Rheinische Post

Deutschlan­d patzt gegen Japan

Das DFB-Team erlebt nach 2018 den nächsten Auftaktsch­ock bei einer WM. Bei der 1:2-Niederlage rächt sich der Chancenwuc­her.

- VON KLAUS BERGMANN, ARNE RICHTER, PATRICK REICHARDT UND FLORIAN LÜTTICKE

(dpa) Moralische­r Erfolg für Deutschlan­d – aber Riesenfrus­t über den nächsten WM-Auftaktsch­ock: Nach dem 1:2 (1:0) gegen Japan droht der deutschen Nationalma­nnschaft wie 2018 in Russland schon wieder das VorrundenA­us. Zwei Joker-Tore des Freiburger­s Ritsu Doan (75. Minute) und des Bochumers Takuma Asano (83.) rissen Bundestrai­ner Hansi Flick und sein Team aus allen Träumen. Die zahlreiche­n vergebenen Chancen nach dem Elfmeterto­r von Ilkay Gündogan (33.) rächten sich brutal.

Vor dem Anpfiff punkteten die Fußball-Nationalsp­ieler noch mit einer vielsagend­en Geste gegen die Fifa. Nach dem Verbot der „One Love“-Binde hielten sich Kapitän Manuel Neuer und seine zehn Teamkolleg­en beim Mannschaft­sfoto vor dem Anpfiff demonstrat­iv die Hand vor den Mund. Ein stummer Protest, der übrigens ohne Folgen bleiben wird. Die Fifa-Disziplina­rkommissio­n wird nach Informatio­nen der Deutschen Presse-Agentur kein Verfahren einleiten.

Ein starkes Bild, das da vor 42.608 Zuschauern aus dem Chalifa-Internatio­nal Stadium in die Welt hinausging. Auch auf dem Platz präsentier­te sich das DFB-Team lange gut, auch wenn Flick in seiner großen Coaching Zone nur einmal jubeln durfte. Das Auslassen mehrerer Topchancen wurde am Ende brutal bestraft. Am Sonntag geht es gegen Spanien schon um alles beim Kampf um den Einzug ins Achtelfina­le.

Zumindest ein politische­r Doppelpass gelang an diesem bemerkensw­erten Mittwoch: Auf der VIPTribüne, wo Fifa-Präsident Gianni Infantino saß, trug Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser die für Neuer verbotene „One Love“-Binde für Vielfalt. Sportlich erinnerte das 1:2 derweil an die WM vor viereinhal­b Jahren, als ein 0:1 gegen Mexiko das schmachvol­le VorrundenA­us einleitete.

Nach dem Symbol vor dem Anpfiff gab es auf dem Rasen direkt eine klare Rollenvert­eilung. Die Japaner überließen dem DFB-Team komplett das Spiel und warteten lediglich auf die gefürchtet­en Umschaltmo­mente nach eigenen Ballgewinn­en. Auch wenn Flick genau vor dieser Qualität gewarnt hatte, sorgte der viermalige Asienmeist­er damit das erste Mal für Gefahr. Gündogan, der von Flick den Vorzug gegenüber Leon Goretzka erhalten hatte, verlor in der achten Minute den Ball in der gegnerisch­en Hälfte. Die Japaner überbrückt­en rasant das Mittelfeld, Daizen Maeda stand bei seinem Treffer aber klar im Abseits.

Deutschlan­d zeigte sich zunächst beeindruck­t. Die Angst, ausgekonte­rt zu werden, war der Flick-Auswahl deutlich anzumerken. Erst Mitte der ersten Halbzeit wurde das Offensivsp­iel mutiger, nach vorne ging es nur mit viel Laufbereit­schaft. Für sein 17. WM-Spiel war Thomas Müller rechtzeiti­g fit geworden, im zentralen Mittelfeld agierte der 33-Jährige sehr umtriebig, seinen Aktionen fehlte aber die Präzision.

Torschütze Gündogan und Joshua Kimmich als Doppel-Sechs kam eine enorme Bedeutung zu. Einerseits mussten der Kapitän von Manchester City und sein Nebenmann des FC Bayern das deutsche Spiel gestalten, durften dabei aber auch nicht nach hinten aufmachen. Vier Minuten nach der ersten deutschen Chance durch einen Kopfball von Abwehrchef Antonio Rüdiger (16.) sorgte Kimmich per Distanzsch­uss für die zweite Annäherung ans japanische Tor.

Ein feiner öffnender Ball des 27-Jährigen auf den Leipziger Linksverte­idiger David Raum leitete die verdiente Führung ein. Nach sicherer Ballannahm­e war der WM-Debütant im Strafraum von Japans Torwart Shuichi Gonda nur per regelwidri­ger Grätsche zu stoppen. Gündogan verwandelt­e sicher und behielt mit dem siebten verwandelt­en Elfmeter im siebten Versuch seine 100-Prozent-Quote im Nationaltr­ikot.

Das 1:0 gab dem deutschen Team zunächst noch Sicherheit. Mit flexiblem Positionsw­echsel agierte die deutsche Offensive nun dominant. Kurz vor der Pause jubelte Sturmspitz­e Kai Havertz zunächst, bei seinem Treffer stand der Profi des FC Chelsea aber im Abseits.

Bayern-Offensivsp­ieler Jamal Musiala bewies mehrfach seine Extraklass­e. Mit einem Solo im Strafraum tanzte der 19-Jährige gleich fünf Japaner aus, verpasste aber die Krönung: Sein Schuss strich über das Tor (52.). Sein Münchner Teamkolleg­e Serge Gnabry war hingegen nur selten zu sehen. Defensiv erlaubte sich vor allem Dortmunds Nico Schlotterb­eck immer wieder Wackler und war dem WM-Niveau zunächst nicht gewachsen.

Das Spiel wurde offener, Japan wechselte offensiv, brachte unter anderem Doan sowie Asano und setzte nun auf eine Dreierkett­e. Mit seiner Kunst am Ball leitete Musiala eine weitere Großchance ein, Gündogan traf jedoch nur den Außenpfost­en. Leon Goretzka und Jonas Hofmann anstelle von Gündogan und Müller sollten für Frische sorgen. Der Gladbacher Hofmann hatte direkt die Riesenchan­ce zum 2:0, auch gegen Gnabry rettete jedoch der japanische Keeper (70.).

Die Chancenver­wertung blieb der Kritikpunk­t im deutschen Spiel – und dieser Wucher rächte sich: Mit einer Riesenpara­de rettete Neuer zunächst noch gegen Junya Ito (73.). Wenig später war der Bayern-Keeper jedoch geschlagen: Eine scharfe Hereingabe konnte Neuer nur nach vorne klatschen lassen, der Freiburger Doan nutzte dies eiskalt und belohnte die Japaner für ihre Drangphase.

Das deutsche Team war geschockt. Schlotterb­eck stand nach langem Freistoß weit von Asano entfernt, agierte zu zaghaft und konnte den Bochumer beim zweiten Gegentreff­er nicht stören. Ein letzter Versuch von Goretzka ging daneben – die nächste Auftakt-Schmach war perfekt.

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FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA Die deutsche Abwehr kommt zu spät, Torwart Manuel Neuer ist machtlos: Japans Ritsu Doan trifft in dieser Szene zum 1:1.

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