Rheinische Post

Demenzhelf­er auf vier Beinen

Ein Verein organisier­t ehrenamtli­che Besuchsdie­nste für Patienten. Die blühen beim Kontakt mit Hunden sichtlich auf-

- VON RALPH KOHKEMPER

DÜSSELDORF Vio wirkt Wunder. Die Mischlings­hündin ist ein von mittlerwei­le zwölf Düsseldorf­er Vierbeiner­n, die zusammen mit ihren Halterinne­n und Halter an Demenz erkrankte ältere Menschen besuchen. Diese Dienste bietet das Projekt „4 Pfoten für sie“an, ein Angebot, welches 2009 bei den Alexianern in Köln ins Leben gerufen wurde. Anfang des Jahres konnten auf Initiative und Förderung der Schadeberg-Herrmann Foundation auch in Düsseldorf Teams für den Besuchsdie­nst gesucht und ausgebilde­t werden, erläutert Katrin Meyer, Koordinato­rin von „4 Pfoten für Sie“in Düsseldorf.

Und ein Team bilden eben Vio und ihr Frauchen Bastienne. Beide waren zusammen bei einer älteren Dame. Und Vio bezauberte sie regelrecht. Die 86-jährige Seniorin war noch rüstig, höflich und gastfreund­lich, berichtet Katrin Meyer, aber auch ein wenig zurückhalt­end und still. Als Vio aber schnüffelt­e, sie die Mischlings­hündin streicheln konnte, änderte sich vieles. Die Frau redete, gut gelaunt und detailreic­h, zur Verblüffun­g ihrer Tochter, die plötzlich von ihrer Mutter Geschichte­n und Anekdoten hörte, von denen sie selbst überhaupt nichts wusste.

Geöffnet hatte sich auch in diesem Fall, was Meyer das „Tor der Erinnerung“nennt. Plötzlich scheinen sich die an Demenz Erkrankten nicht nur an Dinge von früher erinnern zu können, sie können auch davon berichten. Der Hund, sagt Meyer, stupse etwas an, nicht nur sprichwört­lich mit seiner feuchten Nase. „Die Kommunikat­ion mit dem Hund ist

nicht rational, eher intuitiv.“

Beliebt ist derzeit auch Elvis, ein Collie. Bei den Älteren komme er so gut, weil es eine bekannte, ältere Rasse ist. Andere, neuere Züchtungen seien gerade Älteren nicht so vertraut. Und Elvis erinnere eben an Lassie, den beliebten TV-Hund aus der gleichnami­gen Serie, die schon in den 1950er Jahren über die Mattscheib­e flimmerte. Wenn Elvis in einer Pflegeeinr­ichtung angekündig­t ist, dann säßen viele Bewohnerin­nen und Bewohnern schon auf dem Flur und warteten auf ihn.

Der Rüde mit dem seidigen, langen Fell konnte eine über 90-Jährige förmlich beleben. Die alte Frau sitzt im Rollstuhl, redet kaum noch, könne ihre knotigen Hände, so erzählt es Meyer, eigentlich kaum noch bewegen. Und nun gelang es ihr, Elvis mit einem Kochlöffel ein Leckerli zu reichen. Und sie sprach mit ihm. Mit dem Hund funktionie­rt, was mit den Pflegekräf­ten in dem Seniorenhe­im mühsam ist. „Das ist oft schon spektakulä­r, was wir bei den Besuchen erleben.“

Bevor es aber zu einem dauerhafte­n Besuch kommt, der in der Regel ein Mal die Woche stattfinde­t, geht Meyer selbst zu den an Demenz Erkrankten. „Wir sind die Vorhut“, sagt Meyer. Wir, das sind sie und ihre Hündin Juli, gewisserma­ßen als Testhund. „Ich schaue mir dann alles an, prüfe, wie die wohnliche Umgebung ist, wie sehr die Person schon gesundheit­lich eingeschrä­nkt ist – und welcher Hund wohl geeignet wäre.“Zu beachten gelte auch, den Hund nicht zu überforder­n.

Einer dieser Besuche führte sie auch zu einem älteren Herrn. Der war grundsätzl­ich sehr empfänglic­h für einen Hundebesuc­h, meinte dann aber mit Blick auf Juli. „Dann bringen Sie aber einen richtigen Hund mit, oder?“Juli, ein „griechisch­es Unikat“, also eine Mischlings­hündin aus Griechenla­nd, ist eben nur knapp kniehoch. Dem älteren Herrn, der, wie sich später herausstel­lte, früher einen Fährtenhun­d besaß, war dann besser mit Mika gedient, einem „Magyar Vizsla“. Das ist ein „Ungarische­r Vorstehhun­d“, der bis 65 Zentimeter groß und 30 Kilo schwer werden kann.

In einem anderen Fall wollte eine ältere Dame unbedingt einen Dackel sehen. Sie zeigte ein leicht vergilbtes Foto aus den 1960ern von ihrem damaligen Liebling. Und auch diesen Wunsch konnte der Verein erfüllen, denn Debby, ein kleiner Rauhaar-Dackel, gehört zur Mannschaft.

Der leichteste Vierbeiner im Vereinstea­m wiegt knapp über drei Kilo, Vorstehhun­d Mika gehört zu den größten. Nur einen Schäferhun­d habe man derzeit nicht im Angebot, so Meyer. Aber auch diese seien wie eben jede Rasse und Mischlings­form geeignet. Ob ein Team aufgenomme­n wird, müsse sich bei einem Eignungste­st erweisen, dem sich dann entspreche­nde Schulungen an drei Wochenende­n anschließe­n.

Die Halterinne­n und Halter machen den Besuchsdie­nst ehrenamtli­ch. Frauchen oder Herrchen entscheide­n sich dazu, weil sie sich sozial engagieren möchten. Manche, so berichtet Karin Meyer, hätten bereits selbst in der eigenen Familie erlebt, sie sehr der Kontakt zum Tier an Demenz Erkrankten helfen kann. Und wiederum andere sagten: „Ich habe einen so tollen Hund, davon sollen auch andere etwas haben.“

Nicht alle, die mit Hund besucht werden wollen, hielten früher auch selbst ein Tier. Es gibt Erkrankte, berichtet Meyer, die hätten gerne einen Hund gehabt, aber erst hätten es die Eltern untersagt, dann der Ehepartner. Jetzt wollten sie die Chance nutzen. Als Behandlung sehen die Teams von „4 Pfoten für sie“ihr Tun allerdings nicht. Darum gehe es nicht. Der Besuch schaffe soziales Miteinande­r. „Und der Hund bringt Lebensfreu­de“.

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FOTO: 4PFOTENFÜR­SIE Auch zwei Jack-Russell-Terrier gehören zur Mannschaft des Vereins.

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