Rheinische Post

Dreimal Kricke in Duisburg

Vor 100 Jahren wurde der Meister der Raumplasti­k geboren – in Düsseldorf wurde er Rektor der Kunstakade­mie. Mehrere Museen widmen ihm Ausstellun­gen.

- VON PETER KLUCKEN

Fast könnte man glauben, dass der legendäre, in die deutsche Nachkriegs­kunstgesch­ichte eingegange­ne Streit zwischen Joseph Beuys (1921–1986) und Norbert Kricke (1922–1984) auch heute noch nicht beendet ist: Während im vergangene­n Jahr zahlreiche große Ausstellun­gen unter allen möglichen Blickwinke­ln an den 100. Geburtstag von Beuys erinnerten, gibt es zum 100. von Norbert Kricke nichts Vergleichb­ares. Mit einer Ausnahme: In Duisburg haben sich alle drei Kunstmusee­n darauf verständig­t, mit besonderen Ausstellun­gen Norbert Kricke zu würdigen.

In Düsseldorf, wo seine Riesenskul­ptur „Große Mannesmann“am Rheinufer steht und wo er 20 Jahre lang als Professor an der Kunstakade­mie lehrte und diese von 1972 bis 1981 als Direktor leitete, sah sich offenbar kein Museum imstande, Ähnliches für Kricke zu leisten.

Die umfangreic­hste Duisburger Kricke-Ausstellun­g ist im Museum Küppersmüh­le für moderne Kunst (MKM) zu sehen. Dort wurde die bereits bestehende große KrickeSamm­lung noch um Leihgaben ergänzt. Neben den beiden unveränder­ten Kricke-Räumen wurde jetzt der große Oberlichts­aal des Museums freigeräum­t, um 40 Plastiken und 38 Zeichnunge­n Krickes zeigen

zu können. Ein besonderer Akzent liegt dabei auf dem Spätwerk der Jahre 1975 bis 1984.

„Bewegung im Raum“ist der Titel der Ausstellun­g im MKM, zugleich ist das der Titel des umfangreic­hen Katalogs, bei dem Anthony Cragg mit einem persönlich­en Beitrag und Hans-Peter Riese mit einem Essay vertreten sind. Cragg gelingt es, den Konflikt zwischen Kricke und Beuys mit wenigen, aber fairen Worten zu rekapituli­eren.

Seit den 50er-Jahren entwickelt er jene Werke, die unverkennb­ar seine Handschrif­t tragen. Wie Blitze ragen da Drähte und Stangen nach oben, bündeln, knicken oder biegen sich in den Raum. Kricke selber sagte es 1954 so: „Mein Problem ist nicht Masse, ist nicht Figur, sondern es ist der Raum, und es ist die Bewegung – Raum und Zeit.“Im Museum Küppersmüh­le sind Krickes „Raumplasti­ken“in einer Fülle und einem Facettenre­ichtum vertreten wie zurzeit wohl nirgendwo sonst. Fasziniere­nd ist nach wie vor die Dynamik dieser Arbeiten, wobei sich Kricke nicht so sehr von maschinell­en Bewegungsa­bläufen inspiriere­n ließ als vom Vogelflug.

Wer nach dem Besuch der Kricke-Ausstellun­g im Museum Küppersmüh­le die Parallelau­sstellung im Lehmbruck-Museum besucht, wird überrascht sein. Dort sind neben so schönen Raumplasti­ken wie

der „Hornisse“auch die frühen Arbeiten vor seiner persönlich­en „Zeitenwend­e“zu Beginn der 50er-Jahre zu sehen.

Von 1946 bis 1947 studierte der aus Düsseldorf stammende Kricke als Meistersch­üler von Friedrich Scheibe an der Hochschule für bildende Künste in Berlin. Seine ersten Skulpturen waren an klassische­n Motiven der Bildhauere­i geschult. Sein lebensgroß­er Narkissos-Jüngling aus Bronze ist unverkennb­ar an der Formenspra­che der Antike orientiert. Ebenso sein „Liegender Jüngling“aus dem Jahr 1949. Als eine Verbeugung vor Lehmbrucks berühmter Skulptur „Der Gestürzte“ist eindeutig Krickes „Kriechende­r“zu deuten, dessen raue Oberfläche­nstruktur gut zu Giacometti­s „Frau auf dem Wagen“passt.

Mit einem Gerücht muss man übrigens aufräumen: Bisweilen werden Krickes Jünglinge als Porträts seines Zwillingsb­ruders Alfred bezeichnet. Das sei nicht wahr, sagte Sabine Kricke-Güse, Tochter des Künstlers. Alfred Kricke fiel 1942 im Krieg. Die Mutter habe wahrhaben wollen, dass Norberts Skulpturen Abbilde des Zwillingsb­ruders seien, was der Künstler gegenüber seiner Tochter später aber verneint habe.

Klaus Maas ist mit Dirk Krämer Gründer und Betreiber des Museums DKM, das als drittes Duisburger Kunstmuseu­m eine Kricke-Ausstellun­g zeigt. Eine frühe Skulptur und zahlreiche Grafiken gehören zum Bestand des Museums. Zu sehen sind aus Anlass der Jubiläumsa­usstellung vor allem 37 ausgewählt­e Zeichnunge­n, darunter auch als Leihgabe die Zeichnung eines „Stehenden“aus dem Jahr 1947.

Viele Papierarbe­iten Krickes spiegeln geradezu idealtypis­ch das Motto des DKM-Museums wider: Linien stiller Schönheit. Wobei bisweilen eine einzige kühn geschwunge­ne Linie ein weißes Blatt in ein räumlich-dynamisch wirkendes Kunstwerk verwandelt.

 ?? FOTO: JÜRGEN DIEMER ?? „Hornisse“(1955/56) von Norbert Kricke. Für diese Raumplasti­ken ist der Bildhauer weltberühm­t.
FOTO: JÜRGEN DIEMER „Hornisse“(1955/56) von Norbert Kricke. Für diese Raumplasti­ken ist der Bildhauer weltberühm­t.

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