Von Klassikstars und Klangwäldern
Grandiose Bergwelten und Sinn für Tradition: Der Schweizer Nobel-Ort Gstaad und das Nachbardorf Saanen bieten mehr als High Society. Das dortige Menuhin-Festival setzt künftig auf Nachhaltigkeit, und Forstwirtschaftler arbeiten nach Mondphasen.
Fällt der Name Gstaad, dann sind die Assoziationen sofort da: hohe Promi-Dichte, nobler Ski-Zirkus und eine ebenfalls hohe Dichte an exklusiven Designer-Shops. Aber Gstaad und erst recht die benachbarten Orte der Gemeinde Saanen im Berner Oberland – allem voran das namensgebende Saanen – sind abseits dieser Klischees allemal eine (Neu-) Entdeckung wert. Dabei ist es nicht allein die grandiose Naturkulisse der sich bei Saanen und Gstaad zu einer Hochebene weitenden Landschaft, die fasziniert. Ins Tal lockt auch eines der renommiertesten klassischen Musik-Festivals der Schweiz, das Menuhin-Festival. Da wird dann auch mal ein Nobelhotel in Schönried, das Wellness-Hotel Ermitage, kurzerhand zur Übungs- und Spielstätte für hochbegabte Nachwuchsmusiker aus aller Welt.
Schon die Zugfahrten durch die Ferienregion Gstaad-Saanenland haben einen ganz besonderen Charme: Mit Panorama-Wagen, deren Fenster bis in das Zugdach reichen und einen freien Blick auf die imposante Bergkulisse ermöglichen, bietet die Strecke der Montreux-Berner-Oberland-Bahn (MOB) jedes Mal ein nachdrückliches Erlebnis. Wenn man ein wenig Glück hat, kann man einen der „Belle Époque“-Züge erwischen, die noch immer auf dieser Strecke unterwegs sind. Mit ihren bestens erhaltenen gepolsterten Mahagoni-Bänken und Messing-Gepäcknetzen bieten diese Züge fast schon authentisches „Orient-Express“-Ambiente – und das zum regulären Ticketpreis.
Vollelektrisch waren im Saanenland schon jene Züge, die die ersten Gäste Anfang des 20. Jahrhunderts ins bis dahin bettelarme Tal brachten. Das war damals allenfalls durch seinen heute weltberühmten Käse bekannt. Den Anstoß für den touristischen Boom gab damals die Eröffnung eines Feriendomizils für die Schüler eines Nobel-Internats vom Genfer See: Erst kamen die reichen Eltern, dann zunehmend weitere vermögende Besucher nach Saanen. „Hier gab es nie stinkende Dampfloks“, berichtet Fremdenführerin Claudia von Siebenthal stolz über die touristische Erfolgsgeschichte ihrer Heimat. Modern waren im Saanenland auch die ersten Hotels: Jedes Zimmer hatte damals schon ein eigenes Bad.
Wer meint, in Gstaad und Saanen heute besonders vielen Gäste aus Indien zu begegnen, der täuscht sich keineswegs: Einige der berühmtesten Filme aus Bollywood, der legendären indischen Filmmetropole, spielt im Saanenland. „Und bei indischen Familien hat es Tradition, solche Kultfilmstätten wenn möglich einmal im Leben zu besuchen“, berichtet Claudia von Siebenthal.
Doch wo die vielen Gäste auch immer herkamen oder heute herkommen, die Orte Gstaad und Saanen haben es vermocht, ihren ursprünglichen Charakter zu bewahren: Noch heute darf nur im sogenannten Chalet-Stil gebaut werden. Wer mehr Stockwerke benötigt, baut eben in die Erde.
Für manchen finanzstarken Inhaber eines Zweitwohnsitzes offenbar kein Problem.
In beiden Orten wurde auch der Autoverkehr rigoros aus den Zentren verbannt. Das sorgt vor allem in Saanen für eine idyllische Beschaulichkeit; in aller Ruhe kann man dort die malerischen historischen Fassaden bewundern. Etwa das alte Gerberhaus oder das Haus Jaggi. Viele Gebäude reichen bis ins 15. und 16. Jahrhundert zurück.
Ein noch heute weltberühmtes Antlitz lächelt den Gästen vom Haus Dorfstraße 61 in Saanen entgegen: Der Geiger Yehudi Menuhin kam Ende der 1940er-Jahren ins Saanenland, zunächst als Gast (übrigens bei der Familie von Siebenthal), um sich dann, bezaubert von der herrlichen Landschaft, dauerhaft niederzulassen. Aber wie es eben das Naturell dieses nicht nur großen Musikers sondern auch Menschenfreundes war – der gebürtige Amerikaner blieb auch in der Schweiz nicht tatenlos: Er begründete das Menuhin-Festival, das bis heute alljährlich von Mitte Juli bis Anfang September nicht nur aktuelle Stars der Klassik-Szene ins Tal holt, sondern auch parallel mit der Menuhin-Academy jungen Nachwuchsmusikern ein Forum bietet.
In dem kleinen Chalet an der Saaner Dorfstraße hat der Saaner Arzt Rolf Steiger dem 1999 gestorbenen Menuhin, mit dem er befreundet war, ein kleines Denkmal in Form eines sehr persönlichen Museums mit vielen Briefen, Fotos und Originaldokumenten des Künstlers gesetzt. Wer es besichtigen möchte, kann sich den Schlüssel im Tourismusbüro gegenüber abholen. Vom Menuhin-Museum sind es nur ein paar Schritte bis zu dem Ort, wo alles begann: der Saaner Dorfkirche St. Mauritius. „Es war die Akustik dieser Kirche, die Menuhin so fasziniert hat“, berichtet Claudia von Siebenthal. Noch heute finden dort während des Festivals Konzerte statt. Allerdings sind auch die spätmittelalterlichen Fresken der Kirche, im 18. Jahrhundert zufällig wiederentdeckt, einen Besuch wert.
Der Hauptveranstaltungsort des Menuhin-Festivals ist alljährlich jedoch das Festivalzelt in Gstaad, das dann natürlich auch ein abendliches Society-Schaulaufen mit sich bringt. Das Festival geht unter seinem Leiter, dem Basler Kulturmanager Christoph Müller, nun innovative Wege: Die künftigen Festivals 2023 bis 2025 sollen unter verschiedenen Leitthemen stehen wie „Demut“, „Transformation“und „Migration“. All diese Themenschwerpunkte werden durch innovative Projekte der Geigerin Patricia Kopatchinskaja begleitet. Sie will unterschiedliche Genres und Stile verbinden, um auf die Lage der Welt und der Natur aufmerksam zu machen und ein künstlerisches Gesamterlebnis schaffen. Parallel dazu wird der CO2-Fußabdruck des Festivals reduziert. „Es ist die Pflicht der Kunst, auch existenzielle Fragen zu stellen“, ist Kopatchinskaja überzeugt.
Eine engere Verflechtung von Natur und Kunst wird auch nicht weit entfernt, in mehr als 1200 Metern Höhe hoch über dem Nachbarort Rougement, angestrebt: Förster Frédéric Blum betreut dort in einem sogenannten Plenterwald das Wachstum spezieller alter Fichten, deren Holz später für den Instrumentenbau verwendet werden soll. Die Forstbewirtschaftung erfolgt streng nachhaltig, im Respekt vor der Natur und unter Berücksichtigung uralter Kriterien wie etwa der Mondphasen. In einer Xylothek im Ort lagern die solcherart sorgsam gewonnen Hölzer, die allerdings noch ein paar Jahre ruhen müssen. Doch schon jetzt gibt es Anfragen renommierter Instrumentenbauer aus aller Welt.
Der berühmte Menuhin war von der Akustik der Saaner Dorfkirche St. Mauritius beeindruckt.