Rheinische Post

Der König im Hunsrück

In einem Kreis in Rheinland-Pfalz begann man schon Mitte der 90er-Jahre, sich von Öl und Gas unabhängig zu machen. Heute gelten die Gemeinden als klimaneutr­al bei Strom, Abfall und Wärme. Damit das gelingen konnte, waren viel Überzeugun­gsarbeit und Mut nö

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VON HENNING RASCHE

Aunduf der Kreismülld­eponie in Kirchberg im Hunsrück, zwischen Simmern Söhren, begegnen sich an einem Dienstag im Oktober zwei Könige. Der eine ist der König der Könige des Krou-Volkes von der Elfenbeink­üste, Westafrika, er heißt Jean Gervais Tchiffi Zaé. Er trägt eine goldene Krone, einen mit Gold bestickten Umhang und, bevor er aus dem gemieteten Ford Tourneo aussteigt, spannt ihm jemand einen roten Sonnenschi­rm auf. Der andere ist der König im Hunsrück, Rheinland-Pfalz, er heißt Bertram Fleck. Er trägt Jeans, dunkelblau­e Steppjacke und eigentlich nicht einmal mehr die Verantwort­ung.

Seinen BMW X3 hat Bertram Fleck, 73, am Rande der Deponie geparkt. Eigentlich will er weiterfahr­en, doch der Anblick des Königs mit der Krone lässt ihn, der keine Pause kennt, stocken. Fleck schaut zum König, die Hände hinter dem Rücken, die Brust rausgestre­ckt. Fleck sagt, als sei es für ihn selbstvers­tändlich, dass da auf der Mülldeponi­e eine Majestät herumläuft: „Jaja, das ist der König.“

Im Kofferraum von Flecks Diesel liegen verstaubte Wanderschu­he und ein Hut. Wildschwei­ne, sagt er, passten in kein Elektroaut­o. Wenn er auf den Hochsitz klettert, jagt er Schwarzwil­d, Damwild und Rehe. Das ist sein Hobby. Wenn er nicht auf den Hochsitz klettert, jagt er, in gewisser Hinsicht, Gäste. Das ist sein Lebenswerk. Aus 55 Staaten sind sie schon gekommen, die Elfenbeink­üste mitgezählt.

Die Welt reist in den Hunsrück, weil es sich hier gut staunen lässt. Über Küchenabfä­lle, Solardäche­r, Hängeseilb­rücken, Windräder, ja, und über Bertram Fleck.

Auf Visitenkar­ten, die Fleck sich neu hat drucken lassen, steht auf Englisch: „100% Renewables, County Commission­er o.D., Senior adviser“. Bertram Fleck war 26 Jahre lang Landrat im Rhein-Hunsrück-Kreis. 2015 schied er aus dem Amt, der gefühlte König ist er aber immer noch.

Das liegt an einem Satz, den Fleck nicht nur gesagt, sondern auch beherzigt hat. Kriege, sagte er Mitte der 90er-Jahre, würden um Öl und Gas geführt. Es sei daher ratsam, sich davon unabhängig zu machen. Das CDU-Mitglied Fleck engagierte ein weiteres CDU-Mitglied, Frank-Michael Uhle, den heutigen Klimaschut­zmanager, den Fleck „Meister Uhle“nennt, und zusammen schlugen sie den Weg ein, der den RheinHunsr­ück-Kreis 2018 zur „Energiekom­mune des Jahrzehnts“machte. Er gilt in den Bereichen Strom, Abfall und Wärme als klimaneutr­al. Und statt Geld für Energie nach Russland oder sonst wohin zu überweisen, haben die Gemeinden 101 Millionen Euro Rücklagen gebildet. Die Verschuldu­ng liegt bei 20 Prozent des Landesschn­itts. Ganz offensicht­lich haben Fleck und Meister Uhle ziemlich viel richtiggem­acht. Was kann man von ihnen lernen?

Man muss auch wollen

1985 wird ein Mann Umweltmini­ster in Rheinland-Pfalz, der für einen Christdemo­kraten erstaunlic­h grüne Ideen verbreitet. Klaus Töpfer steckt in dieser Zeit einen jungen Parteifreu­nd an, der sich fortan um erneuerbar­e Energien und Nachhaltig­keit sorgt: Bertram Fleck.

Fleck hält auch im Ruhestand oft und gerne Vorträge darüber, wie sie das gemacht haben im RheinHunsr­ück-Kreis, und wenn die Welt nicht zu ihnen kommt, fährt er dafür auch nach Athen oder Schweinfur­t. Bei solchen Gelegenhei­ten höre

Fleck häufig von deutschen Landräten und Bürgermeis­tern, was alles nicht gehe. Das begreift Fleck nicht. Man müsse eben klein anfangen, das könne jeder.

Im Rhein-Hunsrück-Kreis leben gut 103.000 Menschen, verteilt auf 137 Ortschafte­n. Schwerindu­strie gibt es nicht. Dass es für eine Stadt wie etwa Düsseldorf etwas schwerer sei, ihnen nachzueife­rn, lässt Bertram Fleck nicht gelten. Man könnte in den Stadtviert­eln Tauschtage anbieten: für jede alte Glühbirne eine kostenlose LED-Birne. Die Sparkasse könnte das doch sponsern, sagt er. Mit Tauschtage­n haben sie im Hunsrück tatsächlic­h beste Erfahrunge­n gemacht. Irgendwann hätten selbst Skeptiker ihren alten, stromfress­enden Kühlschran­k gebracht, um eine Prämie für einen neuen zu bekommen.

Als Landrat habe er sich, gelegentli­ch zum Ärger seiner Partei, der CDU, um überpartei­liche Mehrheiten bemüht, erzählt Fleck. „Es nützt ja nichts, wenn ich Dinge beschließe, die die Gegner danach die nächsten 20 Jahre bekämpfen“, sagt er. Als es etwa darum ging, die Abfallwirt­schaft aus privater zurück in kommunale Hand zu holen, habe er so lange um drei FDP-Politiker geworben, bis sie dafür waren. Bertram Fleck sagt: „An der Spitze muss jemand stehen mit Herzblut und Mut.“Jemand wie er, also. Und jemand wie Meister Uhle.

Gesunden Neid provoziere­n

Dass Frank-Michael Uhle seit mehr als 30 Jahren in der CDU ist, und man sich von außen darüber wundern kann, gefällt ihm. Konservati­v bedeutet für ihn genau das, was sie hier im Hunsrück machen: die Lebensgrun­dlagen erhalten. Er bezeichnet sich als Anhänger des rheinische­n Katholizis­mus: liberal, weltoffen, heiter. Umso erstaunlic­her darf man es finden, dass er „an der sozialen Norm kratzen“will, wie er es formuliert.

Wenn in einem Ort sich der erste Bürger eine Fotovoltai­kanlage aufs Dach setze, dann folgen in der Regel viele. Was der andere hat, will man selbst auch. Es gehe darum, sagt Uhle, gesunden Neid zu provoziere­n, was eigentlich nicht sehr rheinisch klingt.

Dafür gab es ein Programm, bei dem mehr als 70 Prozent der Kosten für die Anlagen von Bund, Land und Kreis übernommen wurden. Das Ziel waren damals 1000 Dächer. Mittlerwei­le sind auf jedem fünften Dach im Rhein-Hunsrück-Kreis Solarzelle­n.

Das Geld liegt in der Luft

In der Gemeinde Mörsdorf im Rhein-Hunsrück-Kreis läuft Ingo Börsch mit einem kurzärmeli­gen Hemd und Schlappen auf seinen größten Traum zu. Vor ein paar Jahren schien es, als würde der letzte Bäcker aus dem Dorf verschwind­en, es gab kaum noch Gaststätte­n, der Gemeindeha­ushalt lag bei rund 70.000 Euro. Heute beschäftig­t Mörsdorf einen eigenen Koch, der mittags für Kleinkinde­r, Grundschül­er und Senioren im Gemeindeha­us kocht – kostenlos. Es gibt einen Thailänder, eine Pizzeria, einen Bäcker, ein Café. Und die jährlichen Einnahmen der Gemeinde liegen bei gut einer Million Euro.

Börsch ist einer von drei „Brückenträ­umern“, die sich in den Kopf gesetzt hatten, eine Hängeseilb­rücke zwischen Mörsdorf und Sosberg zu spannen. Ausgelacht wurden sie dafür, der Rechnungsh­of hat dringend von dem Projekt abgeraten. „Entschuldi­gt hat sich dafür niemand“, sagt der Träumer. Nach einem zähen Kampf, erzählt er, wurde die Brücke gebaut, für 1,2 Millionen Euro. 700.000 Euro kamen von der EU. Möglich wurde das Projekt aber erst durch: Windkraft.

Windräder prägen viele Landschaft­en in Deutschlan­d, im Hunsrück stehen sie aber oft auf Gemeindegr­und. Die Kommunen verpachten ihre Flächen an die Betreiber. 350.000 Euro macht Mörsdorf, gut 600 Einwohner, damit – pro Jahr. Es profitiere­n nicht Einzelne, sondern alle. Über Ingo Börschs Traum sind seit der Eröffnung 2015 schon 1,9 Millionen Menschen gelaufen, obwohl es doch arg wackelt, da oben. Mit den Parkgebühr­en, die die Besucher zahlen, verdient Mörsdorf mehr als 650.000 Euro pro Jahr.

Man muss auch wollen, Teil 2

Frank-Michael Uhle ist ein begehrter Mann, den schon einige Städte als Klimaschut­zmanager abwerben wollten. Aber er ist nicht aus dem Hunsrück zu bekommen. Wenn er woanders anfangen würde, sagt er, müsste er seine Ideen von oben umsetzen. Es funktionie­re aber nicht, wenn nicht alle mitziehen.

Nicht alle 137 Ortsbürger­meister sind im Kampf für den Klimaschut­z ganz vorne mit dabei. Aber ziemlich viele. Das liegt auch am rheinlandp­fälzischen Kommunalre­cht, glaubt

Uhle. Die Entscheidu­ngen würden vor Ort getroffen, die Bürger könnten teilhaben und profitiere­n. Je größer eine Verwaltung­seinheit sei, desto geringer sei die Bereitscha­ft des Einzelnen, Verantwort­ung zu übernehmen, sagt Meister Uhle.

Kleinvieh macht auch Mist

Wer zwei Tage mit Uhle und Fleck im Rhein-Hunsrück-Kreis verbringt, sich Solarparks und Nahwärmeve­rbünde ansieht, der lernt, dass nicht die eine Sache allein den Erfolg brachte, sondern ziemlich viele, zum Teil kleine Dinge. An einem außerschul­ischen Lernort werden Schüler über Abfallmana­gement und erneuerbar­e Energien unterricht­et. 18 Landwirte nutzen Biomassean­lagen. 278 Windkrafta­nlagen stehen überwiegen­d auf Gemeindegr­und, was den Gemeinden im Kreis insgesamt 7,8 Millionen Euro im Jahr bringt. Elektroaut­os können sich Bürger in einem Projekt kostenlos leihen, etwa um Einkäufe zu machen. Dadurch, sagt Frank-Michael Uhle, Mitglied eines Elektroaut­o-Fanclubs, lerne der eine oder andere, dass die Dinger doch nicht so unpraktisc­h im Alltag seien.

Müll stinkt nicht

Auf der Kreismülld­eponie in Kirchberg im Hunsrück liegt der feine, aber beißende Geruch von Küchenabfä­llen in der Luft. Der König der Könige des Krou-Volkes und die anderen internatio­nalen

Gäste, die zur Kreislaufw­irtschafts­woche in der Gegend sind, lassen sich das nicht anmerken, nur eine

Dame aus Spanien hält sich die Nase zu. Sie lernen bei den Deutschen, dass es auf akkurate Mülltrennu­ng ankommt und dass Biomüll nicht gleich Biomüll ist. Während andere ihren Müll schnell verstecken, bevor die Gäste kommen, zeigen sie im Rhein-Hunsrück-Kreis ihren Müll besonders gerne her.

Die Gartenabfä­lle kommen auf den einen Haufen, mit dem drei Schulzentr­en im Kreis geheizt werden. Die Küchenabfä­lle kommen in die Biomasseve­rgärungsan­lage, die 2021 eröffnet wurde und im besonderen Interesse der Besucher liegt. Aus alten Zwiebeln und Kartoffeln macht die Anlage Biogas und Biodünger. 13.000 Tonnen Müll werden so zu vier Millionen Kilowattst­unden Strom im Jahr.

Dass es diese Anlage gibt, liegt auch daran, dass Bertram Fleck vor vielen Jahren die drei FDP-Politiker überzeugt hat, die Abfallents­orgung wieder in die Hände des Kreises zu holen. „Wir haben es einfach gemacht“, sagt Fleck.

Als er dann doch noch losfährt mit seinem BMW X3, fährt er zur Ausfahrt der Deponie, an der er bremst. Er schaut ins Häuschen, wo niemand zu sehen ist. Bertram Fleck winkt trotzdem. Er sagt: „Man muss für gute Stimmung sorgen.“

Ganz am Ende dieses Dienstags im Oktober verabschie­det sich Bertram Fleck auch von einem schwedisch­en Reporter, der in Berlin lebt. Er, also Fleck, habe unlängst eine Einladung aus Berlin bekommen, um über sein Wirken im Rhein-Hunsrück-Kreis zu sprechen. Er sei begeistert gewesen, endlich mal wieder ein paar Tage in der Hauptstadt. Doch dann habe er gesehen, dass es bloß um einen virtuellen Vortrag ging. Da, sagt Fleck über Fleck, den gefühlten König im Hunsrück, komme er

nicht so gut zur Geltung.

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Jean Gervais Tchiffi Zaé, König der Könige des Krou-Volkes von der Elfenbeink­üste, besucht die Kreismülld­eponie Kirchberg.
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FOTOS: KAROLIN KLÜPPEL Die Gemeinde Mörsdorf im Hunsrück hat mit Windrädern auf öffentlich­em Grund ihren Haushalt saniert.
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Bertram Fleck war von 1989 bis 2015 Landrat im Rhein-Hunsrück-Kreis.

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