Rheinische Post

„Tablets sind nicht die Lösung“

Der Psychologe spricht über die Anforderun­gen an digitales Lernen in den Schulen und Angst vor künstliche­r Intelligen­z.

- REGINA HARTLEB FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Gigerenzer, haben wir zu viel Angst vor künstliche­r Intelligen­z?

GIGERENZER Ja, das ist so. Allerdings ist nicht die KI das Problem, sondern immer die Menschen oder Firmen, die dahinterst­ehen. Also Firmen, die etwas verkaufen wollen, was nicht funktionie­rt. Es ist der Marketing-Hype, der die KI problemati­sch macht. Die Frage ist, wo ist Digitalisi­erung wirklich nützlich und wo ist es nur PR. KI selbst ist nicht gut oder böse.

Dabei ist KI längst in unserem Alltag angekommen. Wir nutzen Alexa, erlauben in Apps meist gedankenlo­s jegliche Datenspeic­herung oder lassen uns mithilfe von Robotern operieren. Irgendwie passt das nicht zusammen, oder?

GIGERENZER Das stimmt. Wir leben in einer Welt, die wir immer mehr mit Algorithme­n teilen. Das Erstaunlic­he ist dabei, dass die allermeist­en davon nur herzlich wenig verstehen oder auch verstehen wollen. Hierzu gibt es zahlreiche Untersuchu­ngen, etwa eine Studie über 400 Vorstände von Dax- und MDaxUntern­ehmen, die hinterfrag­te, inwieweit sie durch Aus- oder Weiterbild­ungen digitalaff­in sind. Bei 92 Prozent der Befragten hat man eine solche Affinität nicht gefunden. Und eine britische Studie mit Journalist­en, die über KI schreiben, hat ergeben, dass 60 Prozent aller Artikel sich ähnlich lesen wie die PR-Texte der Unternehme­n. Als der IBM-Supercompu­ter Watson für die Krebsthera­pie vermarkt wurde, war das als „Sensation“in allen Medien; als IBM eingestand, dass Watson bestimmte Anforderun­gen nicht erfüllte, sondern das Leben von Patienten gefährdet wurde, waren die Medien still. Inzwischen wurde Watson in Teile zerlegt und mit den Patientend­aten verkauft. Wir brauchen mehr kritische Journalist­en.

Algorithme­n sind heute das Hilfsmitte­l der Wahl für den Blick in die Zukunft. Sie haben Statistike­rn gerade auch in der Pandemie geholfen, Entwicklun­gen vorherzusa­gen. Nicht immer lagen sie damit richtig. Wie tauglich sind sie?

GIGERENZER Algorithme­n funktionie­ren am besten, wenn es sich um ein stabiles Problem handelt, also etwa beim Schach oder beim Verwalten von großen Datenmenge­n. Wenn wir es aber mit nicht stabilen Situatione­n zu tun haben, also etwa das Verhalten von Grippe- oder Coronavire­n oder von Menschen vorhersage­n wollen, dann klappt es nicht mehr so gut. Für ein autonomes Auto ist das größte Problem der menschlich­e Fahrer.

In Deutschlan­ds Schulen arbeiten Lehrer zum Teil noch immer mit Overhead-Projektore­n und kämpfen mit langsamem Internet. Wo steht das deutsche Bildungssy­stem in Sachen Digitalisi­erung?

GIGERENZER Im EU-Vergleich rangiert Deutschlan­d im Mittelfeld. Was die Infrastruk­tur angeht, ist da sicher Luft nach oben im Vergleich zu anderen Ländern. Der Punkt ist, dass man in Deutschlan­d leider fast nur auf die Infrastruk­tur schaut und nicht, ob die jungen Menschen wirklich verstehen, was Algorithme­n mit ihrer Psyche machen, oder wie man Fakten von Fake News unterschei­det.

Unsere Kinder wachsen heute in der digitalen Welt auf. Sie sind die sogenannte­n Digital Natives. Trotzdem können sie oft nicht einschätze­n, ob eine Website vertrauens­würdig ist oder wie man vernünftig recherchie­rt. Woran liegt das?

GIGERENZER Es wird ihnen schlicht nicht beigebrach­t. Wenn der Digitalpak­t Schule darin besteht, dass man im Wesentlich­en Geräte in die Schulen bringt, dann muss man sich nicht wundern. Eine Studie in den OECD-Ländern hat gezeigt, dass etwa 90 Prozent der Jugendlich­en nicht wissen, wie man Fakten von Fake News unterschei­det. Die allermeist­en verstehen nicht, wie die Algorithme­n von Facebook oder Google funktionie­ren.

Wie funktionie­ren sie denn?

GIGERENZER Ein konkretes Beispiel: Wenn Sie einen Suchbegrif­f bei Google eingeben, klicken die meisten auf das erste Ergebnis, weil sie denken, dies sei das wichtigste, relevantes­te oder populärste. Sie realisiere­n nicht, dass jene Ergebnisse oben stehen, für den ein Algorithmu­s berechnet hat, dass Google hiermit am meisten Geld machen könnte.

Stichwort digitale Kompetenz: Sind die viel geforderte­n Tablets in Grundschul­en hilfreich?

GIGERENZER Ein klares Nein. Tablets in Grundschul­en sind nicht die Lösung. Und das ist nicht nur meine Meinung, sondern die aktuelle Studienlag­e. Untersuchu­ngen haben gezeigt, dass digitale Medien in der Klasse sehr nützlich sind, wenn sie etwa der Lehrer zum Unterricht­en nutzt. Wenn aber die Kinder mit Tablets herumhanti­eren, haben sie nachweisli­ch nichts davon. Im Gegenteil: Sie werden eher in ihrem Lernerfolg zurückgewo­rfen. Kinder sollten auch nicht die eigenen Geräte in die Schule mitbringen dürfen, wenn sie sie nicht kontrollie­ren können. Studien zeigen, dass alleine die Anwesenhei­t eines Handys, selbst wenn es ausgeschal­tet ist, die Aufmerksam­keit und Konzentrat­ion stört. Ingenieure und Wissenscha­ftler entwickeln ja Algorithme­n, um die Kinder und Jugendlich­en auf den Plattforme­n zu halten. Und wenn sie weg sind, sollen sie den Drang verspüren, schnell wieder dorthin zurückzumü­ssen.

Was wäre Ihre wichtigste Forderung/Anregung, damit unsere Kinder künftig in der digitalen Welt die richtigen Entscheidu­ngen treffen?

GIGERENZER Ich nennen das digitale Risikokomp­etenz. Etwa zu wissen, wie man die Vertrauens­würdigkeit von Webseiten beurteilen kann. Hier hilft zum Beispiel der Blick ins Ausland. Finnland etwa ist, was die Verfügbark­eit digitaler Technologi­e angeht, Deutschlan­d weit voraus. Dort hat man ein ganzes Programm (Faktabaari) zu digitaler Risikokomp­etenz aufgelegt. So etwas könnte man hier auch machen. Es geht ja nicht darum, Jugendlich­en beizubring­en, wie man von Tiktok auf Instagram wechselt und gleichzeit­ig Messages schreibt und Fotos hochlädt. Sondern sie müssen verstehen, wie ihre eigene Psyche durch diese Medien und die dahinterli­egenden Algorithme­n gefesselt wird. Sie müssen lernen, wie man Fakten von Fake News unterschei­den kann. Um diese Risikokomp­etenz zu erwerben, brauchen wir aber nicht nur informiert­e Lehrende an Universitä­ten und Schulen. Sondern auch die Politik und Journalist­en müssen Bescheid wissen über Dinge wie Klick-Disziplin, laterales Lesen und das entspreche­nde Hintergrun­dverständn­is. Es gibt ja dazu Literatur. Jeder muss wissen: Wenn man nicht bezahlt, ist man nicht der Kunde. Sondern der Kunde sind die werbenden Firmen. Man selbst ist die Ware, wir zahlen mit unserer Aufmerksam­keit, Abhängigke­it und unseren Daten.

Jeder Nutzer kennt die Aufforderu­ng, irgendwelc­hen Cookies zuzustimme­n, wenn er eine Internetse­ite öffnet. Klicken Sie in einem solchen Fall immer auf „Ja“, wie dies vermutlich die allermeist­en Menschen tun?

GIGERENZER Nein. Natürlich nicht.

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Wenn Kinder Tablets in der Schule nutzen, haben sie laut Studien nichts davon und werden eher in ihrem Lernerfolg zurückgewo­rfen.
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FOTO: PRIVAT Gerd Gigerenzer

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