„Wir halten unsere Zusagen“
Die Verteidigungsministerin spricht über den Krieg in der Ukraine, die Gefahr einer Verwicklung der Nato und die Kampfkraft der eigenen Truppe.
Frau Ministerin, nach dem Raketeneinschlag in Polen mit zwei Toten – sehen Sie die Gefahr, dass die Nato „aus Versehen“in den Krieg hineingezogen werden kann? LAMBRECHT Es ist unsere oberste Verantwortung, dass die Nato keine Kriegspartei wird. Dafür müssen wir allzeit kühlen Kopf bewahren. Es ist gut, dass die polnische Regierung und die Verbündeten hier so besonnen reagiert haben. Gleichzeitig müssen wir uns als Konsequenz aus diesem Ereignis im Bündnis bei der Luftverteidigung noch besser aufstellen. Das gilt besonders mit Blick auf die Nato-Partner wie Polen, die Slowakei und die baltischen Staaten, die direkt an Russland und die Ukraine angrenzen. Wir haben Polen angeboten, bei der Absicherung des Luftraums zu unterstützen – mit unseren Eurofightern und mit Patriot-Luftverteidigungssystemen. Mit denen sind wir ja auch schon in der Slowakei – die Präsenz dort wollen wir bis Ende 2023 verlängern, eventuell sogar noch darüber hinaus. Und gegen Bedrohungen aus der Luft werden wir auch unser neu aufgestelltes Instandsetzungszentrum für die Panzerhaubitze 2000 und die Mehrfachraketenwerfer in der Slowakei besser absichern.
Die notwendigen Gesprächskanäle mit Russland funktionieren noch? LAMBRECHT Es gibt Gesprächskanäle. Und sie funktionieren, sonst wäre etwa das internationale Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine nicht zustande gekommen. Ähnliches gilt für den Gefangenenaustausch. Es ist also wichtig, dass diese Kanäle offenbleiben.
Wissen Sie mittlerweile, wer die Rakete abgeschossen hat? LAMBRECHT Nach den Informationen, die wir von den Amerikanern und aus Polen haben, spricht vieles dafür, dass es keine russische Rakete war. Aber es ist gut, dass die Ukraine jetzt in die Untersuchungen eingebunden wird. Doch selbst wenn diese Rakete zur Abwehr gegen einen russischen Angriff von der Ukraine abgefeuert wurde, ist doch klar: Die Ursache liegt in Moskau, nicht in Kiew. Die Ukraine wird mit Raketen und Drohnen bombardiert und ihre Bevölkerung terrorisiert.
Sie haben gesagt, Deutschland sei in der Welt eine Führungsmacht – auch militärisch. Wie passt das mit der mangelnden Einsatzfähigkeit der Truppe zusammen? LAMBRECHT Die Bundeswehr ist selbstverständlich in der Lage, die Landes- und Bündnisverteidigung sicherzustellen. Aber es gibt nach den Einsparungen der vergangenen Jahrzehnte große Herausforderungen. Wir können und müssen besser werden. Insbesondere bei der Luftverteidigung. Da bestehen Lücken in Europa. Führung bedeutet: Verantwortung zu übernehmen und dann gemeinsam zu handeln. Deswegen hat Deutschland gesagt: Wir identifizieren nicht nur, welche Lücken wir in Europa bei der Luftverteidigung haben, sondern wir handeln auch. Zum Beispiel mit dem europäischen Luftverteidigungsschirm „European Sky Shield“. 16 europäische Partnerstaaten sind mittlerweile dabei. So werden wir schneller, preisgünstiger und interoperabel. Und wir übernehmen bei der Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte Führung. 5000 Soldaten sollen allein bis nächsten Sommer in Deutschland ausgebildet werden, europäische Partner unterstützen dabei. Das ist Führung: überzeugen und mitnehmen.
Die Ukraine hat immer noch keine Kampfpanzer Leopard 2. Kein Meinungsumschwung bei Ihnen? LAMBRECHT Inzwischen sind mehr als 100 Panzer sowjetischer Bauart über den Ringtausch in die Ukraine geliefert worden. Damit kann die Ukraine sofort kämpfen – ohne aufwendige Ausbildung. Und wir schließen die Lücken bei den abgebenden Nationen. Uns ist wichtig: Wir handeln immer im Einklang mit unseren Partnern. Keine deutschen Alleingänge.
Das ginge auch beim Leopard 2. Warum liefern Sie nicht aus einem europäischen Verbund Kampfpanzer dieses Typs an die Ukraine? LAMBRECHT Wissen Sie, was die Ukraine aktuell ganz dringend braucht? Luftverteidigung und Artillerie! Deswegen war es richtig, dass die Ukraine das Flugabwehrsystem Iris-T SLM bekommen hat. Wir haben Raketen geliefert, den Flugabwehrpanzer Gepard – zusätzlich zur Panzerhaubitze 2000 und den Mehrfachraketenwerfern – immer in enger Abstimmung mit unseren Partnern.
Ist ein Frieden für die Ukraine nur ohne Putin möglich?
LAMBRECHT Über Friedensverhandlungen mit Russland entscheidet alleine die Ukraine. Wir können helfen, die Position der Ukraine zu stärken, wenn sie sich für solche Verhandlungen entscheidet.
Heeresinspekteur Alfons Mais hat im vergangenen Jahr den katastrophalen Zustand der Bundeswehr beklagt. Ist die Bundeswehr in der Lage, das Land zu verteidigen? LAMBRECHT Die Bundeswehr ist eine Bündnisarmee. Sie würde Deutschland nie ganz allein verteidigen müssen, sondern hätte immer unsere Alliierten an ihrer Seite. Das war übrigens schon immer so, und das ist der Sinn der Nato. In der Allianz sind unsere Streitkräfte natürlich in der Lage, Deutschland zu verteidigen. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass dies so bleibt und dass Anforderungen der Nato an Deutschland auch weiter erfüllt werden können. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir mit dem Sondervermögen Bundeswehr Gerät kaufen und Projekte umsetzen können, die wir über Jahre vernachlässigt haben. Es kann nicht sein, dass wir Material aus allen Ecken der Republik zusammenkratzen müssen. Bei der Beschaffung müssen und werden wir schneller und besser werden.
Dann steht einer einsatzbereiten Division des Heeres, die Sie der Nato bis 2025 melden wollen, nichts mehr im Weg?
LAMBRECHT Wir halten unsere Zusagen an das Bündnis ein und werden alles für die Einsatzbereitschaft einer voll ausgestatteten Division tun.
Muss sich die Bundeswehr schneller wandeln von einer Einsatzarmee im Ausland hin zur Landesund Bündnisverteidigung? LAMBRECHT Seit 2014 – mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland – ist klar, dass Landes- und Bündnisverteidigung wieder stärker in den Fokus rücken muss. Trotzdem wollen wir uns auch künftig am internationalen Krisenmanagement beteiligen – aber wir werden auch alle unsere Einsätze überprüfen.
Auch den in Mali?
LAMBRECHT Wir werden in der Bundesregierung – Kanzleramt, Auswärtiges Amt, Verteidigungsministerium, Entwicklungsministerium – bis Ende dieses Jahres entscheiden, ob und wie wir uns in Mali und im ganzen Sahel engagieren. Die Ausbildungsmission der EU liegt schon auf Eis. Bei der UN-Mission Minusma ist unsere Aufgabe die Aufklärung. Allerdings dürfen unsere
Drohnen seit dem 11. Oktober dort nicht mehr fliegen, weil Mali die Genehmigung verweigert. So können wir unseren Auftrag nicht erfüllen. Deswegen überprüfen wir nun auch die Beteiligung der Bundeswehr an diesem Einsatz. Wir wollen die Sahelzone insgesamt aber nicht sich selbst überlassen und stellen uns in der Bundesregierung deshalb auch die Frage: Wie können wir die Region insgesamt noch weiter unterstützen, etwa durch ein stärkeres Engagement in Niger?
Die Ampel arbeitet jetzt bald ein Jahr. Ist in der Koalition zusammen, was zusammengehört? LAMBRECHT Wir sind unter besonderen Bedingungen gestartet: Corona, Ukraine-Krieg, Flüchtlinge, Inflation, Energiesicherheit. Wir haben als drei unterschiedliche Parteien auch unterschiedliche Bewertungen. Aber die Richtung stimmt und führt zu vernünftigen Kompromissen.
2023 sind Landtagswahlen in Hessen. Haben Sie Lust auf die Spitzenkandidatur der SPD?
LAMBRECHT Ich habe in Berlin die Riesenherausforderung als Verteidigungsministerin übernommen, die mich voll fordert und der ich meine ganze Kraft widme. Meine Aufgabe ist es, die Bundeswehr noch besser aufzustellen, und die werde ich auch erfüllen.
HOLGER MÖHLE UND KERSTIN MÜNSTERMANN FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.