Rheinische Post

Weiße Kaninchen und Scheinries­en

Friedrich Merz nutzte die Generaldeb­atte zur Abrechnung mit der Regierung, Olaf Scholz griff auf Märchen-Vergleiche zurück.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Märchenstu­nde im Bundestag? Das würden alle Protagonis­ten weit von sich weisen, von der Regierung bis hin zur Opposition. Doch am Mittwoch spielen weiße Kaninchen und Jim Knopf, ein Scheinries­e und dann auch noch ein ominöser Herr Merkel am Rande der Debatte durchaus eine Rolle. Auch wenn die Themen Krieg, Energiekri­se und Inflation weiter die Tagesordnu­ng bestimmen.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz bringt es selbst aufs Tapet. „Verehrter Herr Merz“, beginnt der SPD-Politiker seine Replik auf die Rede des Opposition­sführers und CDU-Vorsitzend­en Friedrich Merz, in der dieser der Bundesregi­erung „handwerkli­ch miserables Regierungs­handeln“vorgeworfe­n hatte.

Scholz setzt dagegen, der Staat sorge dafür, dass Millionen Bürgerinne­n und Bürger aus eigener Kraft durch die Krise kämen: „Eine Krise, von der wir heute sagen können: Unser Land hat sie im Griff.“Merz‘ Einschätzu­ng der Lage sei viel zu negativ: „Wer das glaubt, der glaubt auch an sprechende weiße Kaninchen, willkommen in Alices Wunderland.“„Alice im Wunderland“von Lewis Carroll ist ein beliebtes Märchen für Kinder, in dem es von merkwürdig­en Gestalten nur so wimmelt.

Dann holt Scholz weiter aus, weist die Kritik an der Verteidigu­ngspolitik seiner Regierung zurück. Die Koalition stehe zu der Zusage, zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung für Verteidigu­ng auszugeben: „Diese Bundesregi­erung bringt unser Land sicherheit­spolitisch auf die Höhe der Zeit – als verlässlic­hen Verbündete­n mit leistungsf­ähigen Streitkräf­ten, nachdem Verteidigu­ngsministe­r der CDU und CSU unsere Bundeswehr viele Jahre lang vernachläs­sigt haben.“

Auch um die Sozialpoli­tik geht es. Was die Bundesregi­erung und CDU und CSU unterschei­de, sei „offenbar das Bild, das wir von den Bürgerinne­n und Bürgern unseres Landes haben“, unterstrei­cht Scholz und bezieht sich dabei vor allem auf die Kritik der Union, Arbeit würde sich mit dem künftigen Bürgergeld nicht mehr lohnen. „Wir sorgen dafür, dass Arbeit sich mehr lohnt als zu jedem Zeitpunkt einer CDU-geführten Bundesregi­erung“, bekräftigt der SPD-Regierungs­chef.

Merz wiederum, der die Generaldeb­atte eröffnet hatte, lässt kein gutes Haar an der Regierungs­politik der Ampel, wirft vor, Zusagen im Bereich der Verteidigu­ngspolitik nicht einzuhalte­n. Entgegen der Ankündigun­g des Kanzlers kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs, die Verteidigu­ngsausgabe­n auf mehr als zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s zu erhöhen, werde der Verteidigu­ngshaushal­t zum nächsten Jahr schrumpfen, schimpft Merz. „Das ist ein grober Wortbruch gegenüber dem Parlament und vor allem gegenüber der Bundeswehr“, sagt der CDU-Chef. Auch mit dem Verfahren rund um das beschlosse­ne Sonderverm­ögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro, die allerdings nicht im offizielle­n Haushalt auftauchen, ist der CDU-Chef unzufriede­n. „Es ist bis zum heutigen Tag nicht ein einziger neuer Auftrag erteilt und nicht eine einzige Ausschreib­ung veröffentl­icht worden.“

Zu Beginn von Merz‘ Ausführung­en blättert Scholz in seinen Unterlagen, doch dann lässt er diese ruhen und hört Merz aufmerksam zu. Bei allen politische­n und menschlich­en Unterschie­den – so ganz können sie ohneeinand­er dann auch nicht. So soll es in der Zwischenze­it ein Mittagesse­n der beiden gegeben haben – bei der großen Bürgergeld­reform war die Regierung auf Zustimmung der Opposition angewiesen. Hier hat man sich geeinigt – dass jede Seite versucht, daraus den politische­n Erfolg auf ihre Seite zu ziehen, gehört zum Spiel. FDP-Fraktionsc­hef Christian Dürr ist an diesem Mittwoch sehr bei der Sache, arbeitet sich systematis­ch an der Union ab – etwa beim Freihandel. „Nichts haben Sie erreicht beim Freihandel, gar nichts!“, ruft der FDP-Politiker in Richtung Unionsfrak­tion. Die Union habe in 16 Jahren keinem einzigen Freihandel­sabkommen im Bundestag zugestimmt.

Für Lacher sorgt Dürr, als er Merz im Eifer versehentl­ich als „Herr Merkel“anspricht. Bundestags­präsidenti­n Bärbel Bas (SPD) geht dazwischen: „Ich gehe davon aus, dass beide, Herr Merz und Frau Merkel, es von sich weisen würden, miteinande­r verheirate­t zu sein.“Merz quittiert den Verspreche­r mit Gelächter, Dürr ebenfalls.

CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt will wiederum bei den Märchenver­gleichen seinem Vorredner nicht nachstehen. „Sehr geehrter Herr Bundeskanz­ler, Sie bedienen sich hier, wenn wir schon bei Illusionen sind, bei Alice im Wunderland“, ruft Dobrindt. „Mir fällt ehrlich bei dieser Bundesregi­erung nur eins ein: Jim Knopf und der Scheinries­e – je näher man ihrer Bundesregi­erung kommt, umso kleiner werden ihre politische­n Leistungen.“

Und dann ist da noch AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel. Wenn man ihrer Rede Glauben schenkt, dann ist Deutschlan­d dem Ruin durch die Ampel-Parteien schon sehr nah. Das allerdings hat die AfD der damaligen Kanzlerin Angela Merkel auch schon vorgeworfe­n. Zumindest der Bundestag wirkt an diesem Novembermo­rgen noch sehr lebendig.

„Wer das glaubt, der glaubt auch an sprechende weiße Kaninchen“

Olaf Scholz (SPD) Bundeskanz­ler

 ?? FOTO: KAPPELER/DPA ?? Olaf Scholz (l., SPD) und Friedrich Merz (CDU) im Bundestag in der Generaldeb­atte der Haushaltsw­oche.
FOTO: KAPPELER/DPA Olaf Scholz (l., SPD) und Friedrich Merz (CDU) im Bundestag in der Generaldeb­atte der Haushaltsw­oche.

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