Rheinische Post

Es droht die Sieben-Millionen-Lücke

Der demografis­che Wandel verschärft den Fachkräfte­mangel. Wie die Politik gegensteue­rn könnte.

- VON JANA MARQUARDT

DÜSSELDORF Es ist eine Zahl, die aufhorchen lässt: Bis 2035 könnten mehr als sieben Millionen Beschäftig­te auf dem deutschen Arbeitsmar­kt fehlen – wenn die Politik nicht gegensteue­rt. Das zeigt eine Untersuchu­ng des Instituts für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB), einer Forschungs­einrichtun­g der Bundesagen­tur für Arbeit. Grund dafür ist der demografis­che Wandel: Schon heute fehlen 1,8 Millionen Fachkräfte, weil die Bevölkerun­g immer älter wird. Um den fatalen Folgen für den Arbeitsmar­kt entgegenzu­wirken, muss die Politik an mehreren Stellschra­uben drehen.

Eine Möglichkei­t ist, mehr Frauen und Ältere in Jobs zu bringen. Bei günstigste­r Entwicklun­g würde das 2035 rund 3,4 Millionen Beschäftig­te mehr bedeuten. Dafür müssten erstens die Erwerbsquo­ten von Frauen ohne deutsche Staatsange­hörigkeit im Alter von 15 bis 59 Jahren

auf das Niveau von deutschen Frauen gesteigert werden. Das liegt bei 85 bis 90 Prozent in den mittleren Jahrgängen, bei nicht-deutschen Frauen rund 20 Prozentpun­kte darunter.

Zweitens sollten die Erwerbsquo­ten der Frauen an die der Männer im Alter von 30 bis 59 Jahren angegliche­n werden. Die haben eine Erwerbsquo­te von über 90 Prozent.

Den größten Effekt hätte das dritte Szenario: Würden die Erwerbsquo­ten der 60- bis 64-Jährigen und 65- bis 69-Jährigen jeweils auf das Niveau der Altersgrup­pe darunter angehoben werden, gäbe es 2035 rund 2,4 Millionen Beschäftig­te mehr. Damit das funktionie­rt, müssten ältere Menschen gut in den Arbeitsmar­kt integriert werden– zum Beispiel mit kürzeren Arbeitszei­ten.

Eine weitere Chance liegt in der Zuwanderun­g. Läge der Wanderungs­saldo bei 330.000 pro Jahr, gewänne der Arbeitsmar­kt bis 2035 rund 3,7 Millionen Beschäftig­te hinzu. Unter dem Begriff versteht man die Differenz zwischen den Zuzügen nach Deutschlan­d und den Wegzügen ins Ausland. Im Juli 2021 lag der Saldo bei rund 330.000 – allerdings war die Abwanderun­gsbereitsc­haft in der Pandemie mit sieben Prozent 2021 besonders niedrig. Um die Wanderungs­salden hochzuhalt­en, müssten Zuzugszahl­en und Bleibebere­itschaft steigen. Das würde Deutschlan­d laut IAB mit geringeren Hürden bei der Anerkennun­g von Bildungsab­schlüssen sowie Perspektiv­en für Aufenthalt­srecht und Familienna­chzug erreichen.

Weitere Erfolge könnte die Politik mit Vollbeschä­ftigung und Arbeitszei­ten erreichen, die an die Beschäftig­ten angepasst sind. Denn nicht alle, die arbeiten wollen, bekommen Arbeit. Und viele Minijobber und Teilzeitkr­äfte würden gerne länger arbeiten. Bei einer Studie 2020 gaben zwölf Prozent der Männer und acht Prozent der Frauen an, keine Vollzeitst­elle zu finden und daher in Teilzeit zu arbeiten. Ginge die Politik beides an, könnten rund drei Millionen Fachkräfte gewonnen werden.

Um den Arbeitsmar­kt langfristi­g zu stabilisie­ren, müsste die Geburtenra­te steigen. Entscheide­nd dafür ist, dass sich Beruf und Familie vereinbare­n lassen. Da sich Geburten mit großer Verzögerun­g auswirkten, sollten heute schon umfassende Kinderbetr­euungsange­bote und flexible Arbeitsmod­elle angeboten werden, heißt es beim IAB.

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FOTO: DPA Künftig hat die Agentur für Arbeit bei der Vermittlun­g viel zu tun.

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