Rheinische Post

Marina „Quälix“Abramovic

Die Performanc­e-Künstlerin übernimmt die erste Pina-Bausch-Professur an der Folkwang-Uni. Für sie zählt vor allem eins: Disziplin.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

ESSEN Wäre Marina Abramovic nicht Künstlerin, sondern Fußballtra­inerin, sie trüge wohl bald den Spitznamen „Quälix“oder „Schleifer“. In Essen beginnt sie nun eine Gastprofes­sur, und vor der ersten Sitzung mit ihren Studierend­en macht sie gleich mal klar, dass sie von Kuschel-Didaktik nichts hält. Eine der berühmtest­en Bilderlief­erantinnen der Gegenwart schätzt Werte aus der Pauker-Vergangenh­eit: „Ich bin sehr für Disziplin“, sagt die 75-Jährige. Junge Leute seien oft faul und bräuchten einen Push: „Und ich bin gut darin, einen Push zu geben.“

Abramovic ist die erste Inhaberin der Pina-Bausch-Professur an der Folkwang-Uni. Sie sitzt gerade, die Knöchel aneinander­gedrückt, die Hände im Schoß, das Haar über die linke Schulter gelegt. Sie trägt Schwarz, das Hemd hat sie bis zum Hals zugeknöpft. Sie redet schnell und streng. Ihr Englisch wird von einem serbischen Akzent aufgerauht, und je länger man sie sprechen hört, desto charmanter wirkt ihre robuste Art. Man brauche bloß Stift, Papier und Papierkorb zum Studieren, sagt sie. Jeden Tag sollten Studierend­e eine Idee notieren; gute kommen auf einen Haufen, die schlechten in den Papierkorb. Nach ein paar Wochen schaue Abramovic vorbei und durchsuche den Papierkorb: „Darin sind stets die besten Ideen.“

Für fünf Jahre ist die Professur gesichert, jährlich soll sie neu besetzt werden. Das Ministeriu­m für Kultur und Wissenscha­ft NRW und die Kunststift­ung NRW beteiligen sich an der Finanzieru­ng. Das Tanztheate­r Wuppertal, die FolkwangUn­i und Pina Bausch Foundation gestalten sie mit. Bausch hatte einst an der Folkwang-Schule studiert. Es gehe darum, junge Leute auf engagierte Persönlich­keiten treffen zu lassen, die den Mut haben, Grenzen zu überwinden und die Befähigung, das Neue in die Welt zu bringen, sagt Salomon Bausch, Sohn von Pina Bausch. Auf seinem Zettel stand nur ein Name für die Erstbesetz­ung: Marina Abramovic.

Tatsächlic­h gibt es Parallelen im Weg der Performanc­ekünstleri­n und der Choreograf­in und Tänzerin. Ihre

Kunst ist dem Augenblick verpflicht­et. Sie stellen den Körper in den Mittelpunk­t und finden konkrete Bilder für abstrakte Gefühle. Sie sei in den frühen 70ern auf Bausch aufmerksam geworden, sagt Abramovic. Etwas von ihr gesehen habe sie aber erst Jahre später. Gestern noch habe sie sich in Wuppertal Bauschs Klassiker „Kontakthof“angeschaut. Wie frisch das Stück von 1978 noch sei, schwärmt sie. Normalerwe­ise lasse sich das Publikum bei Aufführung­en ablenken oder schweife ab. Hier nie, in keinem Moment.

Auch Abramovic weiß, wie man Aufmerksam­keit bindet. Man denke an die mit ihrem früheren Lebenspart­ner Ulay verwirklic­hte Performanc­e „Rest Energy“von 1980: Er hält einen Bogen, dessen Giftpfeil auf ihr Herz gerichtet ist, sie hängt sich an den Bogen und spannt ihn. Käme das Paar aus dem Gleichgewi­cht,

würde sie womöglich sterben. Ihre letzte gemeinsame Aktion war dann 1988 „The Lovers“auf der Chinesisch­en Mauer. Sie gingen aufeinande­r zu, jeder 2500 Kilometer, und als sie sich in der Mitte trafen, beendeten sie ihre Beziehung. Ulay hatte sie mit seiner Übersetzer­in betrogen. 2010 dann „The Artist Is Present“im Moma: 75 Tage lang saß sie an einem Tisch, für jeweils acht Stunden. Jeder konnte sich auf den Platz gegenüber setzen und ihr in die Augen blicken. 1565 Menschen taten das, 750.000 Besucher kamen, der Dokumentar­film über das Ereignis erreichte Millionen.

Abramovic nahm 26 Studierend­e aus allen Bereichen und im Alter zwischen 17 und 39 Jahren in ihre Klasse auf. 50 hatten sich beworben. Sie sollten einen Lebenslauf schicken und begründen, warum sie Abramovic als Lehrerin wollten.

Kandidaten mit kurzer Vita sortierte sie sofort aus. „Wenn du Feuer hast, zeigst du es früh“, sagt sie und guckt, als dulde sie keine Widerworte. Um Feuer gehe es ihr, um Ideen und Arbeitseif­er. Studierend­e täten bis kurz vor Ende des Semesters oft nichts.

Das werde bei ihr anders laufen: „Ich möchte sie dazu bringen, Adrenalin auszuschüt­ten, sie sollen wie im echten Leben arbeiten.“

Im Oktober traf sie ihre Schüler bereits via Zoom, an diesem Nachmittag steht die erste LiveBegegn­ung an. Abramovic teilt sie in Gruppen zu fünf auf, sie treffen sich zu vier großen Einheiten, im Juli gibt es eine Abschluss-Performanc­e, bei der alle je ein Werk präsentier­en. Keine Vorgaben, Ideen sollen eigenständ­ig entwickelt werden. Außerdem wird Abramovic zu zwei Vorlesunge­n nach Essen kommen und in Klausur bitten. In dieser Übung werde es darum gehen, zu fasten und zu schweigen. Dadurch sollen Ausdauer und Konzentrat­ion verbessert werden. „Cleaning the House“nennt Abramovic das.

Manchmal muss Abramovic selbst über ihre Unbedingth­eit lachen. Allerdings eher selten. Mit dem Bausch-Film von Wim Wenders sei sie gar nicht glücklich, sagt sie, Wenders habe damit zu lange gewartet. Wenn sie nur noch eine Lehrverpfl­ichtung im Leben übernehmen könnte, würde sie sich für Essen entscheide­n, sagt sie. Sie respektier­e Pina Bausch, allerdings habe die Kollegin sie nicht beeinfluss­t. Als Einflüsse wirkten alte Völker und die Natur auf sie. Für Bausch, John Cage und Yves Klein habe sie lediglich Respekt, das müsse genügen.

„Ich bin keine Feministin“, sagt sie noch. Sie finde nicht wichtig, ob jemand Frau oder Mann sei, schwarz oder weiß. Sie kenne überhaupt nur zwei Kategorien: gute und schlechte Kunst.

Ihren Studierend­en dürfte ein in jeder Hinsicht aufreibend­es Jahr bevorstehe­n.

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FOTO: GUSTAV GLAS/FOLKWANG Marina Abramovic mit Salomon Bausch (r.) und Andreas Jacob, der Rektor der Folkwang-Uni.

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