Der Mann für das gewisse Etwas
Mario Götze könnte im Kader von Hansi Flick eine besondere Rolle zukommen. Er spielt derzeit in bestechender Form.
MASKAT (dpa) Die Bilder in diesen Tagen ähneln sich: Mario Götze lacht viel, verschwindet immer wieder im Pulk der Nationalspieler. Es ist, als wäre er nie weg gewesen. Als gäbe es da keine fünf Jahre Länderspielpause. Keinen Karriereumweg über Eindhoven, nahe dran an Deutschland, und doch weit weg von der Nationalmannschaft und dem großen Fußball-Brimborium. Mario Götze ist wieder da – mit 30. Und er steht vor einem der größten Comebacks in der deutschen WMGeschichte.
Am Mittwoch gegen den Oman kam er noch nicht zum Einsatz, die vermeintlichen WM-Stammspieler Jamals Musiala und Serge Gnabry (beide FC Bayern) allerdings auch nicht. Götze war ohnehin noch etwas angeschlagen, bloß nichts riskieren vor dem Start der Gruppenphase.
Bei der Verabschiedung des KatarKaders am Frankfurter Flughafen stand Götze direkt neben Flick und lächelte. „Ich denke, die Nominierung ist die Belohnung für die harte Arbeit, die ich investiert habe, aber ohne meine Frau, meine Familie, meine großartigen Teamkollegen und Trainer wäre es nicht möglich gewesen“, schrieb Götze nach der Aufnahme ins WM-Aufgebot bei Twitter.
Für Götze schien im Fußball einst alles leicht. Bis zur historischen 113. Minute im WM-Finale 2014 gegen Argentinien. „Mach ihn. Mach ihn! Er macht ihn! Mario Götzeeee! Das ist doch Wahnsinn!“, rief ARDKommentator Tom Bartels ins Mikrofon. Götze machte ihn rein, den Ball. Deutschland war Weltmeister und der „Super-Mario“blickte mit 22 Jahren beseelt und auch ein bisschen ungläubig in den Nachthimmel von Rio de Janeiro.
Es konnte jetzt ja nichts Besseres mehr kommen. Es kam vieles, was schlechter war. Bei den Bayern lief es nicht. Die Rückkehr nach Dortmund brachte keinen Segen. Der Körper streikte, die Seele musste viel erdulden. Als Siegtor-Held kann das Leben kompliziert sein.
Erst der sportliche Rückschritt 2020 zur PSV Eindhoven in die Niederlande, wo andere ihre Karriere ausklingen lassen, war wie ein genialer Pass in die freie Gasse. Flick hatte ohnehin den Kontakt gehalten, auch als Bayern-Trainer. Abseits des schonungslosen Brennglases der deutschen Öffentlichkeit kam der Fußball-Spaß zurück, sehr zur Freude von Eintracht Frankfurt, dem nächsten trefflich passenden Karriere-Move Götzes in diesem Sommer.
In Bundesliga und Champions League steht Götze aktuell für die hessische Erfolgsstory. Seine geniale Torvorlage gegen Mainz 05 am vergangenen Sonntag war der letzte Beweis dafür, dass Flick ihn einfach nominieren musste für die WM in Katar. „In dieser Verfassung kann er wirklich nur jeder Mannschaft helfen“, sagte sein Vereinstrainer Oliver Glasner.
Eintracht-Sportdirektor Markus Krösche sieht in Götze den „mit Abstand“besten offensiven Mittelfeldspieler in der Bundesliga. Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus leistete bei RTL als omnipräsenter TV-Experte vor Götze seinen persönlichen Fußball-Kotau. „Für Mario freut es mich, weil er von vielen abgeschrieben wurde, auch von mir“, sagte der Weltmeister von 1990. „Er wird, glaube ich, auch eine große Rolle bei der WM spielen können“, sagte Krösche. Dieser Meinung ist auch Flick. „Wir alle wissen, dass Mario ein genialer Fußballer ist, der Gedankenblitze hat, die er intuitiv macht“, sagte der Bundestrainer. Auch deswegen musste er ihn am Mittwoch nicht spielen lassen.
Mehrere Gespräche führten beide vor der Rückholaktion. Klar war, dass Götze mit seiner Vita nicht als Ergänzungsspieler zurückkommen kann. Auch den Wirbel, den seine Berufung auslösen würde, galt es für beide Seiten abzuwägen. „Ich kann nur sagen, dass Mario sich total freut, dass er dabei ist. Und wir freuen uns auf ihn“, sagte Flick.
Götzes Meriten sind eindrücklich.
Trotz fünf Jahren ohne DFB-Einsatz ist er im DFB-Ensemble für Katar mit bislang 67 Länderspielen die Nummer vier hinter Thomas Müller (118), Manuel Neuer (113) und Joshua Kimmich (70). Nur Müller (44) und Serge Gnabry (20) haben mehr Tore geschossen als Götze mit 17 DFB-Treffern. Kaum auszudenken, wie die Werte wären ohne die lange Unterbrechung.
Götze kann in Doha schon wieder Historisches schaffen. Zwei Tore in zwei verschiedenen WM-Endspielen schoss als bislang einziger deutscher Nationalspieler Paul Breitner 1974 beim 2:1-Triumph gegen die Niederlande und acht Jahre später beim 1:3 gegen Italien. Das Finale am 18. Dezember im Lusail-Stadion kommentiert übrigens wieder Tom Bartels. Die deutschen Fans würden ihn sicherlich gerne wieder rufen hören: „Mach ihn. Mach ihn. Er macht ihn. Mario Götzeeee! Das ist doch Wahnsinn!“