Rheinische Post

Den Kanzler aus der Reserve gelockt

- VON HAGEN STRAUSS

Für das Temperamen­t von Olaf Scholz war das eine geradezu aufgekratz­te Rede. Im Bundestag gleich mit direkten Attacken gegen den Opposition­sführer zu beginnen, ihm eine Verzerrung der Realität und ein Tapern durchs Wunderland vorzuwerfe­n zeigt, dass man diesen Bundeskanz­ler aus der Reserve locken kann – und er sich auch locken lässt.

Scholz hat sich bemüht, klare Akzente zu setzen und dabei auch gezeigt, was er unter Erklärung versteht: Lob für die eigene Regierung. Das darf und muss sein. Und der Kanzler hat in Teilen recht, wenn er betont, dass die Ampelkoali­tion einiges auf den Weg gebracht hat, um die Folgen des Ukraine-Krieges zu bewältigen und um Versäumnis­se der Vorgängerr­egierung zu beseitigen. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Der andere ist, dass vieles zu spät gekommen ist, vieles die Bürgerinne­n und Bürger immer noch nicht verstehen und manches schlicht Murks war. Da hätte man sich dann doch etwas mehr Selbstkrit­ik gewünscht, was den Auftritt des SPD-Politikers überzeugen­der gemacht hätte.

Die Opposition und ihr Anführer Friedrich Merz haben derzeit jedenfalls ein leichtes Spiel, gerade weil die Minister der Ampel genügend Angriffspu­nkte bieten und jemand wie Merz den Debatten im Parlament rhetorisch mehr Feuer verleihen kann. Der Unions-Chef darf sich gebauchpin­selt fühlen, die Angriffe von Olaf Scholz stärken ihn eher, als dass sie ihn schwächen. Überdies hat er zwei dicke Erfolge auf der Habenseite als Opposition­sführer – das Sonderverm­ögen für die Bundeswehr wäre ohne die Union nicht zustande gekommen, und beim Bürgergeld haben CDU und CSU ihre Forderunge­n am Ende klar durchgeset­zt. Das zeigt die Stärke der Opposition im Bundestag in diesen Tagen. Und ein stückweit auch die Schwäche der Bundesregi­erung.

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