Fulminanter Kraftakt
Geigerin Anne-Sophie Mutter brillierte mit dem Cellisten Pablo Ferrández und dem London Philharmonic Orchestra in der Tonhalle.
DÜSSELDORF Große Namen sind nicht zwangsläufig ein Garant für ein grandioses Konzerterlebnis. Auch berühmte Interpreten können auf der Bühne enttäuschen, zumal jeder LiveAuftritt Risiken birgt und die Erwartungen des Publikums besonders hochgesteckt sind. Beim jüngsten HeinersdorffKonzert in der Tonhalle ist nun von einem glücklichen Fall von Übererfüllung zu berichten. Die Geigerin AnneSophie Mutter, der Cellist Pablo Ferrández und das London Philharmonic Orchestra musizieren unter der Leitung von Edward Gardner mit umwerfender Intensität.
Das kräftezehrende Doppelkonzert von Johannes Brahms, das von den Solisten sowohl ein Miteinander als auch ein Gegeneinander verlangt, beginnt bei so viel Emphase zu funkeln. Die Geigerin und der Cellist, einst Stipendiat der AnneSophieMutterStiftung, fokussieren alles Können, alle Energie und Leidenschaft, um die Gipfel dieses zerklüfteten Werks zu bezwingen. Sie legen es gewissermaßen unter ein Brennglas: Es erscheint wie vergrößert, vielgestaltig und vielfarbig, seine Ausdruckskraft nicht nur glühend, sondern nachgerade sengend.
Mutter und Ferrández sind Partner und gleichwertige Kontrahenten zugleich, mit zupackender Bogentechnik, expressivem Vibrato und einem Klangvolumen zum Verrücktwerden. Bei aller Dramatik leuchtet zuweilen auch Filigranes, ja Ätherisches auf, in beseelter Süße, meilenweit entfernt vom Sentiment. Für die Kantilenen des Andante holen beide Solisten alles Feuer aus ihren kostbaren Instrumenten.
Zu einem beinahe unwirklichen Moment kommt es im abschließenden Vivace: Mutter und Ferrández lassen die Musik aus dem Nichts explodieren, schleudern sie mit voller Kraft in das erste Orchestertutti hinein. Das ist so fulminant, dass man plötzlich auf der Stuhlkante sitzt. Der Beifall fällt entsprechend aus.
Auch das London Philharmonic Orchestra wird seinem Weltruhm an diesem Abend wunderbar gerecht. Bereits in Felix Mendelssohns Konzertouvertüre „Das Märchen von der schönen Melusine“fasziniert das Klangbild durch große Geschlossenheit und Eleganz. Chefdirigent Edward Gardner weiß genau, wie er mit dem luxuriösen Potenzial umgehen muss. Er ist ein fabelhafter Motivator und Impulsgeber, dirigiert mit schnörkelloser Ästhetik, verlangt aber neben Leidenschaft auch Transparenz und detailreiche Binnengestaltung. Das Ergebnis spricht für sich: mitreißende FingalshöhlenStürme, balsamische HolzbläserSoli und Wellenbewegungen, die deutlich vorausweisen auf Richard Wagners „Rheingold“.
Dieser Eindruck vertieft sich in der 7. Sinfonie von Antonín Dvorák, die 1884/85 im Auftrag der Londoner Konzertvereinigung Philharmonic Society entstand. Dem Mentor Johannes Brahms nacheifernd, kennt auch dieses Werk schroffe Höhenzüge, die zu erklimmen Kraft kostet. Dem London Philharmonic Orchestra merkt man das nicht im Mindesten an. Es kennt keine Konditionsprobleme.
Die Blechbläser agieren so kompakt wie unaufdringlich. Heroische Höhepunkte reihen sich wie selbstverständlich aneinander, zuweilen scheint Bedrich Smetanas sinfonische Dichtung „Mein Vaterland“hinüberzugrüßen. Indessen trumpft dieses fabelhaft wandlungsfähige Orchester niemals auf. Es besticht vor allem dann, wenn es seinen Klang in die leiseren Regionen zurückfährt, wenn es vom Fortissimo bruchlos in gedämpfte,
ja verschattete Gefilde gleitet. Zum Glanzstück gerät das Scherzo, das tänzerisch zwischen böhmischem Temperament und Bruckner’scher Rigorosität taumelt. Das schwingt und schwärmt, stampft und marschiert. Im Finale gesellen sich Momente märchenhaften Zaubers hinzu.
Für die Beifallsstürme bedanken sich die Gäste mit einem Zückerchen des Engländers William Walton: „Touch her soft lips and part“, ein feines Stück für Streicher, ursprünglich komponiert für den Film „Henry V“mit Laurence Olivier. Ein maximal charmantes Goodbye.