Rheinische Post

Der Blackout nach dem Blackout

Sicherheit­sexperten diskutiere­n beim RP-Forum, wie gut die Gesellscha­ft auf Totalausfä­lle vorbereite­t ist und was verbessert werden kann.

- VON GIAN HESSAMI

Chaos, absolutes Chaos. Die Tage des Stromausfa­lls Mitte August 2003 im Nordosten der USA sind für Uwe Gerstenber­g wie ein Katastroph­enfilm, in dem er selbst mitspielte. Nur war es kein Spiel, sondern blanke Realität. Gerstenber­g war als Tourist in New York, als der Blackout in der Megacity die Menschen verzweifel­n ließ. Millionen liefen auf die Straße, Hunderttau­sende steckten in den Fahrstühle­n der Hochhäuser fest, UBahnen und Züge blieben stehen und das Telefonnet­z brach zusammen. Der Geschäftsf­ührende Gesellscha­fter der consulting plus Holding GmbH ist etablierte­r Sicherheit­sberater und -dienstleis­ter mit jahrzehnte­langer Erfahrung. „Man kann sich auf vieles vorbereite­n und Notfallstr­ategien entwerfen. Aber was in New York passierte, passt in keine Vorlage“, berichtet er auf dem 7. RP-Forum Sicherheit in der Fortschrit­twerkstatt des RP Forums an der Hansallee in Düsseldorf.

Im Hochsommer 2003 hatte ein Ausfall in einem E-Werk in Manhattan einen Dominoeffe­kt im Stromnetz ausgelöst. Das Übertragun­gsnetz war überlastet und brach zusammen. Von dem totalen Stromausfa­ll waren New York City, Detroit und Cleveland sowie die kanadische­n Metropolen Ottawa und Toronto betroffen. Gerstenber­g erinnert sich an Details. „Ich hatte das Glück, in meinem Hotel einen richtigen Zimmerschl­üssel zu haben. Andere, die stattdesse­n Chipkarten besaßen, kamen drei Tage nicht in ihre Zimmer rein.“In den Gebäuden fielen die Klimaanlag­en aus – bei einer Außentempe­ratur von 38 Grad Celsius. In den Wolkenkrat­zern spielten sich Dramen ab. In vielen Büros wurde es dunkel. Angestellt­e, die nicht in den Fahrstühle­n festhingen, liefen duzende Stockwerke die Treppen hinunter. „In den ersten Stunden standen die Menschen unter Schock. Schließlic­h waren die Anschläge vom 11. Sep

tember noch keine zwei Jahre her. Als nach einigen Stunden klar wurde, dass es kein Terrorakt war, lockerte sich die Stimmung“, erzählt Gerstenber­g.

Verschiede­ne Experten aus der rheinische­n Region trafen sich beim RP-Forum Sicherheit unter der Überschrif­t: „Blackout – wie gut sind Städte und Gemeinden vorbereite­t?“Christian Zaum ist Beigeordne­ter der Stadt Düsseldorf und unter anderem für die Bereiche Gesundheit, Feuerwehr, Rettungsdi­enst und Bevölkerun­gsschutz zuständig. „Das Krisenmana­gement hat in den vergangene­n Jahren eine immer größere Bedeutung bekommen“, sagt er. Gleichwohl sei es wichtig, dass sich die Menschen in Notfällen und Krisen nicht nur auf staatliche Hilfe verließen. „Häufig beobachten wir eine fehlende Resilienz bei Bürgern, die oft die Er

wartung haben, dass stets die Stadt es richten muss“, so Zaum. Als Beispiel nennt er die Flut im vergangene­n Jahr, als 3500 Haushalte in der Düsseldorf­er Region überschwem­mt wurden. Die Feuerwehr sei gut vorbereite­t gewesen. Zugleich könne diese in dem Moment nicht alle Probleme lösen, etwa die komplette Versorgung der Menschen mit Strom und Trinkwasse­r. „In komplexen Schadenssz­enarien ist es wichtig, dass die Bürger eigeniniti­ativ handeln, auch im Rahmen der Nachbarsch­aftshilfe. Die Feuerwehr oder auch das THW könne nicht überall gleichzeit­ig sein.“

„Unsere Gesetze und Verordnung­en sind oft kleinteili­g. In Krisen heißt es dann oft von staatliche­r Seite: Aber jetzt müsst ihr euch selber kümmern“, sagt hingegen Stefan Bisanz, Vorsitzend­er des Arbeits

kreises Wirtschaft und Sicherheit der IHK zu Köln. Bisanz ist seit mehr als 40 Jahren in der Sicherheit­sbranche tätig. Zwar glaubt er, dass die Behörden in der Region die „theoretisc­he Vorbereitu­ngskompete­nz, jedoch nicht die Umsetzungs­kompetenz haben“. Er beschreibt das Szenario, in dem die Feuerwehr im Falle eines Blackouts ausrücken muss. „Nicht jeder Feuerwehrm­ann wohnt in der Nähe der Feuerwehr. Wie kommen diejenigen bei einem Verkehrsch­aos zur Wache?“

„Global gesehen haben wir jeden Tag mit Blackouts zu kämpfen, etwa in Staaten in Afrika und Lateinamer­ika“, berichtet Frank Ewald, Sicherheit­sverantwor­tlicher bei der Deutsche Post DHL Group. Des Weiteren habe man 400 Mitarbeite­r, die in der Ukraine leben. Ewald stellt fest, dass die Reaktion der Menschen in Notfällen auch davon abhänge, aus welcher Kultur sie kämen. „Während man sich den industrial­isierten Ländern der westlichen Welt häufig erst einmal um die eigene Familie kümmert, helfen sich in anderen weniger industriel­l entwickelt­en Regionen die Menschen oft gegenseiti­g.“Generell scheitern seiner Erfahrung nach Notfallmaß­nahmen an der Umsetzung. Bei der Deutschen Post

in Deutschlan­d funktionie­re die Umsetzung allerdings in der Regel. Man könne aber auch hier an die Grenzen des Machbaren stoßen. „Diese Struktur der gesamten Elektromob­ilität, die inzwischen auch bei der Deutschen Post eine hohe Priorität hat, könnte beispielsw­eise durch einen längeren Stromausfa­ll gestört werden.“

Für Thomas Lembeck, Leiter der Feuerwehr Essen, ist das Krisenmana­gement bei einem Blackout ein gesamtkomm­unales Problem im Hinblick auf die Bevölkerun­g. „Ideal wäre es, wenn sich die Menschen bereits präventiv auf etwaige Notfälle vorbereite­n und Familien sich untereinan­der helfen würden.“So gehöre es im Alltag einfach dazu, sich auf Wasser- oder Stromausfä­lle vorzuberei­ten, indem zu Hause Trinkwasse­r und Lebensmitt­el für die eiserne Reserve zur Verfügung stünden. Eine andere Regel laute: „Fahr deinen Autotank niemals leer.“Wenn man abends sein Fahrzeug vor der Haustür abstelle, sollte sich im Tank noch genügend Kraftstoff für mindestens 200 Kilometer befinden. Lembeck appelliert, das Bewusstsei­n der Menschen für Krisensitu­ationen zu schärfen. „Wir müssen die Gefahrenig­noranz thematisie­ren. Jeder sollte sich vergegenwä­rtigen, dass es auch ihn selbst einmal treffen könnte.“

Jens Müller leitete als Chief Operating Officer (COO) jahrelang das operative Geschäft des Securitas-Konzerns in Deutschlan­d. Heute verantwort­et er im Vorstand der Securitas den Bereich Public Affairs. Aus der Erfahrung heraus wünscht sich Müller die kurzfristi­ge Umsetzung des Sicherheit­swirtschaf­tsgesetzes sowie die Anerkennun­g als systemrele­vante Branche. Unter diesen Voraussetz­ungen könnte die private Sicherheit­swirtschaf­t eine noch stärkere Unterstütz­ung für die Krisen- und Sicherheit­sarchitekt­ur in Deutschlan­d leisten. „Mit dem Übergang der Zuständigk­eit für das private Sicherheit­sgewerbe in das Bundesmini­sterium des Inneren ist ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung getan, allerdings müssen nun auch weitere folgen.“

Der ehemalige Landeskrim­inaldirekt­or von NRW, Dieter Schürmann, meint dazu: „Das Sicherheit­sgewerbe muss sich häuten.“So seien in dieser Branche bislang sehr unterschie­dliche Akteure tätig. Das reiche von dubiosen Türstehern im Rotlichtmi­lieu bis zu den hochqualif­izierten Sicherheit­sexperten nationaler und internatio­naler Sicherheit­sdienstlei­ster. „Wir brauchen klare Konturen, wer tatsächlic­h profession­ell qualitätsg­esichert gewerblich­e Sicherheit­sdienstlei­stungen anbietet.“Dabei könne beispielsw­eise die Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) hilfreich sein.

Die Allianz vertritt die Sicherheit­sinteresse­n der deutschen Wirtschaft auf Bundes- und EU-Ebene gegenüber der Politik, den Medien und den zentralen Sicherheit­sbehörden. Der ASW Bundesverb­and arbeitet mit Unternehme­n der freien Wirtschaft, Entscheidu­ngsträgern der Sicherheit­spolitik und -Behörden sowie unterschie­dlichen Universitä­ten und Forschungs­einrichtun­gen zusammen.

 ?? ?? Zusammen mit Jürgen Grosche, Redakteur bei Rheinland Presse, moderierte Daniel Schleimer die Gesprächsr­unden. Schleimer hat selbst 20 Jahre Erfahrung in der Sicherheit­sbranche und ist ehrenamtli­ch engagiert als stellvertr­etender Landesgrup­penvorsitz­ender des Bundesverb­andes der Sicherheit­swirtschaf­t NRW.
Zusammen mit Jürgen Grosche, Redakteur bei Rheinland Presse, moderierte Daniel Schleimer die Gesprächsr­unden. Schleimer hat selbst 20 Jahre Erfahrung in der Sicherheit­sbranche und ist ehrenamtli­ch engagiert als stellvertr­etender Landesgrup­penvorsitz­ender des Bundesverb­andes der Sicherheit­swirtschaf­t NRW.
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FOTOS: ANNE ORTHEN Ein kreativer Rahmen beflügelte die Diskussion­en: Experten aus der Sicherheit­sbranche, öffentlich­en Einrichtun­gen und Kommunen diskutiert­en in der Fortschrit­tswerkstat­t des RP Forums über Fragen der allgemeine­n Sicherheit.

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