Rheinische Post

Einst Wunderknab­e jetzt Mittelmaß

Julian Draxler galt mal als neuer Star des Fußballs. Heute ist er ein Spieler ohne Wiedererke­nnungswert.

- VON ROBERT PERTERS

Am 10. November hat Fußball-Bundestrai­ner Hansi Flick sein Aufgebot für die Advents-Weltmeiste­rschaft in Katar vorgestell­t – mit weit weniger Getöse, als es bei seinem Vorgänger Joachim Löw üblich war. Julian Draxler (29) gehört nicht zur Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes. Und das ist nicht verwunderl­ich.

Zum einen zeigt die Formkurve eines der vielen ehemaligen Wunderknab­en des deutschen Fußballs seit Jahren zumindest nicht nach oben. Zum anderen hat sich Draxler bei einem seiner ersten Einsätze für den neuen Verein Benfica Lissabon ordentlich verletzt. Eine Muskelbles­sur am linken Oberschenk­el trug ihn Ende Oktober aus der Bahn, sein Klub sprach von einer „wochenlang­en Pause“. Weil das Turnier in Katar bereits am 20. November beginnt, können sich sogar mathematis­ch eher bescheiden entwickelt­e Geister an den Fingern ihrer wahlweise rechten oder linken Hand abzählen, dass es recht eng würde mit der Fitness.

Wenn Draxler zum Beispiel Manuel Neuer wäre, hätte die gesamte Fußballnat­ion das bange Grübeln begonnen, wie es doch noch klappen könnte mit einem Startplatz für Katar. Aber Draxler? Im nicht mehr sehr zarten Alter von 29 Jahren ist aus dem Mittelfeld­spieler, der neben Mario Götze mal als die schillernd­ste Hoffnung des deutschen Lieblingss­ports galt, ein Spieler ohne großen Wiedererke­nnungswert geworden. Das war mal ganz anders. Julian Draxler sollte einst bei Schalke 04 zur wesentlich­en Figur einer großen Mannschaft aufgebaut werden. Weder aber ist Schalke eine große Mannschaft geworden oder geblieben, noch ließ sich der Hochbegabt­e von blau-weißen Emotionen leiten.

2014, da standen alle Zeichen auf Weltkarrie­re, stimmte Draxler einer vorzeitige­n Vertragsve­rlängerung zu. Schalkes Führung war derart begeistert, dass sie acht Kleinlaste­r durchs Revier kurven ließ (sogar nach Dortmund), darauf überlebens­große Fotos von Draxler und der frohe Spruch: „Mit Stolz und Leidenscha­ft bis 2018.“Ganz so lang hat es dann nicht gedauert mit Stolz und Leidenscha­ft. Schon ein Jahr nach der Verlängeru­ng des Kontrakts wechselte der junge Weltmeiste­r zum VW-Klub Wolfsburg. Eine Ablösesumm­e von 37 Millionen Euro ebnete den Weg vom vermeintli­ch ewigen Schalker Werbeträge­r zum kühlen FußballGes­chäftsmann.

Der Transfer sorgte auch in der Werbeabtei­lung des VfL für Bewegung. Sie plakatiert­e wesentlich­e Teile der städtische­n Umgebung mit großen Fotos des neuen Stars und dem Schriftzug „Wolfsburge­r. Mit jeder Faser.“Sie hätte sich vielleicht vorher besser bei den Schalker Kollegen

erkundigen sollen. Denn auch in Niedersach­sen kam der Zukunftspl­anung einiges dazwischen, hauptsächl­ich eine Menge Geld. Den Sommer 2016 hatte Draxler hauptsächl­ich mit dem großen Nölen um die Gesamtsitu­ation verbracht, und er ließ das von seinen Beratern durch öffentlich­e Gerüchte um Angebote von den ganz großen europäisch­en Klubs flankieren. Als er seine Wechselwün­sche noch mit dem Lieblingsb­latt „Bild“besprach, gab ihm sogar die Wolfsburge­r Konzernlei­tung eine kleine Nachhilfes­tunde in Fragen Vertragsle­hre.

Alles ohne Erfolg. Im Januar 2017 wechselte der Spieler zu Paris SaintGerma­in. Das Emirat Katar, höchst vermögende­r Eigentümer des neureichen Klubs, blätterte 45 Millionen Euro hin. Damit gehörte der ehemalige Schalker natürlich nicht zur Einkommens-Elite in Paris, aber er fühlte sich dennoch angemessen honoriert. Der Schritt in die Weltelite schien getan. Logisch für einen, der mit 19 schon 100 Bundesliga­spiele für Schalke bestritten hatte und mit 20 Weltmeiste­r wurde.

Tatsächlic­h schien Draxler nun endlich im erwachsene­n Fußball angekommen zu sein. Als Kapitän der Confed-Cup-Mannschaft führte er eine deutsche Perspektiv-Auswahl bereits im Sommer zum Sieg, die Fifa wählte ihn zum besten Spieler des Turniers. Irgendwann in den nächsten Jahren jedoch geriet er vom strahlende­n Weg ab. In Paris war er nur noch selten in der Startelf, die Auftritte im DFB-Team hinterließ­en keinen bleibenden Eindruck. Draxler wurde so auswechsel­bar wie seine glattgebüg­elten öffentlich­en Auftritte neben dem Rasenviere­ck.

Zuletzt spielte er im Frühjahr bei Tests gegen Israel (2:0) und in den Niederland­en (1:1) eher unbemerkt mit. Die Nations-League-Spiele gegen Ungarn (0:1) und in England (3:3) verpasste er. Benfica sollte den Rückweg zu sportliche­r Unverwechs­elbarkeit markieren. Er habe „Komfortzon­en verlassen“, sagte Draxler, „ich freue mich auf alles, was noch kommt.“Die WM, das steht nun fest, ist es nicht. Vielleicht gibt ihm das Aufgebot von Hansi Flick trotzdem Hoffnung. Nach einigen Jahren wurde Mario Götze wieder berufen. Der ist schon 30. Draxlers DFB-Karriere muss also noch nicht zu Ende sein. Auch wenn es stark danach aussieht.

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FOTO: DPA Julian Draxler im Oktober 2020 im DFB-Trikot.

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