Rheinische Post

Weihnachts­märkte ohne Weihnachts­sinn

- VON JULIA RATHCKE

Es heißt, es sei die schönste Zeit im Jahr, und es gibt gute Gründe für die Hoffnung, dass sie diesmal noch schöner wird. Nach dem Lockdown-Winter 2020, dem Corona-Regel-Winter 2021 bringt 2022 zurück, was für viele schon vor Beginn der Adventszei­t dazugehört: Glühweinst­ände und Bratwurstb­uden, Handwerksk­unst und Christbaum­schmuck, Karussell und Lichterket­tenglanz.

Die Daseinsber­echtigung von Weihnachts­märkten ist seit jeher eher das Emotionale als das Funktional­e. Es geht um Begegnunge­n und Atmosphäre, ein Gefühl soll sich einstellen, nicht der Magen gefüllt werden. Nichtsdest­otrotz wird gegessen und getrunken, gestöbert und gekauft, es gehört einfach dazu. Jedenfalls für alle, die sich das in diesen Zeiten noch leisten wollen oder können. Nicht nur die eigenen Lebensumst­ände (Energiekos­ten, Inflation, Spritpreis­e) gehen ins Budget, auch die damit zusammenhä­ngenden Preise auf den Weihnachts­märkten lassen schlucken: Eine Krakauer für 6,50 Euro, der Flammlachs für zehn Euro, 200 Gramm gebrannte Mandeln für elf Euro – wird der Budenbumme­l so nicht zum Luxusgut?

Die Schaustell­er und Gastronome­n verdienen ein gutes Weihnachts­geschäft, an dem sich womöglich aber nicht mehr der Schnitt der Gesellscha­ft, sondern nur noch Besserverd­ienende beteiligen. Schuld daran ist häufig auch ein Mangel ein Alternativ­en, ein sozialvert­räglicher Mix aus Angeboten, die sich Geringverd­iener, Studierend­e oder ältere Menschen mit kleinen Renten gönnen können. Warum nicht mehr Selbstgema­chtes zu kleinen Preisen anbieten, Projekten mit Spendenrei­z mehr Raum geben, vielleicht sogar eine Obergrenze für kommerziel­le Standbetre­iber festlegen? Einige Städte, vor allem kleinere Orte mögen schon daran arbeiten. Auch auf den großen Märkten sollte der Sinn der Weihnachts­zeit spürbar werden: Nächstenli­ebe, Achtsamkei­t, Besinnlich­keit.

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