MH17-Prozess vor dem Abschluss
Am Donnerstag endet das Verfahren um den Abschuss des Passagierflugzeugs. Dass die russischen Angeklagten ins Gefängnis kommen, ist nahezu ausgeschlossen. Der Fall bewegt die Niederlande bis heute.
AMSTERDAM Am frühen Nachmittag des 17. November werden sich in den Niederlanden alle Augen auf den Flughafen Schiphol richten. Im spezial gesicherten Sitzungssaal des dortigen Justiz-Komplexes wird der Gerichtshof Den Haag die Urteile im Prozess um den Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 verkünden. Nach mehr als zweieinhalb Jahren und 67 Sitzungstagen kommt das Marathon-Verfahren gegen die vier – freilich abwesenden – Hauptverdächtigen damit zu einem Ende. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Freiheitsstrafen.
„Viele haben lange auf diesen Tag gewartet“, sagte der Vorsitzende Richter Hendrik Steenhuis zu Beginn des Prozesses. Damals, am 9. März 2020, stand die Welt auf der Schwelle zur Covid-Pandemie. Der schwelende Konflikt im Osten der Ukraine rückte damit vollends in den Hintergrund. Nur in den Niederlanden hatte man durch den Abschuss einen direkten Bezug zu diesem Krieg. Monumente, jährliche Gedenkveranstaltungen und nicht zuletzt die Sitzungen des Prozesses am Flughafen hielten diesen Bezug auch bei jenen lebendig, die keine Angehörigen oder Freunde verloren hatten.
Durch die Ereignisse rund um den Abschuss – und damit ist nicht zuletzt die russische Totalverweigerung zur Zusammenarbeit und Aufklärung gemeint, die bis zu Manipulationsversuchen und Sabotage der Untersuchungen reichte – erscheinen die Bilder aus der Ukraine noch grauenhafter. Diese Feststellung geht auf den „Volkskrant“-Kolumnisten Remco de Ridder zurück, der sie Anfang März, kurz nach dem russischen Angriff auf die gesamte Ukraine, formulierte. De Ridder kam zu dem bitteren Schluss: „Genugtuung, Anerkennung, Verantwortung; schöne Worte, doch irgendwo verstehen wir, dass dies nie eintreten wird.“
Erst als das Joint Investigation Team (JIT) unter niederländischer Leitung sich zu einer transparenteren Kommunikation entschloss, die Angehörige aktiv einbezog, wendete sich das Blatt. Der JIT-Bericht 2018 lieferte unter anderem mit abgehörten Telefongesprächen prorussischer Separatisten überzeugendes Beweismaterial für den Abschuss der Boing 777 mit einer russischen BUK-Rakete aus dem Bestand der 53. Luftabwehrbrigade aus Kursk.
Das Passagierflugzeug von Malaysia Airlines war vom Amsterdamer Flughafen Schiphol gestartet und unterwegs nach Kuala Lumpur. Im Juni 2019 stellten die Ermittler vier Haftbefehle gegen die späteren Hauptverdächigen des Prozesses aus. Die Staatsanwaltschaft legt ihnen die Herbeiführung des Abschusses mit Todesfolge und Ermordung aller Passagiere zur Last.
Bei den Verhandlungen waren die Hauptverdächtigen freilich nie anwesend. Als einziger von ihnen ließ sich Oleg Pulatow, zur Tatzeit stellvertretender Geheimdienstchef der selbst ernannten Volksrepublik Donezk, von zwei niederländischen Anwälten vertreten, die jede Beteiligung ihres Klienten verneinten. Die Staatsanwaltschaft forderte im Dezember 2021 lebenslange Haftstrafen, was von den Angehörigen in den Niederlanden als wichtiger Schritt in Richtung Gerechtigkeit begrüßt wurde.
Hans de Borst, der bei der Katastrophe seine 17-jährige Tochter Elsemiek verlor, ist „sehr froh“, dass es nun zum Urteil kommt. „Wir mussten jahrelang darauf warten, weil Russland vom ersten Tag an alles mit Manipulationen und Verschwörungstheorien verzögerte.“Dass die Angeklagten weder beim Prozess anwesend waren noch bei einer Verurteilung tatsächlich ins Gefängnis kommen, ändert für ihn nichts am Wert des Prozesses. „Wir wussten, dass sie niemals ausgeliefert werden. Aber hätte man darum sagen sollen ‚Dann tun wir eben nichts?‘ Nein! Selbst wenn sie aus einem so mächtigen Land kommen, darf man Täter eines Massenmords nicht entkommen lassen.“Seine Trauer, sagt Hans de Borst, bleibe. Das Urteil aber bedeute Gerechtigkeit. „Das gibt mir Ruhe.“