Rheinische Post

„In der Kunst sollten wir nicht so angepasst denken“

Viel Sehnsucht, wenig Alltagstau­glichkeit – die neue Leiterin des Landesbüro­s für Bildende Kunst im Gespräch über Künstler, Kunstbetri­eb und romantisch­e Berufsvors­tellungen.

- SEMA KOUSCHKERI­AN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Frau Ristow, als Leiterin des Landesbüro­s für Bildende Kunst dürften Sie viel zu tun bekommen. Was steht ganz oben auf Ihrer Liste? RISTOW Ganz oben steht für mich persönlich die mobile Akademie „Mobilab“. Das ist ein Format, mit dem wir in ganz NRW unterwegs sind. Es trägt derzeit den Titel „Möglichkei­tsraum Kunst“. Dabei geht es um zentrale Fragen wie Sprachrege­ln des Kunstbetri­ebs.

Es gibt Künstler, die bestens klarkommen, jedoch sehr viel mehr Künstler, die sich Nebentätig­keiten suchen müssen. Was brauchen sie? RISTOW Das Landesbüro ist gerade aus dem Bedürfnis entstanden, die große Mehrheit, die nicht zu den glückliche­n zwei Prozent gehören, die vom Verkauf ihrer Werke leben können, in ihrer berufliche­n Weiterentw­icklung zu unterstütz­en.

Die Zahl dürfte unter jungen Künstlern wenig Optimismus verbreiten.

RISTOW Man weiß von vornherein, dass es ein schwierige­s Geschäft ist, und entwickelt bestenfall­s Durchhalte­vermögen. Hier sehe ich aber auch das große Potenzial von Künstlern, denn sie sind ungeheuer findig und auf Krisen, wie wir sie jetzt erleben, wahrschein­lich besser eingestell­t als andere Menschen. Viele von uns haben sich doch schon vor der Pandemie in einer prekären wirtschaft­lichen Situation befunden. Gerade vor diesem Hintergrun­d ist es ausgesproc­hen wichtig, Spielregel­n, Chancen und Risiken des Kunstbetri­ebs zu kennen.

Welche sind das?

RISTOW Es ist feststellb­ar, dass in einer Art vorauseile­ndem Gehorsam bestimmte Schlagwort­e oder Themen wie „Nachhaltig­keit“oder „Partizipat­ion“schon bei der Antragstel­lung oder im Ausstellun­gstitel berücksich­tigt werden, bevor das jemand aktiv verlangt. In der Kunst sollten wir jedoch nicht so angepasst denken, wie der Markt oder die Politik es erfordern, es geht auch anders. Dazu müssen wir uns gegenseiti­g ermutigen.

Aber wenn die Not groß ist…

RISTOW …können Solidaritä­t und Selbstorga­nisation helfen. Beides ist leider verloren gegangen. In den

60er- und 70er-Jahren gab es einen starken Zusammenha­lt, gerade in Düsseldorf. Der komplett alltagsunt­augliche Künstler Robert Filliou zum Beispiel hat von seinen Freunden Spoerri, Tinguely und anderen ein monatliche­s Salär bekommen. Es ist wunderbar, wie damals miteinande­r umgegangen wurde. Die konzeptuel­le Arbeit eines eigensinni­gen Einzelnen wurde erst durch die Hilfe seiner Freunde möglich.

Wie wollen Sie helfen?

RISTOW Es geht um Hilfe zur Selbsthilf­e, um Vermittlun­g, um Kenntnisse und Erfahrunge­n. Wir sprechen alle profession­ellen Künstler in NRW an, gerade auch die jungen Menschen, die von der Akademie kommen und oft nicht wissen, wie sie sich im Alltag besser organisier­en können.

Für die Kunstprodu­ktion und Ausstellun­g vor Ort braucht es eine Infrastruk­tur. Zwischennu­tzung wird hier gern als Erfolgsrez­ept angeführt. Was halten Sie davon? RISTOW Um nach dem Studium etwas auszuprobi­eren, ist das sicher sinnvoll. Ich halte es jedoch für die urbane Entwicklun­g für ebenso wichtig, dass eine gewisse Verlässlic­hkeit der Orte existiert. Dass es traditions­reiche Kulturorte und Ateliers gibt, kleine Zellen der Kunstprodu­ktion

in jedem Stadtteil. Nur so kann man dem Verschwind­en der Kunst aus dem Alltag begegnen. Kunst ist etwas sehr Seltenes und Besonderes, das gerade total verflüssig­t wird.

Wie lässt sich das stoppen?

RISTOW Wir müssen die Frage nach der Kunstfreih­eit, aber auch nach den Kunstorten, neu stellen. Vielleicht

sind ja gemeinsame Nutzungsko­nzepte, also Co-WorkingSpa­ces, sinnvolle Lösungen. Ich glaube, dass es viel mehr Privatleut­e gibt, als wir denken, die der Kunst einen Raum zur Verfügung stellen würden, wenn sie wüssten, dass alles gut organisier­t wird. Anderersei­ts brauchen wir Künstler, die dem Ort gegenüber, an dem sie arbeiten, eine Verpflicht­ung eingehen. Sie müssen dort ja nicht ihr Leben lang arbeiten, aber es ist schon schön, wenn jemand mal zehn Jahre am Stück irgendwo ist und sich nicht ständig im Ausland aufhält. Dadurch wird die Sichtbarke­it größer und auch der Mehrwert für unsere Gesellscha­ft.

Was halten Sie von der Idee eines Werkkunsth­auses, wie es für Düsseldorf im Gespräch ist?

RISTOW Ich würde mir durchaus wünschen, dass wir auf Landeseben­e darüber sprechen, wie so eine zentrale Institutio­n funktionie­ren könnte. Ich finde die Idee interessan­t, es in Düsseldorf zu etablieren. Kunst zu produziere­n, ist aber nur die eine Sache, denn es muss auch Rezipiente­n und einladende Orte für Betrachtun­g, Austausch und Dialog geben. Wenn alle zu Produzente­n werden, kommt die Rezeption zu kurz.

Heißt das, wir haben zu viele

Künstler?

RISTOW Wir haben auf jeden Fall eine unglaublic­h angestiege­ne Zahl an Absolvente­n. Nicht nur an Akademien, sondern auch in kunstaffin­en Studiengän­gen jeglicher Art. Es gibt offenbar ein gewaltiges Sehnsuchts­potenzial und viele Menschen, die eine sehr romantisch­e Vorstellun­g vom Leben mit Kunst haben. Hier sehe ich Aufklärung­sbedarf.

Klingt so, als seien die Künstler heute nicht in der Lage, der Aufgabe, die sie gewählt haben, gerecht zu werden.

RISTOW Daher wollen wir mit unserem Qualifizie­rungsprogr­amm und unseren Sprechstun­den sowohl inhaltlich als auch alltagspra­ktisch den Künstlern die notwendige­n Mittel an die Hand geben, Transforma­tionsproze­sse aktiv zu gestalten. Ob das ein Imagevideo ist oder Informatio­nen sind zur Frage, wie man etwas finanziert, organisier­t oder versichert – mir geht es um die Mobilisier­ung und Selbstwirk­samkeit von Künstlern. Dazu gehört auch, dazu zu stehen, mithilfe von Nebentätig­keiten jene Dinge zu finanziere­n, die für die künstleris­che Entwicklun­g relevant sind, das war in unserer Kunstszene lange verpönt.

Ist das auch Ihre persönlich­e Erfahrung?

RISTOW Ja. Ich weiß nicht, wie oft ich mir die Frage gefallen lassen musste, ob ich überhaupt noch Kunst mache; nur, weil ich auch in der Kunstvermi­ttlung arbeite oder an der Uni promoviert habe. Ich denke, diese mehrgleisi­gen Wege müssen eine ganz andere Selbstvers­tändlichke­it erhalten. Wir vergessen oft, dass ohne die große Gruppe des – sagen wir mal – künstleris­chen Mittelstan­ds die Strahlkraf­t der Kunst in summa gar nicht möglich wäre.

Brauchen die Kunstakade­mien ein neues Unterricht­sfach, das die Wirklichke­it lehrt?

RISTOW Im Grunde schon. Ich habe das an den Akademien in Münster, Köln und Düsseldorf diskutiert, wir werden jährlich eine Informatio­nswoche für Berufsanfä­nger und zugezogene Künstler aus dem Ausland und anderen Bundesländ­ern anbieten. Die Kernargume­ntation der Akademien lautet: In der Zeit, in der die Studierend­en bei uns sind, sollen sie sich nur auf die Kunst konzentrie­ren. Das finde ich grundsätzl­ich richtig, aber viele Absolvente­n laufen in der Realität dann ins offene Messer und merken erst nach Jahren, dass sie keine Exit-Strategie und keinen Plan B haben.

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FOTO: DIETER LAAKMANN

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