Rheinische Post

Hilferufe von 134 Kommunen

Das NRW-Flüchtling­sministeri­um legt offen, wie häufig Bürgermeis­ter und Landräte um Unterstütz­ung gebeten haben. Die Regierung öffnet die Landesunte­rkünfte teils auch für Menschen, die nicht aus der Ukraine stammen.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Im August und September dieses Jahres sind im Schnitt pro Woche rund zwei Schreiben beim Land Nordrhein-Westfalen eingegange­n, in denen Kreise, Städte und Gemeinden um Hilfe in der Flüchtling­skrise baten. Das ergibt sich aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Landtagsfr­aktion, die unserer Redaktion vorliegt. 16 Gesuche seien beim Land eingegange­n, heißt es in der Antwort von Flüchtling­sministeri­n Josefine Paul (Grüne).

SPD-Fraktionsv­ize Lisa-Kristin Kapteinat warnte vor einer Fehlinterp­retation: „Diese Antwort der Landesregi­erung ist leider irreführen­d. Damit versucht Ministerin Paul zu suggeriere­n, dass sich bei ihr nur ein paar Kommunen gemeldet haben. Insgesamt stehen hinter den Schreiben 134 Hilferufe aus den Städten und Gemeinden.“

Neben Briefen einzelner Städte und Gemeinden wie Delbrück, Dormagen, Eitorf, Inden, Nettershei­m, Nideggen, Inden, Niederzier und

Titz gibt es Anschreibe­n der kompletten Kommunen der Kreise Düren, Steinfurt, Euskirchen und Kleve sowie der Landräte der Kreise Borken, Coesfeld, Lippe und des Rheinisch-Bergischen Kreises. „Darunter waren 49 Bürgermeis­terinnen und Bürgermeis­ter sowie Landräte der CDU und vier der Grünen“, resümiert Kapteinat: „Das ist ein deutlicher Beleg dafür, wie brenzlig die Situation in unseren Kommunen ist.“

Tatsächlic­h dürfte die Zahl der Anfragen noch höher liegen. Denn das Ministeriu­m fügt hinzu, dass es neben den aufgeliste­ten Schreiben „im laufenden Tagesgesch­äft telefonisc­h oder per E-Mail entspreche­nde bilaterale Kontaktauf­nahmen und Anfragen“gegeben habe, über die jedoch keine Übersicht geführt werde.

Kapteinat warf dem Land vor, die Hilferufe verhallen zu lassen, denn eine landesweit­e Strategie sei nicht zu erkennen: „Stattdesse­n betreibt die Landesregi­erung fortlaufen­d Flickschus­terei und nennt das dann ,individuel­le Lösungen‘. Dabei ist gerade jetzt zentrales Management gefragt.“Seit Monaten sehe sich die Landesregi­erung nicht in der Lage, den „Sachstand staatliche­s Asylsystem“vorzustell­en, obwohl dieser in der Vergangenh­eit einmal im Quartal veröffentl­icht worden sei, kritisiert sie. Das zeige, dass der Ministerin die Situation aus der Hand gleite: „Im Blindflug ohne die nötigen Zahlen für eine wirksame Steuerung der Situation schlingert sie durch die Krise. Und die Menschen auf der Flucht und die Kommunen müssen es ausbaden.“

Angesichts der Lage hat das Land seine Unterbring­ungsmöglic­hkeiten aufgestock­t. „Von 15.000 Plätzen vor Kriegsbegi­nn sind es nun über 26.000 Plätze“, schreibt Ministerin Paul: „Die Landesregi­erung wird die Kapazitäte­n sukzessive weiter ausbauen. Die bisher feststehen­de Planung sieht bis März 2023 mindestens 34.500 Plätze vor.“Ziel seien die zügige Inbetriebn­ahme weiterer, bereits geplanter Notunterkü­nfte und die Herrichtun­g noch neu zu akquiriere­nder Standorte. „Hierdurch können frühzeitig­e Zuweisunge­n in die Kommunen vermieden werden“– das trage zur Entlastung bei. Zudem kündigte sie an, bislang ausschließ­lich für Ukrainer vorgehalte­ne Landeseinr­ichtungen teils für Geflüchtet­e aus anderen Ländern zu öffnen.

Kapteinat hält die Aufstockun­g für unzureiche­nd: „Verfügte das Land

Anfang 2016 noch über mehr als 85.000 Plätze in Landeseinr­ichtungen, will man die Kommunen heute mit weniger als der Hälfte im Regen stehen lassen.“Die Landesregi­erung müsse endlich ihre Verantwort­ung erkennen und den um Hilfe rufenden Kommunen unter die Arme greifen: „Zuschauen am Spielfeldr­and ist keine Option mehr.“

Der Hauptgesch­äftsführer des Städte- und Gemeindebu­nds NRW, Christof Sommer, sagte: „Der anhaltende Zuzug von Geflüchtet­en macht den Kommunen weiterhin große Sorgen. Es geht darum, Obdachlosi­gkeit zu vermeiden.“In vielen Städten und Gemeinden seien in der Not schon wieder Turnhallen und ähnliche Einrichtun­gen bezogen worden. Die angekündig­te Ausweitung der Kapazitäte­n der Landeseinr­ichtungen lasse hoffen. „Bund und Land stehen in der Verantwort­ung, die Kommunen deutlich stärker zu entlasten. Entscheide­nd wird sein, dass die Hilfen schnell und in vollem Umfang bei uns ankommen“, so Sommer.

 ?? FOTO: TOM WELLER/DPA ??
FOTO: TOM WELLER/DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany