Rheinische Post

So geht es weiter beim Bürgergeld

Union und Ampelkoali­tion haben sich auf Kompromiss­e geeinigt. Damit gelten ab Januar für mehr als fünf Millionen Menschen neue Regeln beim Bezug der Sozialleis­tung. Dazu die wichtigste­n Fragen und Antworten.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Zufriedene Gesichter bei SPD und Union, gemischte Gefühle bei Grünen und FDP: Im Schnellver­fahren haben sich die Ampel und die Union zu Wochenbegi­nn auf Kompromiss­e beim geplanten Bürgergeld­gesetz geeinigt. Die SPD feiert den „wirklichen Kulturwand­el“, der mit dem Bürgergeld einhergehe, für sie ist das Trauma Hartz IV damit überwunden. Die Union sieht sich als Siegerin der Verhandlun­gen, denn sie konnte viel durchsetze­n. Grüne und FDP mussten dagegen Federn lassen. Am Mittwochab­end sollte der Vermittlun­gsausschus­s von Bundestag und Bundesrat offiziell letzte Hand an die schon zuvor erzielte politische Einigung legen, weitgehend­e Änderungen waren jedoch nicht mehr zu erwarten.

Was ist das Bürgergeld? Die Sozialleis­tung soll ab 1. Januar 2023 das bisherige Arbeitslos­engeld II (im Volksmund Hartz IV ) ablösen, das 5,3 Millionen Menschen in Deutschlan­d beziehen. Die Leistung erhält für sich und seine Familie, wer nach dem bis zu zwei Jahre langen Bezug des regulären Arbeitslos­engeldes I weiterhin erwerbslos ist.

Wie hoch ist das Bürgergeld?

Der Regelsatz wird ab Januar für einen Single um 53 Euro oder gut elf Prozent auf 502 Euro monatlich angehoben. Für Ehe- oder Lebenspart­ner erhöht sich der Satz auf jeweils 451 Euro, für Kinder im Alter von 14 bis 17 Jahren auf 420 Euro, für Sechs- bis 13-Jährige auf 348 Euro und für jüngere Kinder auf 318 Euro. Das Sozialamt übernimmt zudem Kaltmiete, Betriebsko­sten (ohne Strom) und Heizkosten in angemessen­er Höhe. Während der Corona-Pandemie wurde bereits in den vergangene­n zwei Jahren die Prüfung der Angemessen­heit einer Wohnung ausgesetzt. Die Städte legen aber jedes Jahr Obergrenze­n für die Mieten fest, die weiterhin galten.

Für wen gelten diese Regelsätze noch?

Die gleichen Regelsätze erhalten die rund 1,1 Millionen Bezieher der Grundsiche­rung im Alter, deren gesetzlich­e Rente nicht für den Lebensunte­rhalt ausreicht. Auch rund eine Million Empfänger von Sozialgeld, die als nicht erwerbsfäh­ig eingestuft sind, bekommen die gleichen Regelsätze.

Was gilt künftig bei den Sanktionen?

Bisher wollte die Ampel eine sogenannte Vertrauens­zeit von sechs Monaten

nach Beginn des Bezugs einführen, in der die Ämter weitgehend auf Sanktionen bei Regelverst­ößen verzichten. Eine Kürzung des Regelsatze­s um zehn Prozent sollte vorübergeh­end nur dann noch möglich sein, wenn jemand mehrfach beim Amt nicht erscheint. Die Vertrauens­zeit wurde nun auf Druck der Union komplett gestrichen. Nun sind Kürzungen um bis zu 30 Prozent vom ersten Tag an möglich, wenn etwa ein Jobangebot grundlos nicht angenommen wird. Vor allem die Grünen mussten hier nachgeben. Bisher wird nur in drei Prozent aller Fälle sanktionie­rt. Oft sehen die Job-Center von Strafen aber ab.

Worauf einigten sich Ampel und Union beim Schonvermö­gen?

Bisher sollte nach den Ampel-Plänen ein Haushaltsv­orstand bis zu 60.000 Euro Erspartes plus 30.000 Euro für jedes weitere Haushaltsm­itglied nicht antasten müssen, wenn er das Bürgergeld bezieht – plus die Altersvors­orge-Verträge oder eigene Immobilien. Diese Summen wurden jetzt auf Drängen der Union auf 40.000 Euro für den Haushaltsv­orstand und 15.000 für jedes weitere Haushaltsm­itglied reduziert.

Was gilt bei der „Karenzzeit“?

Die Ampel wollte die Prüfung der Angemessen­heit einer Wohnung und des Vermögens in den ersten zwei Jahren des Bezugs aussetzen. Auf Druck der Union wurde diese „Karenzzeit“auf ein Jahr reduziert. Die Zeit soll gewährt werden, damit sich Betroffene nicht gleich zu Beginn des Bezugs eine neue Wohnung suchen müssen. In der Realität kommt es allerdings bisher nur in einem Prozent aller Fälle zu einem erzwungene­n Umzug. Den Ämtern und Kommunen ist klar, dass günstiger Wohnraum kaum noch zu finden ist.

Was gilt bei den Hinzuverdi­enstregeln?

Künftig sollen Bezieher für selbst Verdientes zwischen 520 und 1000 Euro im Monat 30 Prozent behalten dürfen, der Rest wird auf das Bürgergeld angerechne­t. Bisher lag der Abzug bei 80 Prozent. Ökonomen halten diese Änderung für nicht weitgehend genug, um Anreize für Mehrarbeit zu setzen. Vor allem die FDP hatte sich hier vergeblich für mehr eingesetzt. Die Verbesseru­ng erhöht allerdings den Empfängerk­reis, was beim Staat Mehrausgab­en verursacht. Möglich war allerdings, dass der Vermittlun­gsausschus­s hier am Mittwoch noch einmal nachbesser­t.

Wie viel Sozialhilf­e erhalten Bezieher etwa in Großbritan­nien und Frankreich?

Ein Empfänger des „Universal Credit“in Großbritan­nien erhält einen Regelsatz von 334,91 Pfund oder 388 Euro im Monat. Wer über ein Vermögen von mehr als 16.000 Pfund oder 18.500 Euro verfügt, hat keinen Anspruch. Frankreich ist großzügige­r: Wer das „Revenue de Solidarité Active“(RSA) beantragt, bekommt als Single 598,54 Euro monatlich. Die Regierung will in einer Reform durchsetze­n, dass Bezieher als Gegenleist­ung mindestens 15 bis 20 Stunden pro Woche arbeiten.

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Der Regelsatz wird ab Januar 2023 für einen Alleinsteh­enden um 53 Euro auf 502 Euro monatlich angehoben * Bis zum 30.06.2007 gab es in Ostdeutsch­land einen abweichend­en Regelsatz von 331 Euro | QUELLE: BMAS | FOTO: DPA | GRAFIK: FERL
Höhe des Hartz-IV-Regelsatze­s Der Regelsatz wird ab Januar 2023 für einen Alleinsteh­enden um 53 Euro auf 502 Euro monatlich angehoben * Bis zum 30.06.2007 gab es in Ostdeutsch­land einen abweichend­en Regelsatz von 331 Euro | QUELLE: BMAS | FOTO: DPA | GRAFIK: FERL

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