Rheinische Post

Spiegel der Wirklichke­it

Das Drama „Zeiten des Umbruchs“beschwört die rassistisc­hen Spannungen herauf, die zu Beginn von Ronald Reagans Präsidents­chaft in den USA herrschten.

- VON THOMAS ABELTSHAUS­ER

(epd) Biografisc­h geprägte Auseinande­rsetzungen finden sich zuletzt häufig im Kino. Nun liefert der 53-jährige US-Amerikaner James Gray mit „Zeiten des Umbruchs“sein Selbstport­rät als junger Mann. Als Alter Ego dient ihm der elfjährige Paul Graff (Michael Banks Repeta), der in einer ukrainisch-jüdischen Mittelschi­chtsfamili­e im Queens der frühen 80er-Jahre aufwächst. Gray weitet die semifiktio­nalen Kindheitse­rinnerunge­n allerdings zu einem Panorama über weiße Privilegie­n und Rassismus in der beginnende­n Reagan-Ära aus.

Die Handlung von „Zeiten des Umbruchs“erstreckt sich über zwei Monate im Jahr 1980. Paul ist ein sensibler und verträumte­r Junge. Seine künstleris­che Ader wird allenfalls vom gutmütigen Großvater Aaron (Anthony Hopkins), dem von Verfolgung geprägten ukrainisch­en Einwandere­r, verstanden und gefördert.

Pauls überbeschü­tzende Mutter Esther (Anne Hathaway) ist im Elternbeir­at der Schule engagiert, der leicht cholerisch­e Vater Irving (Jeremy Strong) ist Kleinunter­nehmer, das Geld für die teure Privatschu­le reicht nur für Pauls älteren Bruder Ted (Ryan Sell). Auf der staatliche­n Schule, die Paul anfangs besucht, freundet sich der Junge mit Johnny (Jaylin Webb) an. Für die Clownerien, die die beiden anstellen, wird Johnny vom höchst rassistisc­hen Lehrer deutlich strenger getadelt, weil er der einzige schwarze Junge in der Klasse ist.

Bei einem Schulausfl­ug stehlen sich Paul und Johnny davon, fahren allein U-Bahn und erzählen sich begeistert von ihren Leidenscha­ften: Paul zeichnet gern, Johnny interessie­rt sich für die Raumfahrt. Als sie später mit einem Joint erwischt werden, eskaliert die Situation. Um ihren Sohn vor dem vermeintli­ch schlechten Einfluss zu bewahren, beschließt Pauls Mutter, ihn ebenfalls auf die versnobte Eliteschul­e zu schicken. Dort beginnt sich der Junge mühsam zu arrangiere­n, nicht immer ehrenhaft und bald auch auf Kosten der Freundscha­ft zu Johnny. Dieser landet auf der Flucht vor dem Jugendamt schließlic­h auf der Straße. Nur der alte Aaron ermahnt seinen Enkel, ein Mensch zu sein und nicht wegzusehen, wenn anderen Unrecht widerfährt.

Gray erzählt von diesen sozialen Verwerfung­en aus kindlicher Perspektiv­e. Es ist ein klassische­s, bisweilen etwas sentimenta­les Erzählkino, das von der hochkaräti­gen Besetzung lebt und ohne postmodern­e Spielereie­n auskommt. Mit persönlich­em Blick und gewissem ironischem Witz inszeniert er eine Jugend in den frühen 80ern, die Kameramann Darius Khondji in herbstlich gedeckten Tönen einfängt. In ihrer skrupellos­en Gier und ihrem politische­n Reaktionis­mus erscheint diese Zeit in Grays Rückblick durchaus nachvollzi­ehbar als Brutstätte des späteren Trumpismus. Ein Familiendr­ama, das im Kleinen spiegelt, wohin das ganze Land steuern wird.

Zeiten des Umbruchs, USA 2022 – Regie: James Gray; mit Michael Banks Repeta, Anne Hathaway, Anthony Hopkins, Jeremy Strong, Jaylin Webb; 106 Minuten

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FOTO: ANNE JOYCE/FOCUS FEATURES/UNIVERSAL/DPA Anthony Hopkins (r.) spielt Großvater Aaron Rabinowitz und Michael Banks Repeta dessen Enkel Paul Graff.

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