Im Retematäng lief ein Klassiker gegen England
„Kein Katar in meiner Kneipe“heißt die Aktion der Bar in der Altstadt. Aber auch auf der Bolkerstraße kam keine WM-Stimmung auf.
Das Auftaktspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien war das größte Fußball-Erlebnis meines Lebens. Ich durfte live dabei sein, als sich die deutschen Anhänger zunächst zum Fanmarsch in der Altstadt von Salvador trafen, durch die Straßen zum Stadion zogen und dann sahen, wie das DFB-Team Portugal um Superstar Ronaldo mit 4:0 abfertigte. Für mich eine Erinnerung, die unvergessen bleibt, für die deutsche Mannschaft der Start auf dem Weg zum vierten WM-Titel.
Acht Jahre später gibt es beim Auftaktspiel der Deutschen bei der Weltmeisterschaft in Katar – wie verrückt sich das schon anhört – gegen Japan für mich statt Caipirinha ein Füchschen. Ich sitze in der Düsseldorfer Altstadt bewusst an einem Tisch der Bar Retematäng, in der die umstrittenste WM der Fußballgeschichte boykottiert und nicht im Fernsehen übertragen wird. Das Motto „Kein Katar in meiner Kneipe“bedeutet für mich, dass ich zum ersten Mal – seitdem ich Fußballfan bin – ein Spiel der Nationalmannschaft bei einem großen Turnier wie der WM oder EM (die Nations League nimmt ja niemand ernst) nicht verfolge.
„Früher habe ich Urlaub genommen, um die WM zu gucken“, sagt auch Duffy am Nachbartisch im Retematäng. Aber diese Zeiten seien jetzt vorbei, mit seinem Kumpel Pete schaut er in der Bar lieber eine Aufzeichnung der Partie Deutschland gegen England von der WM 2010 in Südafrika, auch wenn es nur einen englischen Kommentar gibt. Beim 1:0 für die DFB-Elf, damals noch unter Jogi Löw, durch Miro Klose ballt Duffy die Fäuste. Ein typisches Klose-Tor sei es gewesen. Beim zweiten Treffer wird sogar als Fortuna-Fan einem Kölner applaudiert: Lukas Podolski erhöht auf 2:0. Das Anschlusstor der Engländer wird locker aufgenommen; man weiß ja, dass Thomas Müller nach der Halbzeit noch doppelt treffen und Deutschland ins Viertelfinale einziehen wird.
Für Duffy und Pete ist es Ehrensache, im Retematäng die WM zu boykottieren. Pete will vor dem Spiel nur auf die japanische Aufstellung geguckt haben, weil er wissen wollte, ob Ao Tanaka von der Fortuna in der Startelf steht. Ansonsten wird auf den Blick aufs Smartphone und den Zwischenstand verzichtet. „Ich bin aus Solidarität zum Wirt hier. Er hat mit `Kein Katar in meiner Kneipe‘ ein Zeichen gesetzt und ich will nicht, dass er das finanziell bereut“, sagt Pete. Und was machen die beiden, wenn Deutschland das Finale erreichen sollte? Duffy sagt: „Auch dann schaue ich mir das nicht an.“Er hofft, dass niedrigere Einschaltquoten für die Zukunft etwas bewirken. Ganz so cool wie Duffy und Pete ist Retematäng-Chef Daniel Vollmer übrigens nicht. Als „totaler Fußballfan“müsse er sich beherrschen, nicht doch die deutschen Partien zu schauen: „Es juckt schon ganz schön“, sagt er. Duffy und Pete fachsimpeln währenddessen an ihrem Tisch weiter, bestellen noch ein Alt und ärgern sich über die „korrupte Fifa“, die ihren Lieblingssport schon mit der WM-Vergabe an Russland 2018 kaputtgemacht habe.
Am Sonntagabend wird im Retematäng statt Deutschland gegen Spanien lieber American Football gezeigt. Die Wirte an der Bolkerstraße werden aber wieder ihre Fernseher draußen einschalten, die WM übertragen und wahrscheinlich hoffen, dass mehr Gäste in die Altstadt zum Rudelgucken kommen. Denn beim Spiel gegen die Japaner war auf der „Bolker“nicht mehr los als an anderen Wochentagen – von Fußballfieber keine Spur, mag das vielleicht aber auch an der frühen Anstoßzeit (14 Uhr) gelegen haben.
Dass die Deutschen nun ihren Auftakt vergeigten, passt für mich irgendwie zu dieser WM, denn gute Nachrichten aus Katar habe ich noch keine wahrgenommen. So bleibt die Erinnerung an Brasilien 2014 – noch immer mit Gänsehaut.