Für immer Jungs
Die Sportfreunde Stiller sind zurück. Der Frontmann ist 50, aber das Erfolgsrezept der oft geschmähten ewigen Schülerband funktioniert noch immer. Na und? Eine Ehrenrettung.
Vor knapp einem Monat erst ließ einen die Nachricht schlucken, dass Marshall Bruce Mathers III. aus Detroit, besser bekannt als Eminem, plötzlich 50 ist. Nun geschah noch Unglaublicheres: Auch Peter Stephan Brugger aus Germering vor den Toren Münchens vollendete das 50. Lebensjahr. Abgesehen davon, dass sie ihren Fans deren eigenes Alter deutlich vor Augen führen, könnten die Musiker verschiedener nicht sein: Eminem macht Rap, Brugger Pop. Eminem ist der ewige Elternschreck, Brugger Schwiegermutters Liebling. Eminem wurde als König des Rap berühmt, Brugger für seinen relativen Mangel an Gesangstalent berüchtigt. Eminem beklagte, er sei bekannter als seine Band; Brugger verschwindet, obgleich Frontmann, hinter seiner Gruppe.
Die wollte er eigentlich nach dem niederrheinischen Stürmer Olaf Bodden (Stationen: SG Hasselt, Viktoria Goch, Borussia Mönchengladbach, Hansa Rostock, 1860 München) benennen. Letztlich wählte er dann doch den Trainer seiner Bezirksliga-Mannschaft SV Germering zum Namenspaten: Hans Stiller. Die heutigen Berufsmusiker wollten der Legende nach nur ein einziges Konzert spielen und sich sofort danach auflösen, doch jemand aus dem Publikum protestierte. Das ist nun beinahe 27 Jahre her, der Fan der ersten Stunde wurde ihr Manager, das Lied „Wunderbaren Jahren“(doch, mit „n“) blieb seit jenem ersten Auftritt im Programm, gespielt bei jedem der mehr als 1000 Konzerte. Eine Hymne auf die Liebe und die Freundschaft, wie eigentlich alle der besten Lieder des Trios.
Die Band ist ein Phänomen: Eine Indie-Poprock-Band, die sich seit mehr als 20 Jahren anhört wie eine
Schülerband: manchmal stilunsicher, vor allem aber spielfreudig und mit der perfekten Mischung aus Lakonie („Ich wollte dir nur mal eben sagen, dass du das Größte für mich bist“) und Euphorie. Fast beängstigend eingängig besingen Brugger, Bassist Rüdiger „Rüde“Linhof und Drummer Florian „Flo“Weber die Liebe in allen Formen: zum Partner und zum Leben, zu Familie und Freunden, zum Fairplay und eben zum Sport (Fußball vor allem, aber auch Hockey, Wellenreiten, Tischtennis). Zur Fußball-WM im eigenen Land liefern sie mit „‘54, ‘74, ‘90, 2006“den Ohrwurm. Der dritte Platz, den sie mit Poldi und Schweini und 100.000 Fans auf einer Bühne am Brandenburger Tor feierten, ist ein klein wenig auch der ihre.
2009 wird ihnen als erst sechsten deutschen Musikern die Ehre zuteil, ein MTV-Unplugged-Konzert zu spielen. Es folgt noch dies und das, aber 2017 ist Schluss, nach sieben Studio-Alben, 2,5 Millionen verkauften Platten und den ewigen Konzertreisen hat sich das Trio auseinandergelebt. „Zerbröselt“und „verzwirbelt“und „verwirrt“seien sie gewesen, erzählt Brugger im Podcast „Hotel Matze“. Und: „Wir haben gesagt, wir machen jetzt erst mal Urlaub und reden danach. Aber dann haben wir nicht geredet.“
Lange herrscht Funkstille, jeder widmet sich Familie und Hobbys. Die Instrumente für die Live-Auftritte sind eingelagert und bleiben fast fünf Jahre lang unangetastet. Hinter den Kulissen aber nähert man sich einander früher wieder an: Die drei treffen sich, sprechen über Enttäuschungen und Verletzungen, trinken ein paar Bier – und probieren aus, ob ihnen das gemeinsame Musizieren noch Spaß macht. Falls nicht, wollen sie es lassen.
Im Herbst vergangenen Jahres kündigen Promis wie Dirk Nowitzki,
Philipp Lahm und Farin Urlaub (Die Ärzte) in kurzen Videos das Comeback der „Sportis“an. Im Mai erscheint die Single „I’m Alright“, im Sommer folgen erste Live-Auftritte etwa bei Rock am Ring, jetzt erscheint das achte Studioalbum „Jeder nur ein X“. Es klingt, als wären die Sportfreunde Stiller nie weg gewesen. Vom Indie-Poprock der Anfangsjahre ist vor allem Pop übrig geblieben, natürlich gitarrenlastig, mit Bläsern hier und da, Spuren von Neue Deutsche Welle und Rap – was man halt so macht.
Der typische Sportfreunde-Sound verbindet Koketterie mit voll kinderliedtauglichen Texten („Horch, was kommt denn da daher? Style und Beat leicht wunderlich, ein Rucksack voller Zaubertricks – hoppla, hey, das bin ja ich!“). Direkt die erste Strophe enthält eine typische Brugger-Zeile: „Ich zieh‘ heut‘ mein Kajak raus und gleit‘ ‘n Stück flussaufwärts!“Da stöhnen nicht nur Physiker. Subtil ist dieses sprachliche Bild ja wirklich nicht, aber nett ist es, sehr eindrücklich, und vor allem kann man es ganz hervorragend mitschmettern. Sportfreunde Stiller is en Jeföhl.
Nett ist das Schüsselwort. „Mit seinem Lächeln kann man BioObst bewerben“, heißt es zurecht über Brugger, oder dass die Sportfreunde Stiller „keine Band, sondern ein Wellnesshotel“seien. Das RP-Urteil zum zweiten Album lautete
2002: „ebenso belang- wie zeitlos schön“. Die Kritiken zu den neueren Alben sind negativer. Das Musikportal Laut.de etwa urteilt: „Halbgarer Kirmesrock mit GZSZ-Lyrics“, bescheinigt der Band „die Variationsmöglichkeiten eines Steins“und beklagt das endgültige Übertreten der „Grenze zum Schlager“. Der „Musikexpress“bemängelt „hüftsteifen Elektrorock und Off-Beat-Songs, die grooven wie ein Männertag am Baggersee“.
Brugger steht zu seinem Harmoniebedürfnis. Er habe „keine Lust, am Ende eines Songs in einem schwarzen Loch zu versinken“, sagt er. Also haben die Lieder seiner Band eben ein Happy End. Trotz allem. „Nach zwei Jahren Pandemie hatten alle die Hoffnung, dass das Leben ein bisschen leichter wird – und dann beginnt dieser schreckliche Krieg. Aber ich suche mir Momente des Glücks und der Zufriedenheit. Zwar fragt man sich, ob das in diesen Zeiten angemessen ist. Aber ich bin zur Überzeugung gekommen: Das muss sein.“Frei nach Karl Valentins „Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch“.
Und so geht es auch in den neuen Liedern, die schwierige Themen behandeln, „ab jetzt bergauf“und sowieso „immer Richtung Licht“, denn: „Wir begleiten dich von Nacht zu Tag.“Wunden werden zu Narben werden zu Erinnerungen. Und: „Es
gehen die liebsten Leute – aber nicht heute.“Früher sei übrigens auch nicht alles nicht besser gewesen. Und falls irgendwelche Ängste doch zu groß werden, schwört Brugger, hole er nicht bloß seinen großen Bruder, sondern direkt den muskelbepackten Fußballhelden Zlatan Ibrahimovic.
Dazu kommt etwas seltsame Selbstbespiegelung (ein „Raubtier
vom Dancefloor“bei „Candlelight & Hardcore“) plus Schabernack, Nonsens, Dada. „Du bist eine Bank“ist eine (gelungene) Ode an eine Parkbank, und das „Drama mit dem Karma“ist: „Keiner weiß, ob er schon mal da war.“Aha, aha.
Was soll man zu alledem sagen? Die drei Musiker sind offensichtlich tatsächlich nette Jungs, Pardon: Männer. Mittelalte Männer, die über Gefühle singen und sich gegen Neonazis engagieren. Sie wirken wie Pfadfinder, wären ohne die Musik vielleicht Sportlehrer geworden oder Sozialarbeiter. Eine Band aus Gutmenschen, die schöne, wichtige Themen besingt – und das selbstverständlich griffig bis platt, weil es radiotauglich sein soll und vor allem live mitsingbar. Eine Gutband.
Wer will, mag das als Beleidigung verstehen. Gemeint ist es als Lob.
Ihre Musik ist schlicht, aber oft ergreifend. Manchmal auch unlustig („Du gibst dir Klöße mit Soße / lieber als die Blöße“), pathetisch oder peinlich. Ja mei. Es ist ja auch nicht so, dass sie sich für unfehlbar hielten. „Natürlich schüttelt man da im Nachhinein schon mal den Kopf“, hat Schlagzeuger Florian Weber einmal im RP-Interview gesagt. Und: „Wenn wir lustigerweise damit anecken, dass wir angeblich nicht anecken, dann soll es halt so sein.“
Man mag ja unbedingt der Meinung sein, dass ihre ersten Platten die besten waren. Aber erstens verlangen doch immer alle, Künstler sollten sich gefälligst weiterentwickeln; auf die Richtung hat man keinen Einfluss. Zweitens mögen andere das genau andersrum sehen; Geschmackssache eben. Und drittens gibt es die alten Platten ja noch.
Cool im engeren Sinne mögen die Sportfreunde Stiller nicht sein, aber Coolness ist auch überbewertet.
Die Band wollte nur ein einziges Konzert spielen und sich sofort danach auflösen