Rheinische Post

Das Leben nach der Sportkarri­ere

Sebastian Vettel verlässt am Sonntag nach 16 Jahren die Formel 1. Was er von anderen Sportlegen­den und ihren Abtritten lernen kann.

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SÃO PAULO (dpa) Sebastian Vettel steht sein Tag danach noch bevor. Nach 16 Jahren in der Formel 1 mit 53 Grand-Prix-Siegen und vier Weltmeiste­rtiteln beginnt für ihn nach dem Saisonfina­le von Abu Dhabi ein neuer Lebensabsc­hnitt. Vettel beendet – wie so viele andere deutsche Sportlegen­den vor ihm – seine Karriere. Es wird ein Sprung ins Ungewisse. „Ich habe insgeheim die Erwartung an mich, auch ohne Formel 1 klarzukomm­en“, sagte der 35-Jährige vor dem 299. und letzten Grand Prix seiner beeindruck­enden Laufbahn am Sonntag (14.00 Uhr/Sky). „Ich bin mir aber bewusst, dass der zweite Schritt in das Leben nach dem Sport viel schwierige­r ist.“

Vettel ist mit sich im Reinen. Aber diese Schwelle zu überschrei­ten, bringt dennoch viele Zweifel mit sich. „Ich hatte das Gefühl, dass ich eine gute Entscheidu­ng getroffen habe. Ich war mir aber damit auch nicht zu 100 Prozent sicher, weil man es nie genau weiß, wenn man quasi ein Leben beendet und ein neues beginnt. Klappt der Übergang? Das war meine Angst“, erinnerte sich der 14-malige Tourde-France-Etappensie­ger Marcel Kittel im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Der ehemalige Radprofi beendete 2019 mit 31 Jahren seine Karriere. Kittel war von den Trainingst­orturen erschöpft. Er wollte außerdem seinen Sohn nicht über Skype aufwachsen sehen. „Das Wichtigste nach der Karriere ist, dass man die

Zeit mit der Familie und Freunden genießt, dass man sich von dort aus wieder neu orientiert, das als Basis nimmt und drumherum neue Projekte und Ideen ausprobier­t. Das ist ein guter Weg, den man einschlage­n kann“, meinte Kittel, der sich nach seinem Rücktritt ins Studium der Wirtschaft­swissensch­aften stürzte.

Vettel lebt mit seiner Frau und den drei Kindern auf einem Bauernhof in der Schweiz. Er will nach 16 Jahren Jagd nach den entscheide­nden Hundertste­lsekunden mehr Zeit mit seiner Familie verbringen. Dazu möchte er seine Projekte zum Umweltschu­tz und in Sachen Menschenre­chten

vorantreib­en.

„Am meisten gefreut habe ich mich, nicht mehr diesen täglichen Leistungsd­ruck zu haben und jeden Tag nach Trainingsp­lan zu leben“,

erzählte die dreimalige Ski-Olympiasie­gerin Maria Höfl-Riesch, die ihre große Karriere 2014 im Alter von 29 Jahren beendet hat. „Ein wenig besorgt war ich, ob es mir nicht vielleicht etwas langweilig werden könnte, was aber nicht der Fall war.“

Wie erlebt man aber als Star, dem so viel Aufmerksam­keit zuteilgewo­rden ist, die Zäsur konkret? „Am ersten Tag danach bin ich aufgestand­en, habe mir Frühstück gemacht, und dann saß ich an meinem Tisch und dachte: Wow, also so ist das jetzt. Es war wie ein „NeuanfangT­ag““, beschrieb Magdalena Neuner ihren Tag danach. Die zweimalige Biathlon-Olympiasie­gerin hatte 2012 mit 25 Jahren ihre Karriere beendet. Sportlich hatte sie alles erreicht und war der Entbehrung­en leid. „Am meisten habe ich in Erinnerung, dass dieser Druck weg war, dieses permanente ‚Ich muss‘. Das wird einem erst bewusst, wenn man es nicht mehr hat“, erzählte Neuner.

Der Leistungsd­ruck auf dem Asphalt dürfte Vettel künftig auch fehlen. Der Perfektion­ist wird seine neuen berufliche­n Projekte aber mit derselben Akribie angehen wie die Fahrzeugab­stimmung.

„Ich finde es schade und ein bisschen traurig, dass er aufhört, weil er neben Schumi ein großes Idol ist“, sagte der frühere Spitzen-Skispringe­r Sven Hannawald, der von einem Burnout aus seiner Karriere gerissen wurde. „Er hat für Deutschlan­d die Fahnen hochgehalt­en. Wenn ich lese, was er vorhat: Da freue ich mich auch für seine Familie.“

Was vermissen die Stars von damals? „Der Wettbewerb und die Kameradsch­aft, so ein bisschen die Sachen, von denen ich auch schon vorher wusste, dass sie mir fehlen würden“, erzählte NBA-Legende Dirk Nowitzki, der bei seinem Abschied 2019 mit 41 Jahren körperlich nicht mehr weiter machen konnte. „Mir fehlt das Team heute noch manchmal, die Leute, dieses freundscha­ftliche Miteinande­r“, meinte auch Neuner.

Einen Rat will die Olympiasie­gerin Vettel nicht geben. „Ich kann mir vorstellen, dass er es so macht wie ich, wirklich sagt, ich bin jetzt mal mein eigener Chef, ich lebe jetzt mein Leben, ohne mir von jemandem sagen lassen zu müssen, was morgen ist“, sagte Neuner. „Ich bin ganz sicher, dass er schon so viele Dinge hat, die er machen könnte und wahrschein­lich machen wird. Er wird seinen Weg gehen.“

 ?? FOTO: BEATA ZAWRZEL/ZUMA PRESS/DPA ?? Aston-Martin-Piliot Sebastian Vettel verabschie­det sich mit dem Rennen in Abu Dhabi aus der Formel 1. Nach vier WM-Titeln und 16 Jahren in der Königsklas­se des Motorsport­s will er andere Dinge machen.
FOTO: BEATA ZAWRZEL/ZUMA PRESS/DPA Aston-Martin-Piliot Sebastian Vettel verabschie­det sich mit dem Rennen in Abu Dhabi aus der Formel 1. Nach vier WM-Titeln und 16 Jahren in der Königsklas­se des Motorsport­s will er andere Dinge machen.

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