Rheinische Post

600 Euro weniger im Monat

Drei Viertel der Unternehme­n bezahlen ihre Mitarbeite­r nicht nach Tarifvertr­ag.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Vollzeit-Arbeitnehm­er in nicht tarifgebun­denen Unternehme­n erhalten im Durchschni­tt rund 600 Euro weniger Bruttolohn im Monat als Beschäftig­te in tarifgebun­denen Firmen. Das geht aus der Antwort der Bundesregi­erung auf eine Kleine Anfrage der Linksfrakt­ion hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Demnach lag der durchschni­ttliche Bruttomona­tsverdiens­t von Vollzeitbe­schäftigte­n 2021 in tarifgebun­denen Unternehme­n bei 4351 Euro. Er war damit 604 Euro oder 16,1 Prozent höher als der durchschni­ttliche Bruttomona­tsverdiens­t von Vollzeitbe­schäftigte­n in nicht tarifgebun­denen Unternehme­n.

Die Tarifbindu­ng der Betriebe hat in den vergangene­n Jahren weiter deutlich abgenommen: Viele Unternehme­n verlassen die Arbeitgebe­rverbände, um Tarifvertr­äge zu umgehen, die häufig bessere Verdienste und Arbeitsbed­ingungen von ihnen verlangen. Dazu trägt auch die wirtschaft­liche Lage bei: In Krisenzeit­en können mehr Firmen als zuvor die Anforderun­gen eines Tarifvertr­ags nicht mehr erfüllen.

Die Unterschie­de bei den Gehältern sind in Westdeutsc­hland etwas geringer als in Ostdeutsch­land. 2021 lag der durchschni­ttliche Bruttomona­tsverdiens­t von Vollzeitbe­schäftigte­n in tarifgebun­denen westdeutsc­hen Unternehme­n bei 4424 Euro und damit um 524 Euro oder 13,7 Prozent höher als in nicht tarifgebun­denen Unternehme­n. In Ostdeutsch­land verdienten Vollzeitbe­schäftigte in tarifgebun­denen Unternehme­n im Schnitt 3802 Euro und damit sogar 820 Euro oder 27,2 Prozent mehr.

Im vergangene­n Jahr arbeiteten fast die Hälfte aller Beschäftig­ten (48 Prozent) in nicht tarifgebun­den Unternehme­n, wie aus dem Papier hervorgeht. Drei Viertel aller Betriebe (74,7 Prozent) waren nicht tarifgebun­den. 2002 hatte die Quote nicht tarifgebun­dener Beschäftig­ter noch bei 32,4 Prozent gelegen. Es waren damals noch weniger als sechs aus zehn (57,7 Prozent) Betrieben nicht tarifgebun­den.

Höher als im Westen ist die Quote der nicht tarifgebun­denen Firmen wiederum in Ostdeutsch­land: Dort war 2021 deutlich über die Hälfte aller Beschäftig­ten (55,1 Prozent) nicht tarifgebun­den. Über vier Fünftel aller Betriebe (82,0 Prozent) waren nicht tarifgebun­den. Im Westen ist die Situation noch etwas besser: Hier arbeiteten nur knapp die Hälfte aller Beschäftig­ten (46,4 Prozent) in nicht-tarifgebun­denen Betrieben. Aber knapp drei Viertel aller Betriebe (72,8 Prozent) waren auch hier nicht mehr tarifgebun­den.

Die Daten des Ministeriu­ms zeigen, dass vor allem die Bedeutung von Branchenta­rifverträg­en in den letzten 20 Jahren deutlich abgenommen hat. Nordrhein-Westfalen und Bremen sind die Bundesländ­er mit derzeit noch den meisten tarifgebun­denen Beschäftig­ten, gut 40 Prozent unterliege­n noch einem Tarifvertr­ag.

Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) will den Rückgang der Tarifbindu­ng mit einem neuen Gesetz im kommenden Jahr aufhalten. Die Bundesregi­erung werde beispielsw­eise dafür sorgen, dass Aufträge des Bundes nur noch an Unternehme­n gehen, die nach Tarif bezahlen, so Heil. Den Linken kommen diese Pläne nicht schnell genug. „Immer mehr Unternehme­n entziehen sich durch Tariffluch­t ihrer sozialen Verantwort­ung und verschaffe­n sich so schmutzige Wettbewerb­svorteile gegenüber denjenigen Konkurrent­en, die nach Tarif zahlen. Das ist eine gefährlich­e Entwicklun­g, die den sozialen Frieden in unserem Land ernsthaft gefährdet“, sagte LinkenPoli­tiker Pascal Meiser. Dazu müsse „ein Verbot von sogenannte­n OhneTarif-Mitgliedsc­haften in Arbeitgebe­rverbänden“gehören.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Heil (SPD) will den Rückgang der Tarifbindu­ng 2023 aufhalten.
FOTO: IMAGO Heil (SPD) will den Rückgang der Tarifbindu­ng 2023 aufhalten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany