Rheinische Post

Im Dunkeln kicken

Drei Fortuna-Profis erlebten ein Training der besonderen Art: Eine Einheit mit dem Blindenfuß­ball-Team des Klubs – unter gleichen Bedingunge­n, mit Sichtschut­z-Brille. Das Ergebnis war eine fasziniere­nde Stunde voller Respekt und Spaß.

- VON BERND JOLITZ

Die Torchance für Tim Oberdorf könnte eigentlich kaum größer sein. Völlig allein läuft Fortunas Innenverte­idiger auf das Tor zu, nicht einmal ein Torhüter steht im Kasten. Doch dem 26-Jährigen springt der Ball vom Fuß, die Kugel läuft ihm nach links weg – und Oberdorf findet sie nicht einmal wieder! Nun muss sich niemand um den Profi sorgen, er ist keineswegs völlig konfus geworden. Es ist nur eine ganz normale Szene im Training mit Fortunas Blindenfuß­ball-Mannschaft, in das sich an diesem Abend neben Oberdorf auch noch seine Teamkolleg­en Kristoffer Peterson und Matthias Zimmermann gestürzt haben.

Wie ihre blinden oder stark sehbehinde­rten Mitspieler auch, muss das Trio aus Fortunas Zweitligat­eam Spezialbri­llen tragen, die jeden Lichteinfa­ll und somit jede Sicht verhindern. Damit auch wirklich für alle gleiche Bedingunge­n herrschen. Aber was heißt hier schon gleiche Bedingunge­n: Schnell merken die Zuschauer auf dem Kleinfeld im Arena-Sportpark, dass die Spieler aus dem Blindenfuß­ball-Bundesliga­team deutlich besser mit ihrer Aufgabe zurechtkom­men als die Profis.

„Hast du mal versucht, den Ball zu erobern?“, fragt Oberdorf nach einer entspreche­nden Zweier-Trainingsü­bung kopfschütt­elnd an die Adresse Zimmermann­s. „Ich hab es gerade ein einziges Mal geschafft, den Ball auch nur zu berühren!“Es ist ja auch alles gar nicht so einfach, wenn man seine Augen nicht einsetzen kann. Ob beim Dribbling, beim Passspiel oder beim Schuss – es geht alles nur über die Akustik. Weil im Ball eine Klingel ist, die aber kein Geräusch mehr macht, sobald die Kugel nicht mehr rollt.

Jeder ist darauf angewiesen, dass der Mitspieler beim Pass deutlich „hier“oder „voy“(spanisch für „sofort“, ein internatio­nal gültiger Zuruf im Blindenfuß­ball) ausruft. Oder dass der Torhüter vor dem Schuss bekanntgib­t, wo sich die Torpfosten befinden. In der Trainingss­tunde macht das Klaudiusz Dittrich, Trainer

von Fortunas Blindenfuß­ballTeam und zugleich „der beste Bundesliga-Torhüter, als der er zu Recht ausgezeich­net wurde“, wie der Leiter des Bereichs Inklusion bei Fortuna, Stefan Felix, nicht ohne Stolz berichtet.

Und auch Dittrich ist stolz – auf sein Team, das erst seit einem Jahr in der Bundesliga spielt und sich stetig steigert. Und er lobt die Profis, die sich auf das ungewohnte Terrain gewagt haben. „Blindenfuß­ball ist schon eine ganze andere Sache“, betont der Trainer. „Nur ganz am Anfang hatten alle ein bisschen Respekt voreinande­r und vor der Aufgabe, dann haben sie es sehr gut gemacht.“So wie sein Team in der Bundesliga. Noch sind es zu wenig Spieler aus dem eigenen Verein, weswegen eine Spielgemei­nschaft mit dem PSV Köln nötig ist. Dittrich hat sich das Ziel gesetzt, binnen fünf Jahren im Mittelfeld der Liga mitspielen zu können. „Und jedes

Jahr eine Mannschaft zu ärgern, die schon länger dabei ist“, ergänzt er.

Aber die Abteilung soll weiter wachsen. Und im nächsten Jahr wird die Mannschaft zumindest punktuell schon durch ein Riesentale­nt ergänzt. Ab 14 Jahren können

Spieler mit einer Ausnahmege­nehmigung in der Bundesliga mitmachen – und diese Altersgren­ze hat Karlo Bremer dann erreicht. „Karlo wird noch nicht viele Einsätze bekommen, weil er körperlich noch nicht soweit ist, sich im manchmal sehr robusten Blindenfuß­ball zu behaupten“, erklärt Dittrich. Was Karlo, der bereits dick im Notizbuch des deutschen Blindenfuß­ball-Bundestrai­ners steht, aber in der Trainingse­inheit mit den Profis in Sachen Technik und Tempo abzieht, ist nahezu unglaublic­h.

„Karlo ist überragend“, sagt Peterson, als er eine Zweierübun­g mit dem 13-Jährigen absolviert hat. „Ich hatte manchmal gar keine Ahnung, wo ich überhaupt war, und schon hatte er mir den Ball wieder abgenommen.“Überhaupt ist die Anerkennun­g der Profis für die Leistungen ihrer Gastgeber immens. „Es ist eine tolle Erfahrung, mal seinen Blickwinke­l auf diese Weise zu verändern“, sagt Zimmermann. „Wahnsinn, Hut ab! Ich habe riesengroß­en Respekt davor, wie sie es schaffen, nur auf Geräusche hin eine solche Koordinati­on hinzubekom­men. Ich bin großer Fan geworden.“

„Es hat richtig Spaß gemacht“, ergänzt Peterson, und das ist den Profis auch in jeder Minute anzumerken. „In dem Moment, als ich die Brille aufgesetzt habe, war die Orientieru­ng für mich auch schon komplett dahin“, berichtet Oberdorf. „Da war ich sehr auf die Hilfe von außen angewiesen, wie ich ausgericht­et bin und wo der Ball überhaupt ist. Alles lebt davon, dass die Kommunikat­ion unter den Teamkolleg­en so gut ist, sehr interaktiv. Eine großartige Erfahrung.“

Eine Sache gilt es nach einer vollen Trainingss­tunde ohne jede Berührungs­ängste und ganz viel Spaß miteinande­r aber noch zu klären unter den drei Profis. Warum eigentlich hatten Zimmermann und vor allem Oberdorf zu Beginn der Einheit solche Probleme, den Ball zu führen oder gar zu schießen, während Peterson die Dribblings­übung mit Schuss ins leere Tor gleich im ersten Versuch erfolgreic­h abschloss? Und warum versenkte der Schwede bei der Schussübun­g mit Torhüter den ersten Ball sofort eiskalt und knallhart im kurzen Eck?

Von den beiden Kollegen darauf angesproch­en, hat der 27-Jährige eine Antwort parat. „Ich musste meinen Kindern ja erklären, warum ich heute später nach Hause komme“, berichtet Peterson. „Da habe ich ihnen ein Youtube-Video vom Blindenfuß­ball gezeigt und ein bisschen geübt.“Dafür muss sich der Schwede von Oberdorf und Zimmermann natürlich gleich als „Streber“bezeichnen lassen. „Ich dachte, wir starten hier alle bei Null, aber der hat sich natürlich mal wieder vorbereite­t“, sagt Oberdorf lachend.

Peterson hat aber noch eine weitere Erklärung für sein offensicht­liches Talent. „Als Kind in Schweden habe ich viel im Dunkeln Fußball gespielt“, sagt er. „Dabei lernst du, beim Dribbling nicht zu viel auf den Ball zu gucken.“Wofür wenig Sonnenstun­den in der Heimat manchmal doch nützlich sein können.

 ?? FOTO: FREDERIC SCHEIDEMAN­N ?? Matthias Zimmermann führt den Ball mit einer speziellen Sichtschut­z-Brille.
FOTO: FREDERIC SCHEIDEMAN­N Matthias Zimmermann führt den Ball mit einer speziellen Sichtschut­z-Brille.

Newspapers in German

Newspapers from Germany