Rheinische Post

Politikum auf dem Eis

Der Dopingfall der Eiskunstlä­uferin Kamila Walijewa liegt nun beim Sportgeric­htshof Cas. Die zuständige Agentur Wada fordert eine vierjährig­e Sperre.

- VON ANDREAS SCHIRMER UND HANNAH WAGNER

FRANKFURT (dpa) Geheimhalt­ung, Verzögerun­g, Empörung: Die Aufklärung des Dopingfall­s der Eiskunstlä­uferin Kamila Walijewa ist fast neun Monate nicht vorangekom­men. Auch, weil er zum Spielball der russischen Propaganda im Angriffskr­ieg gegen die Ukraine geworden ist. Nun ist Bewegung in die skandalöse Affäre gekommen: Auf Antrag der Welt-Anti-DopingAgen­tur (Wada) hat der Internatio­nale Sportgeric­htshof (Cas) die Causa übernommen und der russischen Agentur (Rusada) die Entscheidu­ng darüber weggenomme­n.

Die Wada ist von einem DopingVers­toß überzeugt und beantragte beim Cas eine vierjährig­e Sperre für die 16-jährige Europameis­terin. Außerdem sollen ihr alle gewonnenen Medaillen, Punkte und Preise, die sie seit dem positiven Dopingtest auf das Herzmittel Trimetazid­in am 25. Dezember 2021 errungen hat, aberkannt werden, teilte der Cas mit. „Wir können das nicht kommentier­en“, sagte Rusada-Chefin Veronika Loginowa, die die Wada-Frist zur Lösung des Falls bis 4. November verstreich­en ließ und ohnehin Ermittlung­en und Urteil geheim halten wollte.

Moskau hat die Ermittlung­en gegen Walijewa immer wieder als anti-russische Kampagne dargestell­t. „Das ist reine Politik“, heißt es bei „Sport 24“. Und: „In der Wada schikanier­en sie die Russin weiter“, schreibt das Portal „Sportbox“. Die Welt-Anti-Doping-Agentur ist seit Aufdeckung und Sanktionie­rung eines flächendec­kenden Dopings in Russland bis zum Olympia-Ausschluss ohnehin keine beliebte Organisati­on.

Der Fall ist juristisch höchst komplizier­t, wie sich bei den Olympische­n Winterspie­len im Februar im Peking erwies, wo das mutmaßlich­e Doping-Vergehen erst publik wurde.

Und zwar nachdem Walijewa mit dem russischen Team Olympiasie­gerin geworden war. Da sie zu dem Zeitpunkt erst 15 Jahre alt gewesen ist, galt sie gemäß Welt-Anti-Doping-Code als „geschützte Person“, deren Identität nicht genannt hätte werden dürfen. Die Geheimhalt­ung misslang. Ihr juristisch durchgeset­zter Start im Damen-Einzel endete als Skandal mit einer Kür unter Tränen auf dem vierten Olympia-Platz.

„Das ist schrecklic­h. Eine vierjährig­e Sperre? Das ist eine Katastroph­e“, sagte der bekannte russische Trainer Alexander Schulin. Kamila Walijewa sei nicht nur ein Talent, man könnte sagen, „sie ist ein Genie – und es ist so einfach, sie zugrunde zu richten“. Das sei alles Doppelmora­l.

Für Dmitri Swischtsch­ow, Mitglied im Sportaussc­huss der Staatsduma, ist diese Entwicklun­g keine Überraschu­ng: „Die Wada hätte nicht anders handeln können. Wir müssen uns einfach auf die Verteidigu­ng vorbereite­n.“Wann ein Urteil verkündet wird, konnte der Cas noch nicht angeben.

In der großen Eiskunstla­uf-Nation Russland wird die Entwicklun­g des Dopingfall­s aufmerksam verfolgt. Allzu optimistis­ch sind die meisten Kommentato­ren über den Ausgang nicht. Das Portal „Sport 24“etwa vermutet, die Rusada habe sich schlicht um eine Entscheidu­ng herum gewunden – weil sie bereits ahne, dass Walijewa letztendli­ch auf internatio­naler Ebene für schuldig befunden werde.

Ihrer Beliebthei­t tut das aber keinen Abbruch – im Gegenteil. Denn dass das gefeierte Wunderkind in Wirklichke­it unschuldig ist, davon sind in der Heimat viele überzeugt. „Ich bin nicht mit allen Nuancen vertraut, aber Walijewa ist sauber“, erklärte kürzlich die frühere Startraine­rin Tatjana Tarassowa. „Anders kann es nicht sein.“

Bei der Eiskunstla­uf-WM in Montpellie­r im März durfte Walijewa wie alle russischen Läufer in Folge des Krieges gegen die Ukraine nicht an den Start gehen. Ende Oktober stand die Vierfachsp­ringerin bei einem nationalen Wettbewerb in Moskau wieder auf dem Eis. Fragen nach ihrem Dopingfall waren Tabu. „Es war doch klar, dass ich zu diesem Thema nichts sagen würde“, sagte Walijewa patzig und betonte vielmehr: „Es ist cool, dass ich wieder zurück auf dem Eis bin. Ich war wieder voller Adrenalin, das war ein gutes Gefühl.“

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Kamila Walijewa nach ihrem Auftritt im Februar bei Olympia in Peking.

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