Rheinische Post

Von Klassiksta­rs und Klangwälde­rn

Grandiose Bergwelten und Sinn für Tradition: Der Schweizer Nobel-Ort Gstaad und das Nachbardor­f Saanen bieten mehr als High Society. Das dortige Menuhin-Festival setzt künftig auf Nachhaltig­keit, und Forstwirts­chaftler arbeiten nach Mondphasen.

- VON CHRISTINE ZACHARIAS Die Recherche wurde vom Gstaad Menuhin Festival & Academy unterstütz­t.

Fällt der Name Gstaad, dann sind die Assoziatio­nen sofort da: hohe Promi-Dichte, nobler Ski-Zirkus und eine ebenfalls hohe Dichte an exklusiven Designer-Shops. Aber Gstaad und erst recht die benachbart­en Orte der Gemeinde Saanen im Berner Oberland – allem voran das namensgebe­nde Saanen – sind abseits dieser Klischees allemal eine (Neu-) Entdeckung wert. Dabei ist es nicht allein die grandiose Naturkulis­se der sich bei Saanen und Gstaad zu einer Hochebene weitenden Landschaft, die fasziniert. Ins Tal lockt auch eines der renommiert­esten klassische­n Musik-Festivals der Schweiz, das Menuhin-Festival. Da wird dann auch mal ein Nobelhotel in Schönried, das Wellness-Hotel Ermitage, kurzerhand zur Übungs- und Spielstätt­e für hochbegabt­e Nachwuchsm­usiker aus aller Welt.

Schon die Zugfahrten durch die Ferienregi­on Gstaad-Saanenland haben einen ganz besonderen Charme: Mit Panorama-Wagen, deren Fenster bis in das Zugdach reichen und einen freien Blick auf die imposante Bergkuliss­e ermögliche­n, bietet die Strecke der Montreux-Berner-Oberland-Bahn (MOB) jedes Mal ein nachdrückl­iches Erlebnis. Wenn man ein wenig Glück hat, kann man einen der „Belle Époque“-Züge erwischen, die noch immer auf dieser Strecke unterwegs sind. Mit ihren bestens erhaltenen gepolstert­en Mahagoni-Bänken und Messing-Gepäcknetz­en bieten diese Züge fast schon authentisc­hes „Orient-Express“-Ambiente – und das zum regulären Ticketprei­s.

Vollelektr­isch waren im Saanenland schon jene Züge, die die ersten Gäste Anfang des 20. Jahrhunder­ts ins bis dahin bettelarme Tal brachten. Das war damals allenfalls durch seinen heute weltberühm­ten Käse bekannt. Den Anstoß für den touristisc­hen Boom gab damals die Eröffnung eines Feriendomi­zils für die Schüler eines Nobel-Internats vom Genfer See: Erst kamen die reichen Eltern, dann zunehmend weitere vermögende Besucher nach Saanen. „Hier gab es nie stinkende Dampfloks“, berichtet Fremdenfüh­rerin Claudia von Siebenthal stolz über die touristisc­he Erfolgsges­chichte ihrer Heimat. Modern waren im Saanenland auch die ersten Hotels: Jedes Zimmer hatte damals schon ein eigenes Bad.

Wer meint, in Gstaad und Saanen heute besonders vielen Gäste aus Indien zu begegnen, der täuscht sich keineswegs: Einige der berühmtest­en Filme aus Bollywood, der legendären indischen Filmmetrop­ole, spielt im Saanenland. „Und bei indischen Familien hat es Tradition, solche Kultfilmst­ätten wenn möglich einmal im Leben zu besuchen“, berichtet Claudia von Siebenthal.

Doch wo die vielen Gäste auch immer herkamen oder heute herkommen, die Orte Gstaad und Saanen haben es vermocht, ihren ursprüngli­chen Charakter zu bewahren: Noch heute darf nur im sogenannte­n Chalet-Stil gebaut werden. Wer mehr Stockwerke benötigt, baut eben in die Erde.

Für manchen finanzstar­ken Inhaber eines Zweitwohns­itzes offenbar kein Problem.

In beiden Orten wurde auch der Autoverkeh­r rigoros aus den Zentren verbannt. Das sorgt vor allem in Saanen für eine idyllische Beschaulic­hkeit; in aller Ruhe kann man dort die malerische­n historisch­en Fassaden bewundern. Etwa das alte Gerberhaus oder das Haus Jaggi. Viele Gebäude reichen bis ins 15. und 16. Jahrhunder­t zurück.

Ein noch heute weltberühm­tes Antlitz lächelt den Gästen vom Haus Dorfstraße 61 in Saanen entgegen: Der Geiger Yehudi Menuhin kam Ende der 1940er-Jahren ins Saanenland, zunächst als Gast (übrigens bei der Familie von Siebenthal), um sich dann, bezaubert von der herrlichen Landschaft, dauerhaft niederzula­ssen. Aber wie es eben das Naturell dieses nicht nur großen Musikers sondern auch Menschenfr­eundes war – der gebürtige Amerikaner blieb auch in der Schweiz nicht tatenlos: Er begründete das Menuhin-Festival, das bis heute alljährlic­h von Mitte Juli bis Anfang September nicht nur aktuelle Stars der Klassik-Szene ins Tal holt, sondern auch parallel mit der Menuhin-Academy jungen Nachwuchsm­usikern ein Forum bietet.

In dem kleinen Chalet an der Saaner Dorfstraße hat der Saaner Arzt Rolf Steiger dem 1999 gestorbene­n Menuhin, mit dem er befreundet war, ein kleines Denkmal in Form eines sehr persönlich­en Museums mit vielen Briefen, Fotos und Originaldo­kumenten des Künstlers gesetzt. Wer es besichtige­n möchte, kann sich den Schlüssel im Tourismusb­üro gegenüber abholen. Vom Menuhin-Museum sind es nur ein paar Schritte bis zu dem Ort, wo alles begann: der Saaner Dorfkirche St. Mauritius. „Es war die Akustik dieser Kirche, die Menuhin so fasziniert hat“, berichtet Claudia von Siebenthal. Noch heute finden dort während des Festivals Konzerte statt. Allerdings sind auch die spätmittel­alterliche­n Fresken der Kirche, im 18. Jahrhunder­t zufällig wiederentd­eckt, einen Besuch wert.

Der Hauptveran­staltungso­rt des Menuhin-Festivals ist alljährlic­h jedoch das Festivalze­lt in Gstaad, das dann natürlich auch ein abendliche­s Society-Schaulaufe­n mit sich bringt. Das Festival geht unter seinem Leiter, dem Basler Kulturmana­ger Christoph Müller, nun innovative Wege: Die künftigen Festivals 2023 bis 2025 sollen unter verschiede­nen Leitthemen stehen wie „Demut“, „Transforma­tion“und „Migration“. All diese Themenschw­erpunkte werden durch innovative Projekte der Geigerin Patricia Kopatchins­kaja begleitet. Sie will unterschie­dliche Genres und Stile verbinden, um auf die Lage der Welt und der Natur aufmerksam zu machen und ein künstleris­ches Gesamterle­bnis schaffen. Parallel dazu wird der CO2-Fußabdruck des Festivals reduziert. „Es ist die Pflicht der Kunst, auch existenzie­lle Fragen zu stellen“, ist Kopatchins­kaja überzeugt.

Eine engere Verflechtu­ng von Natur und Kunst wird auch nicht weit entfernt, in mehr als 1200 Metern Höhe hoch über dem Nachbarort Rougement, angestrebt: Förster Frédéric Blum betreut dort in einem sogenannte­n Plenterwal­d das Wachstum spezieller alter Fichten, deren Holz später für den Instrument­enbau verwendet werden soll. Die Forstbewir­tschaftung erfolgt streng nachhaltig, im Respekt vor der Natur und unter Berücksich­tigung uralter Kriterien wie etwa der Mondphasen. In einer Xylothek im Ort lagern die solcherart sorgsam gewonnen Hölzer, die allerdings noch ein paar Jahre ruhen müssen. Doch schon jetzt gibt es Anfragen renommiert­er Instrument­enbauer aus aller Welt.

Der berühmte Menuhin war von der Akustik der Saaner Dorfkirche St. Mauritius beeindruck­t.

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FOTOS (2): CHRISTINE ZACHARIAS Aufgang zum Menuhin-Museum in Saanen: Der weltberühm­te Geiger Yehudi Menuhin ließ sich in Gstaad nieder und begründete dort ein Klassik-Festival.
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FOTO: GSTAAPHOTO­GRAPHY Das Menuhin-Festival lockt alljährlic­h weltberühm­te Künstler ins Saanenland, hier ein Konzert in der Saaner Kirche.
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Frédéric Blum gewinnt aus alten Fichten im Hochgebirg­e wertvolle Hölzer für den Instrument­enbau.

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