Rheinische Post

WJeder glaubt, was er glauben will

Ein eiskalter Verschwöru­ngsfan fordert Gorniak und Winkler sowie ihren Chef Schnabel.

- VON TOBIAS JOCHHEIM „Tatort: Katz und Maus“, Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr

DRESDEN Eine Frau namens Brigitte Burkhard wird entführt, und es gibt Passagen in diesem Film, in denen man hingerisse­n sein könnte zu denken „Geschieht ihr recht“. Burkhard betreibt eine angebliche Form des Journalism­us, die so wahrgenomm­en wird und natürlich auch so wirken soll, ohne Journalism­us zu sein: Wissentlic­h verdreht sie Fakten und erfindet Interviews – Hauptsache, die Auflage stimmt. Mit Vorliebweä­haruf Kosten von Verbrechen­sopfern und deren Hinterblie­benen, verzweifel­ten Menschen also wie eWtwa einem Vater, dessen Tochter vermisst wird. Dresdens Kripo Schnabel (Martin Brambach) sagt dazu auf seine ganz eigene, unverwechs­elbare Art, leicht sächselnd und schwer trocken: „Die Frage, ob Brigitte Burkhard Feinde hat, können wir uns also sparen.“

Der Entführer der Frau verbreitet über soziale Netzwerke für Verschwöru­ngsfreaks Bekenner-Videos. Ermittleri­n Gorniak (Karin Hanczewski) verzweifel­t fast an den Reaktionen der Zuschauer, die das wViüdreo auf geheime Zeichen hin untersuche­n und die Geschichte munvter weiter spinnen, als wäre das üble

Verbrechen ein Spiel. „Manche hawben in den ‚Signalen‘ Atlantis oder den Berliner Reichstag entdeckt“, stöhnt sie. Schnabel fühlt sich bestätigt in der Auffassung, die er schon lange mit sich herumträgt. Rhetorisch fragt er: „Merken die Menschen eigentlich nicht, wie sie verblöden durch das Internet?“

Derweil offenbart der Entführer der Autorin Erstaunlic­hes: „Ich will Sie nicht töten, ich will Ihnen nicht einmal weh tun. Ich will auch keine

Wiedergutm­achung für all das, was unter anderem Sie mir angetan haben. Ich will nur meine Tochter zurück.“So ganz stimmt das allerdings nicht, denn der Mann wähnt sich auf einer Mission. Nicht weniger als 150 Kinder aus Dresden und Umgegend würden von einem Missbrauch­s-Ring festgehalt­en, davon ist er überzeugt, und: Justiz, Politik und Polizei hingen mit drin. Er will dafür sorgen, dass alle Kinder endlich freigelass­en werden. Falls das nicht geschieht, werde er jeden Tag einen weiteren Menschen entführen. Ins Visier nimmt er bald Schnabel, was wiederum Gorniaks Partnerin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) zu übereilten Aktionen veranlasst.

Dieser Film will vieles sein – Thriller etwa und eine Art Skizze der Verschwöru­ngsmythen-Fließband-Produktion – und es gelingt. Deutlich wird, wie unterschie­dlich die Motivation­en derjenigen sind, die quasi im Kollektiv wilde Mythen spinnen, die kaum noch in der Realität verwurzelt sind. Verzweiflu­ng. Verletzung. Fundamenta­le psychische Probleme. Kreative Unterforde­rung. Sinnsuche. Geldgier. Zynismus. Langeweile. Und Lust an der Macht der Anstifter über diejenigen unter ihnen, die das alles wirklich glauben.

Auch und vor allem aber ist der bereits achte Fall von Gorniak und Winkler ein Schauplatz für die Tragödie

um den schnell enttarnten, aber kaum zu fassenden Entführer (großartig: Hans Löw), der sich immer tiefer in seinen Obsessione­n verliert. Das Perfide iSsct:huEglaaul swfleulgch­e Entscheidu­ng die Ermittlelr­iidnanen auch treffen, wer womöglich auf welche Art stirbt oder überlebt – alles lässt sich leicht einweben in den endlosen Mythos über die da oben. Ein klasse Buch zu einem hochreleva­nten Thema von der Düsseldorf­erin Stefanie Veith und Jan Cronauer, knackig umgesetzt vom bislang jüngsten „Tatort“-Regisseur, Gregory Kirchhoff ( Jahrgang 1992).

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FOTO: MDR Alarmiert vom Geschwurbe­l des Entführers: Karin Gorniak (Karin Hanczewski, l.), Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und ihr Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach).

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