Jüdische Gemeinden fordern mehr Schutz
Die Schüsse auf die Alte Synagoge in Essen haben jüdische Gemeinschaften in NRW in Angst versetzt. Verfahren für Vorkehrungen wie kugelsichere Fenster oder verstärkte Türen seien zu langwierig, kritisieren die Gemeinden.
Nach den Schüssen auf eine jüdische Kultureinrichtung, die Alte Synagoge in Essen, appellieren jüdische Gemeinschaften an die Landesregierung, ihren Schutz besser und unkomplizierter umzusetzen. „Offenbar gibt es ein Steigerungspotenzial in der Bedrohungslage“, sagte der NRW-Landesvorsitzende der jüdischen Gemeinden, Oded Horowitz, unserer Redaktion. Es gehe um Schulen, Kindergärten und andere Einrichtungen, die umgeben von Wohnhäusern in Gegenden lägen, „in denen man mit Leichtigkeit als Schütze Menschen ins Visier nehmen könnte“.
Bauliche Sicherheitsvorkehrungen, für die das Land Geld bereitstellt, müssten in komplizierten und langwierigen Prozessen geplant und umgesetzt werden. Solche Einbauten sind beispielsweise Sicherheitstüren, Panzerglas und Gegensprechanlagen. „Möglicherweise ist das Risiko in erheblichem Maße größer, als wir das gedacht haben. Ist den
Verantwortlichen bewusst, dass unter Umständen Menschenleben in Gefahr sind?“, so Horowitz. Das Lebensgefühl von Jüdinnen und Juden in NRW beschrieb er als stark beeinträchtigt. „Ich kann mir vorstellen, dass momentan sämtliche Gemeinden ihre Einrichtungen kontrollieren, ob da nicht irgendwo Spuren von Schüssen zu sehen sind.“
In der Nacht zu Freitag wurde in der Essener Innenstadt auf das frühere Rabbinerhaus an der Alten Synagoge geschossen. Videoaufnahmen zeigen, wie eine Person mehrfach auf die Tür feuert. Am Samstag wurden zudem mutmaßliche Einschusslöcher am Dach der neuen Essener Synagoge entdeckt, die augenscheinlich schon älter sind.
Bei einer eigens anberaumten „Aktuellen Stunde“im Landtag verurteilten Politikerinnen und Politiker aller Fraktionen die Tat von Essen scharf. „Wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir schützen jüdisches Leben in unserem Land“, sagte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Die Schüsse seien nicht allein Angriffe auf ein Gebäude, sondern auf jüdische Menschen und auf die Demokratie, befand der SPDFraktionsvorsitzende Thomas Kutschaty. Sie stünden für den Antisemitismus in der Gesellschaft.
„Im letzten Jahr hat die Polizei 437 Straftaten und damit einen Höchststand antisemitischer Delikte in Nordrhein-Westfalen verzeichnet“, erinnerte Grünen-Fraktionschefin
Verena Schäffer. Es sei ein großes Problem, dass sich derzeit Verschwörungsmythen mit antisemitischen Motiven verbreiteten.
Es liege „erschreckend viel Arbeit vor uns“, befand auch FDP-Fraktionschef Henning Höne. Jeder sei gefordert, Stopp zu sagen – auch bei antisemitischen Äußerungen im privaten Bereich, mahnte CDUFraktionsvorsitzender Thorsten Schick. „Wer gegen Juden hetzt, der hetzt gegen uns“, so Markus Wagner (AfD).
Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen sagte, er begrüße das Signal aus der Landespolitik. Nun müsse der Schutz jüdischer Einrichtungen ganz oben auf der Agenda stehen. „Der Objektschutz sollte auch auf Videobeobachtung oder Überwachungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum ausgeweitet werden“, schlug er vor. Außerdem solle die Landesregierung weiterhin Bildungsprogramme zu allen Formen des Antisemitismus unterstützen: „Der interkulturelle und interreligiöse Austausch muss mithilfe niedrigschwelliger Angebote gefördert werden, gerade unter jungen Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte.“
Zuletzt hat das Land im Frühjahr die Mittel für Wachdienste an jüdischen Einrichtungen von drei auf fünf Millionen Euro im Jahr erhöht. Die Planung von baulichen Schutzvorkehrungen nimmt nach Angaben des Landesinnenministeriums einen Weg durch mehrere Instanzen. Die Kreispolizeibehörde vor Ort erstellt eine Empfehlung. Diese geht dann an das Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste in Duisburg. Dieses leitet den Vorschlag wiederum ans Innenministerium weiter, das ihn nach Prüfung und Bearbeitung ans Bauministerium weiterreicht, das schlussendlich die Gelder bewilligt.
Nach den Schüssen in Essen lebten Jüdinnen und Juden in der Angst, irgendwann nur noch hinter hohen Mauern sicher zu sein, sagte Oded Horowitz von den jüdischen Gemeinden in NRW: „Womit müssen wir noch rechnen?“