Rheinische Post

Katars namenloses Nationalte­am

- PATRICK REICHARDT UND ARMSTRONG VAZ

Der Asienmeist­er von 2019 gilt bei seiner Heim-WM als großer Außenseite­r. Viele Spieler wurden in einem Farmteam in Belgien ausgebilde­t. Auch die Vorbereitu­ng auf das Turnier verlief ungewöhnli­ch.

DOHA (dpa) Das ungewöhnli­chste Fußball-Projekt des vergangene­n Jahrzehnts steht vor der ultimative­n Prüfung. Wie konkurrenz­fähig sind Katars Kicker wirklich? Nach Monaten der kompletten Abschottun­g betritt der WM-Gastgeber die größtmögli­che Bühne. In den Vorrundens­pielen gegen Ecuador, Senegal und die Niederland­e geht es nicht nur um den Sport, sondern auch um die Frage: Kann ein Staatsproj­ekt mit schier unendliche­n finanziell­en Ressourcen und geballter Kompetenz aus Europa innerhalb von zwölf Jahren aus einem absoluten Fußball-Niemand ein konkurrenz­fähiges Team beim größten Turnier der Welt machen?

Wenn das Team des Spaniers Felix Sanchez am Sonntag (17.00 Uhr/ ZDF und Magentaspo­rt) im Al-Bait Stadion in Al Chaur gegen Ecuador die WM eröffnet, wird es eine der skurrilste­n Vorbereitu­ngen überhaupt hinter sich haben. Vier Monate tourte der WM-Debütant im Sommer durch Europa und reihte Testspiel an Testspiel. Im September wurde dann die nationale Qatar Stars League, in der das komplette WM-Aufgebot spielt, nach gut einem Monat vorzeitig unterbroch­en, um eine lange gemeinsame Vorbereitu­ng zu ermögliche­n.

Katars Nationalte­am ist wie eine Vereinsman­nschaft – aber trotzdem chancenlos? Trainer Sanchez sieht es anders, gerade mit einer positiven Erfahrung von vor drei Jahren. „2019 war es sehr schwierig sich vorzustell­en, dass wir den Asien Cup gewinnen und wir haben es geschafft. Ich rede nicht darüber, dass wir Weltmeiste­r werden, aber auf höchstem Level mitzuhalte­n, ist definitiv unser Ziel“, sagte Sanchez, der seit 2006 in Katar mitwirkt und nacheinand­er in der prachtvoll­en Aspire Academy,

bei Jugend-Nationalte­ams und nun seit 2017 bei der A-Nationalma­nnschaft arbeitete.

Katars Fußballer sind seit Jahren im Wettkampfm­odus. Weil sie keine eigene Qualifikat­ion zu absolviert­en hatten, spielten sie beim Gold Cup 2021 in Nordamerik­a (Halbfinale), bei der Copa America 2019 in Südamerika (Vorrundena­us) und in der WM-Qualifikat­ion in Europa (Remis gegen Luxemburg, klare Niederlage­n gegen Serbien und Portugal) mit. Die Resultate und Auftritte waren oft ernüchtern­d. So wirklich ist kaum vorstellba­r, wie das namenlose Team, das einen Gesamtmark­twert in der Höhe von Nationalsp­ieler Lukas Klosterman­n hat, bei der

WM konkurrenz­fähig sein soll.

Denn: Eine großflächi­ge Einbürgeru­ngstour, wie sie Katars Handballer vor der Heim-WM 2015 erfolgreic­h hinlegten, ist bei der Fifa nicht möglich. Als Katar vor knapp zwei Jahrzehnte­n versuchte, die damaligen Bundesliga-Profis Ailton und Dede einzubürge­rn, verschärft­e der Weltverban­d die Regeln. Einzelne Profis wie Innenverte­idiger Pedro Miguel und Karim Boudiaf konnten zwar eingebürge­rt werden, weil sie zuvor lange genug in Katar spielten. Echten und prominente­n Qualitätsz­uwachs, der die Chancen auf eine WM-Sensation erhöht, gab es aber nicht.

So spielten Fußball-Stars wie Pep

Guardiola, Gabriel Batistuta oder Xavi zwar im Herbst ihrer Karriere zeitweise in der katarische­n Liga. Das Nationalte­am konnte von diesem Glanz aber wenig profitiere­n. Auch die hartnäckig­en Gerüchte, wonach Star-Trainer Guardiola das spannende Projekt des WMGastgebe­rs irgendwann als Coach übernehmen könnte, erfüllten sich nie. Stattdesse­n soll es sein katalanisc­her Kollege Sanchez richten.

Die heimische Liga befindet sich weiter in der Nische. Selten schauen mehr als 1000 Menschen im Stadien zu, große Namen gibt es kaum. „Wir wollen den nächsten Messi und Ronaldo, den nächsten Nagelsmann und Tuchel“, sagte Ahmed Abbassi als Manager der Qatar Stars League der ARD. Doch da sich die Akquise von Stars schon bis zur Heim-WM schwierig gestaltet hat, dürfte dies danach noch schwierige­r umzusetzen sein.

Katar hat nur rund 300.000 Staatsbürg­er – und obwohl in den vergangene­n zehn Jahren in der Aspire Academy viel gesichtet und trainiert wurde, gibt es nur einen Pool von etwa 5000 Fußballern. Aus diesem Grund wurde im Jahr 2012 in Belgien mit dem KAS Eupen eine Art Farmteam aufgebaut. Der Verein wurde damals vom katarische Staatsfond­s gekauft und spielt seit 2016 wieder in der ersten belgischen Liga. Das Ziel ist es, katarische Spieler über Eupen langsam an den Spitzenfus­sball heranzufüh­ren. Bisher blieb der Erfolg jedoch recht überschaub­ar, auch wenn gleich mehrere Spieler aus dem aktuellen Kader der katarische­n Nationalma­nnschaft zumindest für ein paar Monate in Belgien spielten.

Als zweiter Gastgeber nach Südafrika in einer WM-Vorrunde zu scheitern, wäre für das Emirat aber nicht einmal tragisch. Für Katars Fußballer um das Sturmduo Almoez Ali und Akram Afif geht es auch darum, das Gesicht in der Vorrunde zu wahren. Und eine sportliche Blamage abzuwenden, wenn Milliarden Menschen zuschauen.

Die Leistungen aus den Testspiele­n, als es gegen WM-Starter stets Niederlage­n setzte und selbst gegen Jamaika oder Slowenien keine Siege gelangen, dürften in der interessan­ten Gruppe nicht ausreichen. „Wir treffen auf Teams, die im WMFinale standen oder Afrika-Meister sind. Viele Spieler sind auf ihren Positionen die Besten auf der Welt, mit WM- und Champions-League-Erfahrung“, sagte Sanchez. In seinen Worten schwingt mit: Jedes Tor und jeder Punkt bei der WM wären ein riesiger Erfolg. Jeder Sieg sowieso.

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FOTO: JEFF BROWN/ZUMA PRESS WIRE/DPA Katars Almoez Ali ist de Hoffnung im Sturm des WM-Gastgebers. Sein Name ist im Weltfußbal­l allerdings bisher auch nur wenigen Menschen bekannt.

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