Spiegel der Wirklichkeit
Das Drama „Zeiten des Umbruchs“beschwört die rassistischen Spannungen herauf, die zu Beginn von Ronald Reagans Präsidentschaft in den USA herrschten.
(epd) Biografisch geprägte Auseinandersetzungen finden sich zuletzt häufig im Kino. Nun liefert der 53-jährige US-Amerikaner James Gray mit „Zeiten des Umbruchs“sein Selbstporträt als junger Mann. Als Alter Ego dient ihm der elfjährige Paul Graff (Michael Banks Repeta), der in einer ukrainisch-jüdischen Mittelschichtsfamilie im Queens der frühen 80er-Jahre aufwächst. Gray weitet die semifiktionalen Kindheitserinnerungen allerdings zu einem Panorama über weiße Privilegien und Rassismus in der beginnenden Reagan-Ära aus.
Die Handlung von „Zeiten des Umbruchs“erstreckt sich über zwei Monate im Jahr 1980. Paul ist ein sensibler und verträumter Junge. Seine künstlerische Ader wird allenfalls vom gutmütigen Großvater Aaron (Anthony Hopkins), dem von Verfolgung geprägten ukrainischen Einwanderer, verstanden und gefördert.
Pauls überbeschützende Mutter Esther (Anne Hathaway) ist im Elternbeirat der Schule engagiert, der leicht cholerische Vater Irving (Jeremy Strong) ist Kleinunternehmer, das Geld für die teure Privatschule reicht nur für Pauls älteren Bruder Ted (Ryan Sell). Auf der staatlichen Schule, die Paul anfangs besucht, freundet sich der Junge mit Johnny (Jaylin Webb) an. Für die Clownerien, die die beiden anstellen, wird Johnny vom höchst rassistischen Lehrer deutlich strenger getadelt, weil er der einzige schwarze Junge in der Klasse ist.
Bei einem Schulausflug stehlen sich Paul und Johnny davon, fahren allein U-Bahn und erzählen sich begeistert von ihren Leidenschaften: Paul zeichnet gern, Johnny interessiert sich für die Raumfahrt. Als sie später mit einem Joint erwischt werden, eskaliert die Situation. Um ihren Sohn vor dem vermeintlich schlechten Einfluss zu bewahren, beschließt Pauls Mutter, ihn ebenfalls auf die versnobte Eliteschule zu schicken. Dort beginnt sich der Junge mühsam zu arrangieren, nicht immer ehrenhaft und bald auch auf Kosten der Freundschaft zu Johnny. Dieser landet auf der Flucht vor dem Jugendamt schließlich auf der Straße. Nur der alte Aaron ermahnt seinen Enkel, ein Mensch zu sein und nicht wegzusehen, wenn anderen Unrecht widerfährt.
Gray erzählt von diesen sozialen Verwerfungen aus kindlicher Perspektive. Es ist ein klassisches, bisweilen etwas sentimentales Erzählkino, das von der hochkarätigen Besetzung lebt und ohne postmoderne Spielereien auskommt. Mit persönlichem Blick und gewissem ironischem Witz inszeniert er eine Jugend in den frühen 80ern, die Kameramann Darius Khondji in herbstlich gedeckten Tönen einfängt. In ihrer skrupellosen Gier und ihrem politischen Reaktionismus erscheint diese Zeit in Grays Rückblick durchaus nachvollziehbar als Brutstätte des späteren Trumpismus. Ein Familiendrama, das im Kleinen spiegelt, wohin das ganze Land steuern wird.
Zeiten des Umbruchs, USA 2022 – Regie: James Gray; mit Michael Banks Repeta, Anne Hathaway, Anthony Hopkins, Jeremy Strong, Jaylin Webb; 106 Minuten