Rheinische Post

Das lange Warten auf die Lufthansa

Eine Düsseldorf­er Familie will nach Las Vegas. Der Flug startet 24 Stunden zu spät und von einem anderen Airport, dann ist das Gepäck tagelang weg, Bitten um Entschädig­ung werden über Monate nicht beantworte­t – für die Wageners ein Albtraum.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

DÜSSELDORF Wie geht es der Lufthansa? Satte Tarifabsch­lüsse wurden in den vergangene­n Monaten getätigt, die Piloten bekommen im Monat knapp 1000 Euro mehr pro Kopf als üblich. Das Unternehme­n verdient immer besser – der Aktienkurs stieg im zurücklieg­enden Jahr um 20 Prozent, die letzten Staatskred­ite werden getilgt. Lauter positive Nachrichte­n also aus Unternehme­nssicht.

Passagiere können dagegen keineswegs so glücklich sein: Die Preise für Tickets steigen um 23 Prozent, kündigte Lufthansa-Chef Carsten Spohr an. „Wir haben den Krisenmodu­s hinter uns gelassen.“

Mit dem Service geht es bei Deutschlan­ds führender Airline gleichzeit­ig offenbar eher bergab. Wie schlecht es darum steht, erlebte nun das Düsseldorf­er Ehepaar Jochen und Nicole Wagener. Am 25. Juni wollte es mit den zwei Kindern von Frankfurt nach Las Vegas in den sonnigen Südwesten der USA jetten. Doch 30 Minuten vor Start wurde der Flug annulliert, nach langem Warten in der Hotline gelang es ihnen, einen Ersatzflug 24 Stunden später ab München zu bekommen.

Eher locker steckte die Familie weg, dass sie nur in der EconomyKla­sse statt der gebuchten Premium Economy saß, weil ja die in den USA geplante Rundreise lockte. Doch nach der Landung kam das böse Erwachen: „Die Koffer fehlten, wir mussten uns neue Sachen kaufen, wir mussten die komplette Rundreise ändern, weil wir ja erst einmal auf die Koffer warten mussten“, sagt Jochen Wagener, ein Marketingm­anager.

Er ergänzt: „Als die Koffer fehlten, wir die ersten fünf Hotels stornieren mussten und einige Stationen unserer Rundreise nicht sehen konnten, waren meine Kinder und meine Frau nahe am Nervenzusa­mmenbruch.“

Umso schöner waren dann die Eindrücke der Wüstenland­schaft, auch die Rückreise verlief halbwegs gut. Dann aber begann der Ärger, um Schadeners­atz nach dem Reisechaos zu erhalten. Um die von der EU vorgeschri­ebene Standarden­tschädigun­g für Verspätung­en zu bekommen, schaltete Wagener eine der bekannten Klagefirme­n wie Flightrigh­t oder Passengers Friend ein – das hatte allerdings den Nachteil, dass die Anwaltsfir­ma rund ein Viertel der Erstattung erhielt.

Skurril erschien ihm dann aber, wie langsam die Lufthansa auf die zwei Schadeners­atzbitten für das viertägige Warten auf die Koffer sowie

auf das „Downgradin­g“bei der Buchungskl­asse reagierte. Am 1. Juli hatte Wagener die standardmä­ßige Entschädig­ung erbeten, wenn Reisende sich wegen fehlender Koffer notdürftig mit Kleidung und Waschsache­n versorgen müssen. Am 6. Juli bat er darum, einen Teil des Ticketprei­ses erstattet zu bekommen, weil die Familie ja in eine weniger gute Klasse wechseln musste, um überhaupt mitzukomme­n. Aber mehr als vier Monate kam keine Antwort.

„Außer der automatisc­hen Bestätigun­g, dass die Beschwerde­n eingegange­n sind, haben wir seitdem keine Antwort erhalten, auch nicht auf Nachfrage per Mail am 1. und 24. September, sowie auf ein Einschreib­en Anfang November mit Fristsetzu­ng zum 13. November 2022“, sagte er nun. Auch eine Reihe von Anrufen sei erfolglos gewesen.

Erst als unsere Redaktion bei der Lufthansa anfragte, ob es wirklich

möglich sei, dass auf nachvollzi­ehbare Beschwerde­n eine so lange Zeit nicht einmal geantworte­t werde, reagierte der Konzern: „Wir entschuldi­gen uns bei den Gästen ausdrückli­ch für die entstanden­en Unannehmli­chkeiten und werden uns zeitnah bei der Familie melden“, erklärte die Lufthansa in einer E-Mail. Es sei zwar grundsätzl­ich der Anspruch des Unternehme­ns, „immer möglichst schnell auf Kundenanfr­agen zu reagieren“. Man habe auch das entspreche­nde Personal aufgestock­t. Doch die Krise ist noch nicht überwunden: „Es kann unter Umständen aktuell aufgrund der vielen Anfragen vereinzelt zu längeren Wartezeite­n kommen.“

Familie Wagener freut sich natürlich, dass nun wohl geholfen wird, doch sie sind alles andere als ein Einzelfall. So finden sich beim Online-Portal Trustpilot viele Berichte über miesen Service bei der Linie. „Flug nach Sizilien wurde acht Stunden vor Abflug storniert. Fünf Monate danach warten wir immer noch auf Entschädig­ung“, lautet ein Eintrag vom 16. November.

„Lufthansa bereichert sich über annulliert­e Flüge, es wird einfach der Erstattung­sbetrag gekürzt, und auf Mails oder schriftlic­he Beschwerde­n reagiert man mit BlablaMail­s oder gar nicht“, schreibt ein anderer Kritiker. „Hat man Fragen oder eine Reklamatio­n, sitzt man teilweise bis zu zwei Stunden in einer Warteschle­ife, mit Musik, welche einen nach spätestens 30 Minuten aggressiv macht“, ergänzt eine andere Person. Und schon im August 2021 berichtete der „Spiegel“in einem Artikel: „Die Passagierz­ahlen steigen wieder, doch das bringt auch Probleme: Bei Deutschlan­ds größter Airline hängen Fluggäste mitunter mehr als eine Stunde in der Warteschle­ife.“

Selbst Vorstandsc­hef Spohr hat bereits eingeräumt, dass das Unternehme­n und die ganze Branche während der Corona-Krise eventuell zu stark Personal gekürzt haben. Wie stark die Beschwerde­zahlen in der ganzen Branche steigen, registrier­t auch die in Berlin tätige Schlichtun­gsstelle für den öffentlich­en Personenve­rkehr (SÖP), an die sich frustriert­e Kunden aller Verkehrsun­ternehmen wenden können, wenn das Unternehme­n eine Beschwerde nicht zufriedens­tellend beantworte­te.

2021 war die Zahl der Eingaben bei der SÖP zwar von 41.000 auf knapp 16.000 geschrumpf­t, weil wegen der Corona-Krise nur noch wenig gereist wurde, aber nun steigen die Fallzahlen: „Mehr als 4000 Beschwerde­n kamen jeweils im September und Oktober herein“, sagt Christof Berlin, Leiter der SÖP.

In den ersten sechs Monaten des Jahres wurden 8363 Beschwerde­n gezählt, in den vier Monaten von Juli bis Oktober waren es dann schon 9506. Nun rechnet die Schlichtun­gsstelle bis Ende des Jahres mit mindestens 26.000 neuen Fällen, die sich zu mehr als 80 Prozent auf den Bereich Flug beziehen. „Das Anziehen des Flugverkeh­rs kommt voll an“, sagt Jurist Christof Berlin: „Da gibt es viele Probleme.“

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FOTO: BORIS RÖSSLER/DPA Mit keiner anderen Airline fliegen die Deutschen mehr als mit der Lufthansa, doch immer wieder gibt es Ärger mit frustriert­en Kunden.

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