Rheinische Post

Im Retematäng lief ein Klassiker gegen England

„Kein Katar in meiner Kneipe“heißt die Aktion der Bar in der Altstadt. Aber auch auf der Bolkerstra­ße kam keine WM-Stimmung auf.

- Hendrik Gaasterlan­d

Das Auftaktspi­el der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft bei der Weltmeiste­rschaft 2014 in Brasilien war das größte Fußball-Erlebnis meines Lebens. Ich durfte live dabei sein, als sich die deutschen Anhänger zunächst zum Fanmarsch in der Altstadt von Salvador trafen, durch die Straßen zum Stadion zogen und dann sahen, wie das DFB-Team Portugal um Superstar Ronaldo mit 4:0 abfertigte. Für mich eine Erinnerung, die unvergesse­n bleibt, für die deutsche Mannschaft der Start auf dem Weg zum vierten WM-Titel.

Acht Jahre später gibt es beim Auftaktspi­el der Deutschen bei der Weltmeiste­rschaft in Katar – wie verrückt sich das schon anhört – gegen Japan für mich statt Caipirinha ein Füchschen. Ich sitze in der Düsseldorf­er Altstadt bewusst an einem Tisch der Bar Retematäng, in der die umstritten­ste WM der Fußballges­chichte boykottier­t und nicht im Fernsehen übertragen wird. Das Motto „Kein Katar in meiner Kneipe“bedeutet für mich, dass ich zum ersten Mal – seitdem ich Fußballfan bin – ein Spiel der Nationalma­nnschaft bei einem großen Turnier wie der WM oder EM (die Nations League nimmt ja niemand ernst) nicht verfolge.

„Früher habe ich Urlaub genommen, um die WM zu gucken“, sagt auch Duffy am Nachbartis­ch im Retematäng. Aber diese Zeiten seien jetzt vorbei, mit seinem Kumpel Pete schaut er in der Bar lieber eine Aufzeichnu­ng der Partie Deutschlan­d gegen England von der WM 2010 in Südafrika, auch wenn es nur einen englischen Kommentar gibt. Beim 1:0 für die DFB-Elf, damals noch unter Jogi Löw, durch Miro Klose ballt Duffy die Fäuste. Ein typisches Klose-Tor sei es gewesen. Beim zweiten Treffer wird sogar als Fortuna-Fan einem Kölner applaudier­t: Lukas Podolski erhöht auf 2:0. Das Anschlusst­or der Engländer wird locker aufgenomme­n; man weiß ja, dass Thomas Müller nach der Halbzeit noch doppelt treffen und Deutschlan­d ins Viertelfin­ale einziehen wird.

Für Duffy und Pete ist es Ehrensache, im Retematäng die WM zu boykottier­en. Pete will vor dem Spiel nur auf die japanische Aufstellun­g geguckt haben, weil er wissen wollte, ob Ao Tanaka von der Fortuna in der Startelf steht. Ansonsten wird auf den Blick aufs Smartphone und den Zwischenst­and verzichtet. „Ich bin aus Solidaritä­t zum Wirt hier. Er hat mit `Kein Katar in meiner Kneipe‘ ein Zeichen gesetzt und ich will nicht, dass er das finanziell bereut“, sagt Pete. Und was machen die beiden, wenn Deutschlan­d das Finale erreichen sollte? Duffy sagt: „Auch dann schaue ich mir das nicht an.“Er hofft, dass niedrigere Einschaltq­uoten für die Zukunft etwas bewirken. Ganz so cool wie Duffy und Pete ist Retematäng-Chef Daniel Vollmer übrigens nicht. Als „totaler Fußballfan“müsse er sich beherrsche­n, nicht doch die deutschen Partien zu schauen: „Es juckt schon ganz schön“, sagt er. Duffy und Pete fachsimpel­n währenddes­sen an ihrem Tisch weiter, bestellen noch ein Alt und ärgern sich über die „korrupte Fifa“, die ihren Lieblingss­port schon mit der WM-Vergabe an Russland 2018 kaputtgema­cht habe.

Am Sonntagabe­nd wird im Retematäng statt Deutschlan­d gegen Spanien lieber American Football gezeigt. Die Wirte an der Bolkerstra­ße werden aber wieder ihre Fernseher draußen einschalte­n, die WM übertragen und wahrschein­lich hoffen, dass mehr Gäste in die Altstadt zum Rudelgucke­n kommen. Denn beim Spiel gegen die Japaner war auf der „Bolker“nicht mehr los als an anderen Wochentage­n – von Fußballfie­ber keine Spur, mag das vielleicht aber auch an der frühen Anstoßzeit (14 Uhr) gelegen haben.

Dass die Deutschen nun ihren Auftakt vergeigten, passt für mich irgendwie zu dieser WM, denn gute Nachrichte­n aus Katar habe ich noch keine wahrgenomm­en. So bleibt die Erinnerung an Brasilien 2014 – noch immer mit Gänsehaut.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Pete (links) und Duffy unterstütz­en die Aktion „Kein Katar in meiner Kneipe“. Sie schauten im Retematäng lieber das Spiel Deutschlan­d gegen England aus dem WM-Jahr 2010.
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RP-FOTOS (2): CSR An der Immermanns­traße schauten einige japanische Fans.
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Auf der Bolkerstra­ße kam am Mittwoch keine WM-Stimmung auf.

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