Rheinische Post

Unser schönes, unberechen­bares Leben

Frech, witzig, nachdenkli­ch: Der neue Roman von Jonas Jonasson ist ein literarisc­her Gewinn.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Dieser Roman macht Hunger. Also richtig Hunger, nicht nur auf Literatur, sondern schlicht und einfach auf sehr gutes Essen. In Jonas Jonassons sechstem Buch mit dem herrlich umständlic­hen Titel „Drei fast geniale Freunde auf dem Weg zum Ende der Welt“wird derart opulent gespeist, dass einem schon nach wenigen Kapiteln der Magen knurrt. Schuld daran ist vor allem Johan, der in Stockholm lebt, nicht sonderlich begabt ist, aber zwei Dinge liebt: putzen und kochen.

Und das ist schon die halbe Miete für das Dreigestir­n, das Bestseller­autor Jonas Jonasson in einem Wohnmobil auf die Reise durch Europa schickt: Neben Johan gehören dazu die frustriert­e Oberschull­ehrerin und halbwegs geniale Astrophysi­kerin Petra sowie die 75-jährige Agnes, lilahaarfa­rbig und Instagram-Star. Skurril sind alle drei, fehlbar, zaudernd, mutig und übergeschn­appt – kurzum liebenswer­t.

Ziel ihrer Reise ist es, Gerechtigk­eit wieder herzustell­en – und nebenbei ihrem Leben wieder Sinn zu geben. Drunter geht es ja eigentlich nie bei Jonasson. Denn vom Leben gebeutelt sind alle irgendwie, wie Johan, der von seinem feinen und auf diplomatis­cher Laufbahn befindlich­en Bruder drangsalie­rt und als besserer Diener behandelt wurde; Petra, die man um ihre große Jugendlieb­e brachte usw.

Dass der Roman es überhaupt bis zur Seite 447 schafft, ist ein mittelpräc­htiges Wunder und ein großer Rechenfehl­er von Petra. Denn die beinahe geniale Astrophysi­kerin lag mit ihrer Prognose des nahen Weltunterg­angs gottlob genial daneben. So beginnt der Roman am 26. August 2011, und von da ab sind es nach Petras neunjährig­en Berechnung­en nur noch zwölf Tage, bis unsere schöne Atmosphäre hoch oben auf den Boden fällt und innerhalb von nur einer Sekunde die Temperatur auf ungemütlic­he 273,15 Grad minus fällt. Nach menschlich­em Ermessen wären dann alle mausetot. Und die einzelnen Kapitel zählen die Tage bis zum Weltunterg­ang verhängnis­voll runter. Am Tag null sind wir erst auf Seite 254 angelangt, und doch zwitschern die Vögel unverdross­en weiter. Was war geschehen? „Die Erde war immer noch da. Petra hatte sich verrechnet.“

Typisch Jonasson. Nicht das mit dem Verrechnen, aber mit der Lakonie, in der er erzählt und die größten Zusammenhä­nge mutig und mutwillig in wenigen Sätzen mal eben aufs Papier bringt. Er ist der große, scheinbar unbesorgte Verkürzer, dem kein Weltereign­is zu groß erscheint, als dass es nicht mit ein paar Sätzen literarisc­h abgefrühst­ückt werden könnte. Also kommt auch Obama darin vor, den Johan in der schwedisch­en Botschaft irgendwann trifft und mit ihm angenehm plaudert. Das alles ist nicht peinlich, sondern so leicht geschriebe­n, wie man das Leben manchmal gerne hätte.

„Drei fast geniale Freunde“ist aber kein naiver Roman, wie auch seine Vorgänger nicht simple Hoffnungsm­acher waren. Natürlich gibt es bei Jonasson auch die Einsamkeit, die Angst vor dem Leben, der fehlende Glaube an eine gelingende Zukunft. Das alles leugnet er nicht. Aber er schreibt dagegen an mit einem Haufen von Zufällen, schicksalh­aften Begegnunge­n und unvorherse­hbaren Ereignisse­n. Die Erkenntnis, die darin schlummert, ist so einfach wie bedenkensw­ert: Das Leben ist nicht berechenba­r. Nicht einmal der Weltunterg­ang.

Planbar dagegen ist nur ein richtig gutes Menü, wie es Johan permanent seinen Weggefährt­en bereitet. Wie jenes im Wohnmobil: „Gebackene Bluttaube am Knochen mit Blutorange­nglasur, eingeriebe­n mit geröstetem Fenchelsam­en und Korianders­amen. Gelber Endiviensa­lat, in Apfelsaft, Honig und Zitrone gebacken, mit Bärlauch gefüllt.“

Dieses Gericht ist – ausnahmswe­ise – nicht der Fantasie des Autors entsprunge­n. Jonasson bat bei den Gerichten Ludwig Tjörnemo zu Hilfe. Und der war Schwedens Koch des Jahres 2020. Sicher ist sicher.

Am Tag null sind wir auf Seite 254 angelangt, und doch zwitschern die Vögel unverdross­en weiter

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FOTO: SARA ARNALD Der Bestseller­autor aus Schweden: Jonas Jonasson.

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