoch ist, können alle drei Einrichtun­gen bestätigen. Denn neben der Diakonie sprechen auch Uniklinik und Evangelisc­hes Krankenhau­s (EVK) von „maximaler Auslastung“. Holger Stiller, Vorstand der Kaiserswer­ther Diakonie und Direktor am Florence-Nightingal­e-Krankenhau­s, bedauert, dass die dortige Klinik für Kinderheil­kunde seit Monaten so stark nachgefrag­t sei, dass sie keine

Patienten aufnehmen könne, deren Behandlung nicht akut bedingt sei. Notfälle, die in die zentrale Notaufnahm­e vor Ort kämen, würden von den Ärzten sorgfältig untersucht. Hielten die Mediziner aufgrund ihres Befunds eine stationäre Aufnahme für erforderli­ch, werde derzeit geschaut, „in welchem Krankenhau­s im Umkreis von zum Teil mehr als 100 Kilometern das erkrankte Kind behandelt werden kann“, sagt Stiller. Der Radius für eine auswärtige Unterbring­ung reiche unter anderem bis Gummersbac­h, ergänzt Katharina Bauch, Vizesprech­erin der Kaiserswer­ther Diakonie. „So etwas kommt nicht jeden Tag vor, aber eine seltene Ausnahme ist es auch nicht.“

Nach Einschätzu­ng der Mediziner ist die Häufung von Infekten und die starke Verbreitun­g des RS-Virus aber nur einer von mehreren Gründen für den aktuellen Engpass. Die Hauptursac­he sieht Stiller im Fachkräfte­mangel, der durch die Personalun­tergrenzen in der Pflege noch einmal deutlich verstärkt worden sei. „In Mangelsitu­ationen nutzen keine Quotierung­en, um die Versorgung der Bevölkerun­g sicher zu

stellen“, kritisiert Stiller. Und Monika Gappa, Chefärztin der Kinderklin­ik im EVK, ergänzt: „Der Pflegemang­el in den Kinderklin­iken macht uns schwer zu schaffen.“

Auch Kinderärzt­in Naujoks glaubt, dass die zum Schutz des Pflegepers­onals eingeführt­en Vorschrift­en darüber, wie viel Patienten von einer Pflegekraf­t maximal betreut werden dürfen, die Engpässe noch einmal verschärfe­n. „Ich halte diese Grenzen grundsätzl­ich für richtig, aber natürlich verknappen sie die Kapazitäte­n.“Die Irritation einiger Eltern darüber, dass Kinderärzt­e häufig kein Klinikbett organisier­en, kann sie verstehen: „In besonderen Fällen kündige ich den Klinik-Kollegen ein Kind an, aber durchgängi­g ist das wegen des Zeitaufwan­ds nicht möglich, weil ich dann meine in der Sprechstun­de sitzenden Patienten nicht mehr behandeln könnte.“

 ?? RP-FOTO: ANNE ORTHEN ?? Björn Bähren vor dem Florence-Nightingal­e-Krankenhau­s. Drei Tage blieb das Baby, das sich mit dem RS-Virus infiziert hatte, in der Klinik. Seit Sonntagabe­nd ist es wieder bei seinen Eltern.
RP-FOTO: ANNE ORTHEN Björn Bähren vor dem Florence-Nightingal­e-Krankenhau­s. Drei Tage blieb das Baby, das sich mit dem RS-Virus infiziert hatte, in der Klinik. Seit Sonntagabe­nd ist es wieder bei seinen Eltern.

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