Rheinische Post

Hoffnung auf ein Sommermärc­hen

In Südamerika freuen sich die Fans über die Fußball-WM. Das liegt auch an dem ungewöhnli­chen Termin.

- VON TOBIAS KÄUFER

WM-Fußball bei 25 Grad im Schatten – draußen in den Parks, den Straßencaf­es, den Restaurant­s? Kennen die Argentinie­r nicht. Bis jetzt. Denn diesmal ist alles anders: Vor allem im Heimatland von Lionel Messi freuen sich die Fans auf die erste Sommer-WM ihres Lebens. Denn bislang war die Fußball-Weltmeiste­rschaft stets „eurozentri­stisch“organisier­t, wie es so schön heißt. Die großen Ligen in Europa bestimmten den Zeitplan, erst wenn die Meister in Deutschlan­d, Spanien, England oder Italien ausgespiel­t, der Champions-League-Sieger gekürt war, konnte eine Fußball-WM starten.

Doch weil es in Katar im Sommer zu brütend heiß ist, musste die Fifa ihre Pläne ändern und lässt nun im November kicken. Da ist es nur noch sehr heiß. Und plötzlich ist alles spiegelver­kehrt. Auf der Südhalbkug­el ist Sommer, die Saison ist zu Ende gespielt (sie richtet sich nach dem Kalenderja­hr), der südamerika­nische Champions-League-Sieger (Copa Libertador­es) ist gerade erst gekürt worden: Flamengo aus Rio de Janeiro. Die Fans müssen nicht wie in Deutschlan­d an die Champions League oder die Europa League, an den Abstiegska­mpf in der Bundesliga denken, die Köpfe sind frei und offen für eine WM.

Normalerwe­ise frieren die argentinis­chen Fans im Winter, wenn die WM in der europäisch­en Sommerpaus­e stattfinde­t. Dann kann es nachts auch mal an den Gefrierpun­kt gehen. Doch diesmal wird es in Buenos Aires oder Rosario ganz neue, sommerlich­e WM-Erlebnisse geben und es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass diese WM im globalen Süden den Hunger nach mehr weckt.

Dass die Europäer ihre Saison nach dem Kalenderja­hr ausspielen und nicht mehr durch eine Sommerpaus­e trennen, wäre aus Klimaschut­zgründen durchaus auch mal eine Überlegung wert. Vor allem, wenn es so lautstarke Kritik an den klimatisie­rten Stadien in Katar gibt, während Heizstrahl­er und Rasenheizu­ng in heimischen Stadien im Winter natürlich etwas ganz anderes sind. Oder?

In Rio de Janeiro ist an der Copacabana sogar ein großes Fanfest geplant, zumindest wenn die Selecao

spielt. In Brasilien wie in Argentinie­n wird in den Medien zwar auch über Themen wie Homophobie oder Wüstentemp­eraturen berichtet, die Debatte hat aber bei weitem nicht das Ausmaß wie in Deutschlan­d. Ein Boykott ist kein Thema. Das liegt vielleicht auch daran, dass ganz Argentinie­n endlich wieder Weltmeiste­r werden will und Lionel Messi die Krönung seiner Karriere wünscht – auch wenn es gleich im ersten Spiel einen überrasche­nden Rückschlag gegen SaudiArabi­en gab. Außerdem wollen die Argentinie­r gemeinsam mit Uruguay, Paraguay und Chile die WM 2030 ausrichten, da kommt Kritik an der Fifa nicht so gut an.

Brasilien hofft auf die späte Wiedergutm­achung nach der Schmach von 2014 gegen Deutschlan­d, der letzte WM-Titel liegt nun auch schon 20 Jahre her und wird in den Streamingd­iensten noch einmal ausführlic­h aufgearbei­tet. Und vielleicht kann ein WM-Titel auch helfen, die polarisier­te Gesellscha­ft nach einem hässlichen Wahlkampf wieder ein wenig zu versöhnen.

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FOTO: GUSTAVO GARELLO/AP In Buenos Aires sahen die Fans die Auftaktnie­derlage ihres Teams bei gutem Wetter beim Public Viewing.

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