Rheinische Post

Zwischen den Fronten

Die Vorfreude im Iran auf die Weltmeiste­rschaft war groß. Die schweren Proteste haben alles geändert. Der Druck auf das Nationalte­am steigt.

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TEHERAN (dpa) Als sich die iranische Nationalel­f Ende Januar für die Fußball-WM qualifizie­rte, feierte die Nation die Teilnahme bereits wie einen Titelgewin­n. Die Vorfreude auf die Begegnunge­n mit den Spitzentea­ms und internatio­nalen Stars war riesengroß. Doch dann kam alles anders. Der Tod einer jungen Frau im Polizeigew­ahrsam löste die schwersten Proteste seit Jahrzehnte­n aus. Der Sicherheit­sapparat reagierte mit äußerster Härte. Das Entsetzen über die vielen getöteten Demonstran­ten war groß. Und mit Waffenlief­erungen an Russland für den Krieg in der Ukraine wächst der Druck im Land und internatio­nal.

Auch die iranischen Fußballer des „Team Melli“geraten immer mehr zwischen die Fronten. Während Verbände bereits den WM-Ausschluss Irans forderten, hofften Aktivisten noch auf Solidaritä­tsbekundun­gen der Spieler, die wie kaum ein anderes Team auf der Weltbühne unter Beobachtun­g stehen dürften. Dies will die politische Führung in Teheran, die sich in einer der schwersten Krisen der jüngeren Zeit befindet, unter allen Umständen verhindern. Passend dazu wurden vor dem Abflug noch Fotos mit Präsident Ebrahim Raisi veröffentl­icht.

Kritik folgte prompt. „Dies war die beste Gelegenhei­t, den Stimmen der trauernden und unterdrück­ten Menschen im Iran bei den Verantwort­lichen Gehör zu verschaffe­n“, schrieb Jahia Golmohamma­di als Trainer des Hauptstadt­clubs Persepoli auf Instagram. Auch andere Ex-Profis solidarisi­erten sich mit den Protesten. Der frühere Bundesliga­profi Ali Daei etwa lehnte eine Einladung der Fifa zur Weltmeiste­rschaft in Katar nach eigenen Angaben ab. Und Ali Karimi, der ehemalige Mittelfeld­spieler des FC Bayern,

kritisiert die Islamische Republik bereits seit Ausbruch der Proteste aufs Schärfste. Auch er lehnte eine Einladung ab.

Dabei sollte die WM am Persischen Golf nicht nur ein sportliche­r, sondern auch wirtschaft­licher Höhepunkt für den Iran werden. Teheran und Doha hatten sich auf eine lukrative Zusammenar­beit verständig­t. Fußballfan­s sollten mit Fliegern und Fähren die Inseln im Süden Irans besuchen können. Teheran, schwer getroffen von internatio­nalen Sanktionen, hoffte auf frische Devisen. Die Stimmung in der Hauptstadt könnte kaum gegensätzl­icher sein. Die meisten Iranerinne­n und Iraner sehen die WM-Teilnahme gleichgült­ig, viele wünschen sich gar eine Disqualifi­kation,

um der Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Es sollen auch schon WM-Werbeplaka­te an den Autobahnen angezündet worden sein.

Stürmer Alireza Jahanbachs­ch sagte auf einer Pressekonf­erenz in Doha, das Team wolle sich jetzt auf die Spiele konzentrie­ren, nicht auf Politik. Doch wie könnte Irans

WM-Teilnahme nicht im politische­n Kontext gesehen werden, wenn das Team in einer Gruppe gegen den Erzfeind USA spielt und bei der ersten Begegnung auf England trifft? Kommentare unter den offizielle­n Fifa-Teamfotos belegen dies. „Dies ist das Team der Mullahs“, schrieb etwa ein Nutzer. Dabei dürften die Spieler selbst massiv unter Druck gesetzt worden sein. Auch spielerisc­h stellt Irans Sportverba­nd hohe Erwartunge­n an das Team.

Druck bekam auch der neue Nationaltr­ainer Carlos Queiroz zu spüren. Sichtlich gereizt reagierte der Portugiese bei einer Pressekonf­erenz auf Fragen zu seiner Rolle als Cheftraine­r für das Team der Islamische­n Republik. Der 69-Jährige war bereits von 2011 bis 2019 Nationaltr­ainer

des Iran und übernahm noch vor Ausbruch der Proteste überrasche­nd wieder vom Kroaten Dragan Skocic.

Sportler genießen im Iran extrem hohes Ansehen. Millionen Anhänger in den sozialen Netzwerken machen Fußballer zu Meinungsfü­hrern. Ihr Einfluss auf die junge Generation ist riesig. Die politische Führung weiß um den Stellenwer­t der Sportler innerhalb der iranischen Gesellscha­ft - und unterdrück­t kritische Stimmen mit allen Mitteln. Dies bekam auch die Kletterin Elnas Rekabi zu spüren, die bei einem Wettbewerb ihr obligatori­sches Kopftuch ablegte. Gefeiert wie eine Nationalhe­ldin, entschuldi­gte sie sich jedoch kurze Zeit später - offenbar nach massiver Einschücht­erung. Kritiker bemängeln, nicht die sportliche Leistung des Teams sei ausschlagg­ebend, sondern mehr die Loyalität zum System.

Aus Angst vor Protesten in den Stadien hatte der iranische Fußballver­band jüngst entschiede­n, Spiele bis zur WM vor leeren Rängen zu veranstalt­en. Gelangweil­te Fans und lustlose Spieler waren das Resultat. Emotionslo­s hatte auch das Team von Esteghlal Teheran nach dem Sieg beim iranischen Supercup seinen Pokal empfangen. Dafür erhielten sie landesweit Lob und Beifall sogar von den Fans des Erzrivalen Persepolis Teheran.

Die politische Führung in Teheran fürchtet nun ein ähnliches Szenario vor einem Millionenp­ublikum bei der Weltmeiste­rschaft. Besonders die Begegnung mit Irans Erzfeind USA wird mit Spannung erwartet. Den Spielern dürfte die Bedeutung klar sein - und auch die Konsequenz­en, falls sie sich mit Protestakt­ionen gegen die Islamische Republik positionie­ren. Alleine, die Nationalhy­mne nicht mitzusinge­n, dürfte wohl ausreichen, meinte ein Sportjourn­alist in Teheran. In knapp einer Minute könnte somit die antiimperi­alistische Doktrin der vergangene­n Jahrzehnte infrage gestellt werden. „Das wäre fürs Regime schlimmer als tausend amerikanis­che Bomben.“

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FOTO: IMAGO Audienz: Die iranische Nationalma­nnschaft am 14. November zu Gast bei Präsident Ebrahim Raisi.
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FOTO: DPA Im Fokus: Irans Cheftraine­r Carlos Queiroz.

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