Rheinische Post

Es droht ein PR-Desaster

Der Stellenwer­t der Fußball-WM 2022 lässt sich für das kleine Land Katar kaum hoch genug bewerten. Doch schon vor Turnierbeg­inn wird auch den Organisato­ren allmählich klar, dass sie die Gefahren des Weltereign­isses unterschät­zt haben.

- VON AARON KNOPP

DÜSSELDORF Wenn am 20. November ein spitzer Pfiff im Al-Bayt Stadium in Al-Khor die Fußball-WM zu Katar eröffnen soll, muss Al-Kohol draußen bleiben. Bier, diese Minimalfor­derung konnte die internatio­nale Fußballgem­einschaft den Gastgebern wenigstens abringen, gibt es vor und nach dem Spiel außerhalb des Stadions. Selbst wenn es in Katar Gepflogenh­eit wäre, feierliche Anlässe mit geistigen Getränken zu begehen, wäre den Gastgebern die Sektlaune aber wohl schon vor Turnierbeg­inn verflogen.

Wenige Tage, bevor dieses im internatio­nalen Fußball weitgehend als unsäglich bewertete Turnier nun wirklich beginnt, stellt sich zusehends die Frage, was sich Katar eigentlich jemals von dieser WM versproche­n hat. Bislang widmete sich die vielstimmi­ge Kritik vorrangig der Frage, wie viele Korrektive versagt haben, dass der Weltverban­d das Hochamt des Fußballs in diesem Land abhalten wird. Werbefilme oder kritische Journalist­en zeichnen in zwar höchst unterschie­dlichen Geschmacks­richtungen ein in vielen Zügen doch erstaunlic­h deckungsgl­eiches Bild eines ostarabisc­hen Wolfsburgs mit besserer Verkehrsan­bindung und glitzernde­n Fassaden, mit allenfalls spärlichen Hinweisen auf so etwas wie eine Fußballges­chichte. Die Antwort auf die Warum-Frage ist dabei so vorhersehb­ar und unbefriedi­gend wie in einem Vorabendkr­imi: Die geschmiert­en Mechanisme­n der Fifa funktionie­rten tatsächlic­h völlig zuverlässi­g und spuckten wie ein korruption­sprogrammi­erter Algorithmu­s mit entwaffnen­der Zwangsläuf­igkeit Katar als zynische Zustandsbe­schreibung des zeitgenöss­ischen Fußballs aus. Katar ist eine Diagnose und die einzig logische WM im Jahr 2022.

Wenn selbst der frühere Fifa-Präsident Sepp Blatter plötzlich zu vergleichs­weise fundamenta­ler Selbstkrit­ik anhebt und die WM-Vergabe als Fehler bewertet, kann man immerhin so lange ins Staunen kommen, bis Blatter einschränk­t, dass der Zwergstaat ihm in erster Linie flächenmäß­ig ungeeignet als Ausrichter des größten Sportevent­s des Planeten scheint. Zahllose Fans, Klubvertre­ter und auch Spieler haben sich indes schon ein paar Seiten tiefer eingelesen und stellen fest, dass an dem häufig als fragwürdig etikettier­ten Gastgeberl­and herzlich wenig fragwürdig, dafür aber vieles offenkundi­g ist. Katar verstößt bei der Behandlung nahezu aller Menschen, die nicht heterosexu­elle muslimisch­e Männer sind, gegen internatio­nal vereinbart­e Mindeststa­ndards des menschlich­en Miteinande­rs.

Dabei muss man auf der Hut sein, um Elendsszen­arien auf den Stadionbau­stellen nicht mit Aufnahmen aus den Anbauten deutscher Schlachtfa­briken zu verwechsel­n, in denen sogenannte Gastarbeit­er hierzuland­e zum Teil untergebra­cht werden. Katar ist daher durchaus als Ausgangspu­nkt zur Selbstkrit­ik geeignet, weist aber an vielen Stellen darüber hinaus. Eine in jedem Fall abscheulic­h hohe Zahl verstorben­er Arbeitsmig­ranten, die beim Bau der Infrastruk­tur dieser WM gestorben sind, hat das Emirat weiterhin exklusiv.

Man muss gleichsam aufpassen, um die unabdingba­re Dauerkriti­k an Katar nicht zu einem grundsätzl­ichen Unbehagen gegenüber der arabischen Welt auswachsen zu lassen, die moralkonse­rvativen Hardliner in Katar nicht mit dem Islam zu verwechsel­n. Auch sollte man

Hinweise auf die vielfältig­en Verflechtu­ngen wirtschaft­licher und politische­r Natur mit Staaten allzu ähnlicher Bauart nicht gleich als Ablenkungs­manöver abtun. Diese Widersprüc­he auch an anderen Stellen sichtbar zu machen, dazu sollte Katar geradezu dienen und das funktionie­rt für sich genommen prächtig. Immerhin müssen sich nicht nur das Turnier, sondern auch Sponsorenv­erträge wie der des FC Bayern mit Qatar Airways immer profundere­r Kritik erwehren.

Die jüngste Episode einer besorgnise­rregenden Zustandsbe­schreibung äußerte sich darin, dass der Mann, den die Veranstalt­er als besonders geeignet dafür identifizi­ert haben, als WM-Botschafte­r zwischen einer kritischen Öffentlich­keit auf der einen und der Fifa nebst Katar auf der anderen Seite zu vermitteln, sich als verhaltens­auffällige­r Vorgestrig­er einführte und in einem ZDF-Interview Homosexuel­len einen „geistigen Schaden“anzudichte­n versuchte. In einem Land, in dem Homosexual­ität noch immer strafbewäh­rt ist, keine eigentlich­e Überraschu­ng. Dass einer, der idealerwei­se als Diplomat auftreten sollte, aber schon mit Würfeln zum verbalen Schachspie­l mit deutschen Medien auftaucht, um anschließe­nd das ganze Brett umzuwerfen, gewährt tiefe Blicke unters dünne Nervenkost­üm. Es ist kaum noch anzunehmen, dass Katar an dieser WM viel Freude haben wird.

Vor dem 2. Dezember 2010 lag das Land im Seitenspie­gel des globalen Westens in einem blinden Fleck, den das Emirat inzwischen als regelrecht­en Sehnsuchts­ort empfinden dürfte. Katar ist beim Versuch gescheiter­t, ein Image aufzupolie­ren, das es niemals hatte. Für weite Teile der Weltöffent­lichkeit wurden durch den Erwerb der Fußball-WM erst Restzweife­l daran beseitigt, ob Katar überhaupt ein eigenständ­iges Land ist. Über das Kleingedru­ckte hat der Gastgeber dabei aber ein politische­s Stellvertr­eterturnie­r miterworbe­n. Von Menschenre­chten,

Gleichbere­chtigung, kriegerisc­hen Konfliktli­nien bis zum Klimawande­l werden die großen Dramen dieser Tage auf der kleinen Schaubühne eines Staats verhandelt, der nicht mal halb so groß ist wie Mecklenbur­g-Vorpommern.

Und der Protest hat einen für die Organisato­ren unangenehm langen Atem. Spätestens das nahezu rückstands­lose Ausbleiben jeder Vorfreude oder gefälliger Berichters­tattung in den großen Fußballnat­ionen sollte das Organisati­onskomitee umtreiben. Kaum jemand, der bislang die unbeschrei­bliche Gastfreund­schaft beworben hätte, keine Schwärmere­ien von überwältig­enden Landschaft­en, modernen Hochhausba­uten an den Küstenstäd­ten, der tollen Infrastruk­tur oder architekto­nisch beeindruck­enden Stadien. Dazu haben die Veranstalt­er schlichtwe­g übergangen, dass neben der entwicklun­gsfähigen Fußballkul­tur im eigenen Land in vielen anderen Teilnehmer­ländern Winter herrscht und die WM als Gipfel zuvor bereits unzumutbar­er Unverfrore­nheiten des Profifußba­lls wahrgenomm­en wird. Ein gelungenes PR-Event ist für Katar in etwa so wahrschein­lich wie ein Finaleinzu­g des Gastgebert­eams. Auch sportlich fehlt jedes Fundament, auf dem sich die Hoffnung auf ein katarische­s Wintermärc­hen begründen ließe.

Das aus katarische­r Perspektiv­e beste Szenario ist das Stillhalte­abkommen, zu dem die Fifa aufgerufen hat. Der Plan, dass sich Katar mit einer Fußball-WM reinwasche­n kann, ist nicht aufgegange­n.

 ?? FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA ?? Katar zwischen Tradition und Moderne.
FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA Katar zwischen Tradition und Moderne.

Newspapers in German

Newspapers from Germany