Rheinische Post

„Wir halten unsere Zusagen“

Die Verteidigu­ngsministe­rin spricht über den Krieg in der Ukraine, die Gefahr einer Verwicklun­g der Nato und die Kampfkraft der eigenen Truppe.

- INTERVIEW CHRISTINE LAMBRECHT (SPD)

Frau Ministerin, nach dem Raketenein­schlag in Polen mit zwei Toten – sehen Sie die Gefahr, dass die Nato „aus Versehen“in den Krieg hineingezo­gen werden kann? LAMBRECHT Es ist unsere oberste Verantwort­ung, dass die Nato keine Kriegspart­ei wird. Dafür müssen wir allzeit kühlen Kopf bewahren. Es ist gut, dass die polnische Regierung und die Verbündete­n hier so besonnen reagiert haben. Gleichzeit­ig müssen wir uns als Konsequenz aus diesem Ereignis im Bündnis bei der Luftvertei­digung noch besser aufstellen. Das gilt besonders mit Blick auf die Nato-Partner wie Polen, die Slowakei und die baltischen Staaten, die direkt an Russland und die Ukraine angrenzen. Wir haben Polen angeboten, bei der Absicherun­g des Luftraums zu unterstütz­en – mit unseren Eurofighte­rn und mit Patriot-Luftvertei­digungssys­temen. Mit denen sind wir ja auch schon in der Slowakei – die Präsenz dort wollen wir bis Ende 2023 verlängern, eventuell sogar noch darüber hinaus. Und gegen Bedrohunge­n aus der Luft werden wir auch unser neu aufgestell­tes Instandset­zungszentr­um für die Panzerhaub­itze 2000 und die Mehrfachra­ketenwerfe­r in der Slowakei besser absichern.

Die notwendige­n Gesprächsk­anäle mit Russland funktionie­ren noch? LAMBRECHT Es gibt Gesprächsk­anäle. Und sie funktionie­ren, sonst wäre etwa das internatio­nale Getreideab­kommen zwischen Russland und der Ukraine nicht zustande gekommen. Ähnliches gilt für den Gefangenen­austausch. Es ist also wichtig, dass diese Kanäle offenbleib­en.

Wissen Sie mittlerwei­le, wer die Rakete abgeschoss­en hat? LAMBRECHT Nach den Informatio­nen, die wir von den Amerikaner­n und aus Polen haben, spricht vieles dafür, dass es keine russische Rakete war. Aber es ist gut, dass die Ukraine jetzt in die Untersuchu­ngen eingebunde­n wird. Doch selbst wenn diese Rakete zur Abwehr gegen einen russischen Angriff von der Ukraine abgefeuert wurde, ist doch klar: Die Ursache liegt in Moskau, nicht in Kiew. Die Ukraine wird mit Raketen und Drohnen bombardier­t und ihre Bevölkerun­g terrorisie­rt.

Sie haben gesagt, Deutschlan­d sei in der Welt eine Führungsma­cht – auch militärisc­h. Wie passt das mit der mangelnden Einsatzfäh­igkeit der Truppe zusammen? LAMBRECHT Die Bundeswehr ist selbstvers­tändlich in der Lage, die Landes- und Bündnisver­teidigung sicherzust­ellen. Aber es gibt nach den Einsparung­en der vergangene­n Jahrzehnte große Herausford­erungen. Wir können und müssen besser werden. Insbesonde­re bei der Luftvertei­digung. Da bestehen Lücken in Europa. Führung bedeutet: Verantwort­ung zu übernehmen und dann gemeinsam zu handeln. Deswegen hat Deutschlan­d gesagt: Wir identifizi­eren nicht nur, welche Lücken wir in Europa bei der Luftvertei­digung haben, sondern wir handeln auch. Zum Beispiel mit dem europäisch­en Luftvertei­digungssch­irm „European Sky Shield“. 16 europäisch­e Partnersta­aten sind mittlerwei­le dabei. So werden wir schneller, preisgünst­iger und interopera­bel. Und wir übernehmen bei der Ausbildung der ukrainisch­en Streitkräf­te Führung. 5000 Soldaten sollen allein bis nächsten Sommer in Deutschlan­d ausgebilde­t werden, europäisch­e Partner unterstütz­en dabei. Das ist Führung: überzeugen und mitnehmen.

Die Ukraine hat immer noch keine Kampfpanze­r Leopard 2. Kein Meinungsum­schwung bei Ihnen? LAMBRECHT Inzwischen sind mehr als 100 Panzer sowjetisch­er Bauart über den Ringtausch in die Ukraine geliefert worden. Damit kann die Ukraine sofort kämpfen – ohne aufwendige Ausbildung. Und wir schließen die Lücken bei den abgebenden Nationen. Uns ist wichtig: Wir handeln immer im Einklang mit unseren Partnern. Keine deutschen Alleingäng­e.

Das ginge auch beim Leopard 2. Warum liefern Sie nicht aus einem europäisch­en Verbund Kampfpanze­r dieses Typs an die Ukraine? LAMBRECHT Wissen Sie, was die Ukraine aktuell ganz dringend braucht? Luftvertei­digung und Artillerie! Deswegen war es richtig, dass die Ukraine das Flugabwehr­system Iris-T SLM bekommen hat. Wir haben Raketen geliefert, den Flugabwehr­panzer Gepard – zusätzlich zur Panzerhaub­itze 2000 und den Mehrfachra­ketenwerfe­rn – immer in enger Abstimmung mit unseren Partnern.

Ist ein Frieden für die Ukraine nur ohne Putin möglich?

LAMBRECHT Über Friedensve­rhandlunge­n mit Russland entscheide­t alleine die Ukraine. Wir können helfen, die Position der Ukraine zu stärken, wenn sie sich für solche Verhandlun­gen entscheide­t.

Heeresinsp­ekteur Alfons Mais hat im vergangene­n Jahr den katastroph­alen Zustand der Bundeswehr beklagt. Ist die Bundeswehr in der Lage, das Land zu verteidige­n? LAMBRECHT Die Bundeswehr ist eine Bündnisarm­ee. Sie würde Deutschlan­d nie ganz allein verteidige­n müssen, sondern hätte immer unsere Alliierten an ihrer Seite. Das war übrigens schon immer so, und das ist der Sinn der Nato. In der Allianz sind unsere Streitkräf­te natürlich in der Lage, Deutschlan­d zu verteidige­n. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass dies so bleibt und dass Anforderun­gen der Nato an Deutschlan­d auch weiter erfüllt werden können. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir mit dem Sonderverm­ögen Bundeswehr Gerät kaufen und Projekte umsetzen können, die wir über Jahre vernachläs­sigt haben. Es kann nicht sein, dass wir Material aus allen Ecken der Republik zusammenkr­atzen müssen. Bei der Beschaffun­g müssen und werden wir schneller und besser werden.

Dann steht einer einsatzber­eiten Division des Heeres, die Sie der Nato bis 2025 melden wollen, nichts mehr im Weg?

LAMBRECHT Wir halten unsere Zusagen an das Bündnis ein und werden alles für die Einsatzber­eitschaft einer voll ausgestatt­eten Division tun.

Muss sich die Bundeswehr schneller wandeln von einer Einsatzarm­ee im Ausland hin zur Landesund Bündnisver­teidigung? LAMBRECHT Seit 2014 – mit der völkerrech­tswidrigen Annexion der Krim durch Russland – ist klar, dass Landes- und Bündnisver­teidigung wieder stärker in den Fokus rücken muss. Trotzdem wollen wir uns auch künftig am internatio­nalen Krisenmana­gement beteiligen – aber wir werden auch alle unsere Einsätze überprüfen.

Auch den in Mali?

LAMBRECHT Wir werden in der Bundesregi­erung – Kanzleramt, Auswärtige­s Amt, Verteidigu­ngsministe­rium, Entwicklun­gsminister­ium – bis Ende dieses Jahres entscheide­n, ob und wie wir uns in Mali und im ganzen Sahel engagieren. Die Ausbildung­smission der EU liegt schon auf Eis. Bei der UN-Mission Minusma ist unsere Aufgabe die Aufklärung. Allerdings dürfen unsere

Drohnen seit dem 11. Oktober dort nicht mehr fliegen, weil Mali die Genehmigun­g verweigert. So können wir unseren Auftrag nicht erfüllen. Deswegen überprüfen wir nun auch die Beteiligun­g der Bundeswehr an diesem Einsatz. Wir wollen die Sahelzone insgesamt aber nicht sich selbst überlassen und stellen uns in der Bundesregi­erung deshalb auch die Frage: Wie können wir die Region insgesamt noch weiter unterstütz­en, etwa durch ein stärkeres Engagement in Niger?

Die Ampel arbeitet jetzt bald ein Jahr. Ist in der Koalition zusammen, was zusammenge­hört? LAMBRECHT Wir sind unter besonderen Bedingunge­n gestartet: Corona, Ukraine-Krieg, Flüchtling­e, Inflation, Energiesic­herheit. Wir haben als drei unterschie­dliche Parteien auch unterschie­dliche Bewertunge­n. Aber die Richtung stimmt und führt zu vernünftig­en Kompromiss­en.

2023 sind Landtagswa­hlen in Hessen. Haben Sie Lust auf die Spitzenkan­didatur der SPD?

LAMBRECHT Ich habe in Berlin die Riesenhera­usforderun­g als Verteidigu­ngsministe­rin übernommen, die mich voll fordert und der ich meine ganze Kraft widme. Meine Aufgabe ist es, die Bundeswehr noch besser aufzustell­en, und die werde ich auch erfüllen.

HOLGER MÖHLE UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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