Einmal um den Block
Wenn viele Spieler aus demselben Verein auf dem Platz standen, feierte das DFB-Team große Erfolge. Auch in Katar gibt es eine große Bayern-Fraktion.
DOHA Der große Sepp Herberger gilt bis heute als Schöpfer unwiderlegbarer Fußball-Weisheiten wie dieser: „Der Ball ist rund.“Die Legende will auch, dass er in Zusammenarbeit mit dem hochbegabten Sportschuster Adi Dassler maßgeblich an der Entwicklung des Stollenschuhs beteiligt war, der seinen Helden von Bern auf rutschigem Grund des Wankdorfstadions im Weltmeisterschafts-Finale 1954 Halt gab. Fünf Spieler des 1. FC Kaiserslautern berief der Bundestrainer in seine Endspiel-Elf – Werner Liebrich, Werner Kohlmeyer, Horst Eckel, Fritz Walter, Ottmar Walter. Sie bewerkstelligten mit sechs Kollegen aus anderen Klubs beim 3:2-Erfolg über Ungarn das Wunder von Bern. Und Herberger hatte damit die Blockbildung erfunden. Es wäre keine Überraschung, wenn ihm auch noch die Entdeckung des Pressings, des Gegenpressings
und das Spiel in einer Raumdeckung zugeschrieben würden.
Gut 68 Jahre nach dem Wunder von Bern erweist sich Hansi Flick bei der Advents-WM in Katar als getreuer Jünger des Fußballweisen von der Bergstraße. Sieben Spieler des FC Bayern München sind im Aufgebot des Deutschen Fußball-Bundes. Und es darf angenommen werden, das sechs von ihnen in der Startformation im ersten Spiel gegen Japan (Mittwoch, 14 Uhr MEZ) stehen werden. Manuel Neuer, Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Jamal Musiala, Serge Gnabry und Leroy Sané haben die besten Chancen. Wenn sich der ewige Thomas Müller von den Nachwirkungen verschiedener Wehwehchen erholt haben sollte, ist er der siebte Stammelf-Kandidat.
Flick trägt damit der Tatsache Rechnung, dass die Spieler des Dauermeisters aus München zuletzt in vielversprechender Form waren. Und er berücksichtigt natürlich den Umstand, dass ihm anders als bei den Sommerturnieren kaum Zeit zu gemeinsamen Probestunden bleibt. Der Bayern-Block, das ist sicher, geht eingespielt ins Turnier. Die vielen kleinen Feinheiten mit den mitunter großen Folgen müssen zwischen den Münchner Spielern nicht mehr einstudiert werden. Das ist ein wesentliches Argument für den obersten Fußballlehrer der Nation.
Er steht nicht nur in Herbergers Tradition. Tatsächlich hatten die größten Erfolge deutscher Mannschaften bei Weltmeisterschaften immer etwas mit eingespielten Blöcken zu tun. 1974 schickte Helmut Schön sechs Bayern und fünf Fußballer von Borussia Mönchengladbach ins erste Turnier auf deutschem Boden. Beim 2:1-Sieg gegen Holland im Finale standen sechs Münchner (Sepp Maier, Georg Schwarzenbeck, Franz Beckenbauer, Paul Breitner, Uli Hoeneß, Gerd Müller) und zwei Mönchengladbacher (Berti Vogts, Rainer Bonhof ) auf dem Rasen des Olympiastadions. Eine Co-Produktion zwischen dem Gladbacher Bonhof und dem Bayern Müller entschied das Endspiel.
1990 beim Titelgewinn in Italien waren zwar sechs Bayern im Aufgebot, die entscheidenden Akteure aber kamen von Inter Mailand. Das deutsche Exil-Trio Lothar Matthäus, Andreas Brehme und Jürgen Klinsmann war die Achse im Team von Franz Beckenbauer, das sich im Finale mit 1:0 gegen Argentinien durchsetzte.
Und 2014 beim Triumph von Rio (ebenfalls mit einem 1:0 gegen Argentinien) standen sechs Bayern in der Startelf (Manuel Neuer, Philipp Lahm, Jerome Boateng, Bastian Schweinsteiger, Toni Kroos, Thomas Müller), der siebte (Mario Götze) erzielte als Einwechselspieler das goldene Tor im MaracanaStadion. Die Münchner waren mit der Empfehlung und dem Selbstbewusstsein ihres Champions LeagueSiegs vom Vorjahr und der erneuten Meisterschaft ins Turnier gegangen. Das half Bundestrainer Joachim Löw ebenso wie die Tatsache, dass er den
Münchnern die Abläufe des Zusammenspiels nicht mehr erläutern musste. Uli Hoeneß, der Erfinder der modernen Münchner FußballErfolgs-Maschine, prägte den Satz: „Ein guter FC Bayern ist gut für die Nationalmannschaft.“
Nicht immer aber führt die Blockbildung ganz automatisch zu sportlicher Unsterblichkeit. Zum Beweis muss man gar nicht lange zurückblättern im Geschichtsbuch des deutschen Fußballs. Vor vier Jahren waren acht Bayern (natürlich wieder als deutsche Meister) fürs Aufgebot der WM in Russland nominiert. Die DFB-Auswahl überstand nicht einmal die Gruppenphase. Und 2000 stöhnte Torwart Oliver Kahn als einer von fünf Münchnern im Kader von Erich Ribbeck nach dem Ausscheiden in der Vorrunde: „Wir haben das Kapitel Nationalmannschaft endgültig auf den Grund gefahren.“Aber das war ja auch nur eine Europameisterschaft.