„Die Armen dürfen nicht die Reichen finanzieren“
Die Bürgerbewegung Finanzwende hat jetzt den früheren SPD-Chef WalterBorjans als Mitstreiter. Die Initiative kritisiert die Macht der Banken, aber auch die Krisenpolitik der Ampel.
Der frühere SPD-Chef Norbert Walter-Borjans wird Fellow der Bürgerbewegung Finanzwende, die Sie als ehemaliger Grünen-Politiker leiten. Schließt er als Sozialdemokrat die Gerechtigkeitslücke?
SCHICK Finanzwende ist ein überparteiliches Gegengewicht zur mächtigen Finanzlobby. Die Mitglieder wie der ehemalige CDU-Abgeordnete Heribert Hirte kommen aus allen demokratischen Parteien, sie dürfen aber nicht mehr aktiv sein. Wir setzen uns gemeinsam für eine gerechte Finanzordnung ein. Wir freuen uns sehr, mit Norbert Walter-Borjans nicht nur einen hervorragenden Experten, sondern auch einen Mutmacher an Bord zu haben. Sein Kampf als NRW-Finanzminister gegen die Steuerhinterziehung war einmalig. WALTER-BORJANS Ich freue mich sehr auf die Arbeit bei Finanzwende. Denn in Sachen Steuergerechtigkeit, so ist meine Erfahrung, bewegt sich die Politik nur, wenn Druck von außen erzeugt wird. Mein Schwerpunkt wird auf der Bekämpfung von Steuerbetrug liegen. Finanzen sind zentral in der Politik, trotzdem fallen die Themen Steuern und Haushalt im politischen Tagesgeschäft zu oft unter den Tisch.
Was hat jetzt Priorität in der Krise?
SCHICK Wir müssen denen helfen, die drohen, unter die Räder zu geraten. Das sind Haushalte mit niedrigem Einkommen, die von steigenden Lebensmittel- und Energiepreisen besonders betroffen sind. Mit Finanzwende können sich die vielen Menschen Gehör verschaffen, die auf eine Lücke hinweisen wollen: Welchen Beitrag leisten die sehr Reichen unserer Gesellschaft, vor allem wenn der Staat, also die Gemeinschaft aller, deren Vermögen in der Finanzkrise, in der Corona-Pandemie oder jetzt als Folge des Ukraine-Kriegs rettet. Allein in der Finanzkrise flossen 70 Milliarden Euro an Rettungsgelder an Banken. WALTER-BORJANS Wir brauchen dringend eine faire Teilung der Lasten. Dazu zählt, dass nicht – wie bei der Erbschaftsteuer – die Reichsten die größten Vergünstigungen erhalten, sondern gerade in Krisenzeiten mehr Verantwortung übernehmen. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es das Notopfer, nach dem Zweiten Weltkrieg den Lastenausgleich. In jeder Krise gibt es neben vielen Verlierern immer auch große Gewinner. Das muss bei Hilfspaketen besser berücksichtigt werden. Wenn es auf Geschwindigkeit ankommt und deshalb auch die Falschen profitieren, müssen die Ergebnisse wenigstens im Nachhinein korrigiert werden.
Wer soll denn zahlen? Die mittleren Einkommensbezieher, die die Masse ausmachen, sind doch schon belastet genug. WALTER-BORJANS Genau um die geht es nicht. Das sind nicht die Reichen. Wir denken an ein bis drei Prozent der Top-Verdiener und vor allem an die globalen Unternehmen, die sich durch viele Tricks ihrer Steuerpflicht entledigen.
Das versucht die Ampel mit der Besteuerung der Zufallsgewinne. Doch sie tut sich schwer, Zufallsgewinne zu definieren. Hat die Finanzwende eine bessere Lösung?
SCHICK Bis heute hat die Bundesregierung keine systematische Besteuerung von Übergewinnen hinbekommen. Ohne Druck von außen wäre gar nichts gelaufen. Befriedigend ist die aktuelle Lösung nicht.
Als Ökonomen wissen Sie, dass man den Gewinnen in den Bilanzen nicht ansieht, ob sie zu Recht oder zu Unrecht erzielt wurden.
SCHICK Richtig. Aber wenn Banken nach einem plötzlichen Zinsumschwung bei der Notenbank Kredite zu Negativzinsen aufnehmen, die sie bei der Notenbank direkt wieder zu Positivzinsen anlegen können, dann sind das ungerechtfertigte Gewinne. Und das empört die Menschen. Genauso ist es nicht vermittelbar, dass die größte Subvention des Staates verfassungswidrige Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer sind:
5,1 Milliarden Euro für ein paar Milliardäre. Da muss sich die Politik schon die Mühe machen, genauer hinzusehen. Die Komplexität wird gerne vorgeschoben, wenn der politische Wille fehlt, etwas zu ändern.
Der politische Wille fehlt auch, die bedürftigen Haushalte gezielt zu entlasten. Ist die Energiepreisbremse sozial gerecht? WALTER-BORJANS Ich kenne die Nöte, die entstehen, wenn schnelle Hilfe gefragt ist. Es ist niemandem gedient, wenn wir im Oktober des nächsten Jahres ein gerechtes System haben, aber inzwischen Firmen pleite gehen und Hunderttausende Menschen frieren. Man muss eben abwägen. Aber richtig ist auch: Die Regierung muss das Programm nachschärfen, damit nicht die Armen am Ende die Reichen finanzieren. Das haben auch die fünf Wirtschaftsweisen in ihrem jüngsten Gutachten übereinstimmend der Ampelkoalition ins Stammbuch geschrieben.
Die Menschen sorgen sich vor allem um die Inflation. Reichen die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank?
SCHICK Die Inflation belastet vor allem die ärmeren Haushalte. Es steigen die Lebensmittelpreise und die Energiepreise, die einen Großteil der Käufe dieser Personengruppe ausmachen. Hier ist eine Entlastung gefragt, die zielgenau erfolgen muss. Große Sorgen machen uns die Baufinanzierungen. Hier müssen die Kunden bei einer Anschlussfinanzierung oft sehr hohe Zinsen zahlen, die sie überfordern. Und vollends kritisch wird es bei den Dispozinsen. Die erhöhen manche Banken in einem Tempo, das ich mir auch bei der Abwärtsbewegung gewünscht hätte.
Wie groß ist die Gefahr der Staatsverschuldung? Der Bundesrechnungshof warnt davor, dass die Politik jeglichen Gestaltungsspielraum künftig verlieren könnte.
WALTER-BORJANS Großereignisse wie die deutsche Einheit oder die Finanzkrise haben immer zu einer Zunahme der Staatsverschuldung geführt. Danach wurde sie aber wieder zurückgeführt. Ich halte die jetzigen Größenordnungen für vertretbar, aber es kommt auf den Verwendungszweck an. Kredite für Investitionen in die Zukunft sind richtig. Aber es ist nicht einzusehen, dass unsere Enkel dafür aufkommen sollen, dass wir im Winter nicht frieren. Dafür muss im Hier und Jetzt gesorgt werden – mit Steuern von denen, die sich ums Heizen nicht sorgen müssen.
Wenn man die private und öffentliche Verschuldung zusammenaddiert, könnte dann erneut eine Finanzkrise drohen?
SCHICK Das Finanzsystem ist seit 2008 nicht sicherer geworden, obwohl jede Menge neue Gesetze dazugekommen sind. Denn die Finanzlobby hat die entscheidenden Veränderungen ausgebremst. Deshalb ist die Gefahr einer neuen Finanzkrise durchaus vorhanden. Wann und wo sie ausbricht, kann aber niemand seriös vorhersagen.