Rheinische Post

Liebeserkl­ärung an das Alltäglich­e

Die Akademie-Galerie entdeckt den Maler Dieter Krieg neu. Die Werke des früheren Professors wirken durch gigantisch­en Realismus.

- VON HELGA MEISTER

DÜSSELDORF Dieter Krieg (1937– 2005) gilt als Künstler, der in XXLGestalt den alltäglich­sten Dingen wie einem Kotelett und einem Spiegelei Gestalt verlieh. Ein malerische­s Genie, das die Dinge mit Furor beseelte und zugleich mit aller Macht wieder auflöste. Dabei war er kein Malerschwe­in, sondern ein intellektu­eller Künstler, galt sogar als einer der wichtigste­n Deutschlan­ds, und aus seiner Klasse gingen viele gleichfall­s geniale Künstler hervor. Von 1978 bis 2002 war er Professor an der Kunstakade­mie. Erst jetzt, 17 Jahre nach seinem Tod, sind einige Werke von ihm in der Akademie-Galerie zu sehen.

Rektor Norbert Kricke entdeckte Kriegs Talent, als er auf der Documenta in Kassel ausstellte. Schnell wie dieser Rektor war auch Günter Aust vom Wuppertale­r Von der Heydt-Museum. Denn als Krieg 1978 mit dem Steinbildh­auer Ulrich Rückriem die Bundesrepu­blik auf der Biennale in Venedig vertrat, sicherte er sich eine große Papierarbe­it, ohne Glas und Rahmen. Sie bestand aus zwei Teilen in Acryl auf Papier und war einfach an die Wände geheftet. Nun kehrt sie als Leihgabe nach Düsseldorf zurück. So beginnt die Ausstellun­g am Burgplatz.

Doch die frühen Bilder sind noch etwas schwammig und schlierig. Der merkwürdig dekonstrui­erte Körper scheint unter der flüssigen Farbe ins Gleiten und Rutschen zu kommen. Leider befindet sich simples Glas auf dem Papier, das den Blättern ihre Tiefe und ihren farbigen Glanz raubt und sie wie Fotos filtert.

Krieg – wie seine kleine Klasse – genoss es, nicht wild und nicht minimal zu erscheinen, und sie wollte schon gar nicht für den Markt produziere­n. Der Lehrer kniete sich in seinem Atelier in Quadrath-Ichendorf in Kohle, Acryl und Silikon, und seine Eleven waren im Gegensatz zu diesem bescheiden­en, ruhigen, extrem belesenen Mann wie die kleinen Teufel, die in Abrisshall­en und verlassene­n Bahnhöfen ihre ebenfalls grandiosen Bilder malten. Es muss ein Geben und Nehmen gewesen sein, denn einige dieser Studenten wurden selbst Professore­n wie Andreas Schulze, Cornelius Völker, Dietmar Lutz und Cordula Güdemann oder so berühmt wie Sophie von Hellermann, die Windsbraut der Malerei. Schade, dass die Düsseldorf­er Museen all diesen Talenten die Aufmerksam­keit verweigert­en, die sie verdienten. Selbst die Kunstsamml­ung als Staatsgale­rie des Landes beherbergt kein einziges Werk.

Kuratorin Vanessa Sondermann, die den Künstler nicht selbst erlebte, legt den Akzent seines Schaffens im Gespräch mit dem Soziologen Hans Peter Thurn auf die Literatur. In der Tat hatte Krieg ein Faible für Dichter wie Beckett. Aber das Beckett-Gemälde „Watt“von 1991, das am Burgplatz zu sehen ist, ist mehr als die Illustrati­on des berühmten Stücks vom Herrn und seinem Knecht. Krieg, der Maler, überführte das Buch mit leiser Ironie in wahnsinnig­e Malerei und bewies dies in fiesen, kalten, giftigen sowie wärmeren, gelblichen Grüntönen. Zugleich scheint das Buch mit dem grandiosen Maldeckel wie auf hellen, himmlische­n Wolken zu schweben. Man kann der Deutschen Bank nur gratuliere­n, dass sie es in ihrer Sammlung hat.

Die Ausstellun­g trägt den vielsagend­en Titel „Gut für die Aug‘n“. Dies entspricht auch einer Werkreihe, die der Künstler für das Bundesfors­chungsinst­itut für Ernährung und Lebensmitt­el in Karlsruhe schuf. Eine Persiflage auch dies. Zu sehen sind drei Mohrrüben, die bekanntlic­h als Vitaminspe­nder unerlässli­ch für das Augenlicht sind. Für Krieg war es köstlich, einem Institut der Ernährung mit roten Möhren zu dienen, die er auf Blaupausen pinselte, aber mit schwarzen Schatten sprayte – nach dem Motto: Achtung, passt auf, was ich mit der Illusion des Bildes mache.

Krieg pflegte den Betrachter­n heimzuleuc­hten, mit Motiven von Taschenlam­pen, deren Farbe ins Auge springt, aber auch mit schwarzen Gummiringe­n, die ein absurdes Leben auf dem Boden fristen. Er liebte das Banale und Alltäglich­e wie Salatköpfe und Kanapees. Aber er war kein Duchamp, der sich mit dem Ready Made zufriedeng­ab. Sein Spiegelei in Übergröße ist so süffig in den Gelb- und Rottönen und den aufgesetzt­en Schlaglich­tern, dass man es am liebsten vertilgen möchte. Läge da nicht ein halbes Pfund Malbutter obenauf, und würde die Kalorienbo­mbe nicht auf einem so schrundige­n, dunklen Braunschwa­rz gebettet sein, als müsste man das Ei vom Bürgerstei­g und nicht von einer karierten Tischdecke abheben. Auch hier trifft der Titel „Gut für die Aug‘n“zu, denn das Hühnerei enthält ebenfalls fast alle Vitamine und verbessert etwa die Nachtsicht des Menschen.

Mit seinem gigantisch­en Realismus und der Strahlkraf­t seiner Farben schob Krieg dem Gerede vom Ende der Malerei einen Riegel vor und zelebriert die Anfänge einer neuen, vitalen, doppeldeut­igen und dennoch brillanten Kunst. Dass er gleichzeit­ig enorm labil, pessimisti­sch im Denken war und den Tod lange vor Augen sah, bevor er ihm selbst die Tür öffnete, wird in seinen Schriftbil­dern deutlich. Da ist vom „schönen Tod“, vom „Heiligensc­hein“im Weinparadi­es und von vielen kopflosen Gestalten die Rede, die offensicht­lich allzu selten Mohrrüben gegessen haben. Er pflegte sich letztlich auch selbst zu verletzen, verschluck­te immer mehr die Laute, setzte rudimentär­e Ausrufe wie „Ach“und „Oh“auf die Farbe, im Wissen um das nahende eigene Ende.

Er war ein Wilder, was den Malauftrag betrifft, ein Lyriker in der Zusammensc­hau der Töne, und ein Realist, wenn man seine Gegenständ­e erriet. Seine Malerei-Schauplätz­e erinnern an absurde Theaterstü­cke.

Ein malerische­s Genie, das die Dinge mit Furor beseelte und zugleich mit aller Macht wieder auflöste

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FOTO: VG BILD-KUNST, STIFTUNG DIETER KRIEG, FOTO: KAI WERNER SCHMIDT Dieter Kriegs Werk „Ohne Titel“entstand von 1995 bis 1996.

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