Schwelgen in Schwermut
The Cure traten vor 16.000 Fans in der ausverkauften Kölner Arena auf. Traurige Songs trafen auf astreine Pop-Hymnen – selten klang Nihilismus so herzlich.
Er schreitet auf die Bühne, die Hände hat er vor dem Bauch gefaltet wie ein Messdiener, der erst noch zu Ende beten muss. Auf der Leinwand im Hintergrund funkeln Sterne, vom Band kommen Regengeprassel und Donnerschläge, Scheinwerfer imitieren Blitze. Robert Smith wandert seelenruhig auf und ab. Er ist der 63 Jahre alte Sänger, Gitarrist und Kopf der Band The Cure, seine Augenhöhlen hat er schwarz angemalt, die Lippen rot, und auch ansonsten sieht er so herrlich verknittert und geknautscht aus, als hätte er im Wäschekorb zu weit unten gelegen. Als er an den Mikrofonständer tritt und zu singen beginnt, sind seine ersten Worte: „This is the end“.
The Cure treten in der LanxessArena in Köln auf, und das Interesse ist enorm. 16.000 Menschen füllen die Halle, um die britische Gruppe zu erleben. Seit 14 Jahren hat die Band kein neues Album mehr veröffentlicht, aber ihre Musik hat nichts an Faszination eingebüßt. Das ist richtungslos sehnsuchtsvolle Vorstadt-Melancholie, schwelgerischer Nihilismus, Schwermut mit Goldrand: In den Liedern von The Cure geht der November nie vorüber.
Sie spielen „Pictures Of You“, und schon zu diesem frühen Zeitpunkt merkt man, wie wichtig neben dem Gesang und der Person Robert Smith der Bassist Simon Gallup ist. Er legt den düsteren Groove aus, dem Smith bei seinen lyrischen Wanderungen durch das Zwielicht folgt. Manchmal stellen sie sich nebeneinander – der eine mit Gitarre, der andere mit Bass – und schauen sich gegenseitig beim Greifen der Saiten zu. Siamesisches Zwillingsseufzen könnte man das nennen, und es drückt bei der enormen Lautstärke sehr schön in den Solarplexus.
Die ersten Stücke nimmt das Publikum gebannt und vergleichsweise ruhig entgegen. The Cure geizen mit Hits; sie haben etwas anderes vor, als bloß ein Best of zu spielen, sie wollen mehr: einen Klangkosmos entwerfen, die Leute einwickeln, sie herüberholen in diese dunstige Atmosphäre.
Es gibt wahnsinnig traurige Platten von The Cure, das Album „Pornography“aus dem Jahr 1982 ist vielleicht ihr trostlosestes, es beginnt ja auch mit dem Vers „It doesn’t matter if we all die“. Trotzdem ist diese Musik nicht kühl, sondern körperwarm. Sie ist auch nicht unheimlich, im Gegenteil. Sie umklammert und umtost einen wie ein Sturm aus 1000 Seufzern. Sie legt sich als schützender Mantel um das Publikum, und das ist vielleicht ihr
Geheimnis: Man fühlt sich geborgen darin und aufgehoben.
In Köln gibt es einige neue Songs, die sicher auf dem seit Jahren angekündigten Album „Songs Of The Lost World“zu finden sein dürften, das nun eigentlich zum Beginn der Tournee hatte erscheinen sollen. Viele Stücke beginnen mit langen Instrumentalpassagen, bevor
Smiths Gesang einsetzt. The Cure legen halbdurchsichtige Soundschleier über ihre Melodien. Man verliert sich in diesem Sound, die Gegenwart löst sich darin auf, alles wird so angenehm unscharf, und man erschrickt geradezu, wenn plötzlich ein Klassiker wie „A Forest“beginnt.
Die Bühne sieht rumpelig aus, ein bisschen wie ein Dachboden oder ein Keller; Verstärker türmen sich da, Gitarren und Lautsprecher. Im Hintergrund laufen Projektionen von welkenden Rosen, es gibt Ansichten von Kultstätten á la Stonehenge und fieses Maden-Gewimmel. Robert Smith steht zumeist einfach da, maßvoll, irgendwie dankbar. Manchmal öffnet er die Arme, deutet Bewegungen an, es wirkt, als seien die Hände so schwer, dass er sie kaum höher als bis zum Bauch heben könne. Am besten ist es, wenn er seine Gitarre nur umhängt, um sie zu umarmen. Fünf Musiker spielen neben Smith, der extrovertierteste von ihnen ist Simon Gallup. Er trägt Rocker-Tolle und zunächst eine Lederjacke, er rennt hinter Smith hin und her, manchmal steigt er auf einen der Monitore an der Bühnenkante und wirft sich in Pose.
Nach fast zwei Stunden beenden sie den mitunter allmählichen, aber intensiven, tief gehenden und faszinierenden Hauptteil. Für diejenigen, die auf die großen Hits gehofft haben, geht das Konzert nun erst richtig los. Der zweite Zugabenblock zeigt, dass The Cure eben auch diese astreinen Pop-Hymnen schreiben können, glitzernde Ausreißer, mit denen man den Winter schwänzen kann. Sie spielen „The Walk“und „In Between Days“, dann kündigt Robert Smith einen neuen Song an, und er singt zur Gitarre die Zeile „Tuesday is grey“. Das war natürlich nur ein Joke, der Scherz geht über in „Friday I’m In Love“, ihren womöglich populärsten Hit. Das Publikum singt mit, und wer eben noch gesessen hat, erhebt sich. Bei „Close To Me“spürt man Smith sogar so etwas wie Ausgelassenheit an. Er geht zu jeder Bühnenseite, singt die Leute an, winkt ihnen zu. Ein Hauch von Las Vegas geradezu.
Nicht ganz drei Stunden dauert das Konzert, als der Song einsetzt, mit dem die Gruppe traditionell ihre Auftritte beendet: „Hiding the tears in my eyes / Cause boys don’t cry“. Der November kann so schön sein.