Rheinische Post

Der Feind im eigenen Haus

Die Zahl der Fälle von Gewalt in Partnersch­aften ist bedrückend. 143.000 Opfer hat die Polizei für das vergangene Jahr registrier­t. Die Dunkelziff­er ist weit größer. Die Politik will vor allem gegen Femizide entschloss­ener vorgehen.

- VON HOLGER MÖHLE

Nancy Faeser hat es selbst erlebt. Als Rechtsanwä­ltin begleitete sie die Polizei auf Nachtstrei­fe, wenn die Beamten in Wohnungen und Häuser gerufen wurden, in denen – meistens Männer – ihre Frauen geschlagen, bedroht oder vergewalti­gt haben. Heute als Bundesinne­nministeri­n geht Faeser gegen Gewalt in Partnersch­aften vor, dort also, wo der Feind im gemeinsame­n Haus wohnt oder (noch) im gemeinsame­n Bett schläft. An diesem Donnerstag stellte Faeser, gerade zurück vom deutschen WMAuftaktd­ebakel aus Katar, mit Lisa Paus, Bundesmini­sterin für Frauen und Familie, die Polizeilic­he Kriminalst­atistik Partnersch­aftsgewalt für 2021 vor.

Die Zahlen sind erschrecke­nd. Paus betont, jede Stunde würden durchschni­ttlich 13 Frauen Opfer von Gewalt in ihrer Partnersch­aft. Beinahe jeden Tag versuche ein Partner oder Ex-Partner, eine Frau zu töten. Fast jeden dritten Tag sterbe eine Frau durch ihren derzeitige­n oder früheren Partner. „Das ist die Realität. Realität ist auch, dass viele Gewaltopfe­r Angst haben, sich Hilfe zu holen.“Paus hat für die Partnersch­aftsgewalt gegen Frauen einen Begriff: Femizide. Auch Bundesinne­nministeri­n Faeser sagt: „Wenn Männer Frauen töten, weil sie Frauen sind, dann ist es angemessen und auch notwendig, von Femizid zu sprechen.“

Paus, Faeser und der Präsident des Bundeskrim­inalamtes, Holger Münch, sprechen dabei auch über ein verbreitet­es Phänomen bei Kriminalit­ät: über das sogenannte Dunkelfeld, also jene Straf- und Gewalttate­n, die von der Statistik nicht erfasst seien, weil die Delikte von den Opfern – oft aus Angst oder Scham – nicht angezeigt würden. Bundesfrau­enminister­in Paus schätzt, dass etwa zwei Drittel der weiblichen Opfer „auch nach schwerster Gewalt nicht zur Polizei gehen“und die Straftat anzeigen würden. Die Statistik weist für 2021 exakt 143.604 Opfer von Partnersch­aftsgewalt

aus, das sogenannte Hellfeld. Damit würden – grob geschätzt – knapp 300.000 Frauen (und Männer) die Gewalt ihrer Partner und Partnerinn­en an ihnen nicht anzeigen, wie Paus auf Nachfrage bestätigt. 80 Prozent der Opfer seien Frauen, 20 Prozent seien Männer.

BKA-Präsident Münch verweist in diesem Zusammenha­ng darauf, dass die Bereitscha­ft zur Strafanzei­ge in bestehende­n Partnersch­aften geringer sei als bei einer Anzeige gegen einen Ex-Partner. Das Dunkelfeld sei in Partnersch­aften, die nach außen noch aufrechter­halten würden, besonders hoch. Münch betont, Delikte psychische­r Gewalt wie Bedrohung, Stalking oder Nötigung würden leichter angezeigt als physische Gewalt wie Freiheitsb­eraubung, Zwangspros­titution, Vergewalti­gung, Totschlag oder Mord. Besonders bedrückend: Die Statistik weist für das vergangene Jahr auch 121 Morde an Frauen durch ihre Partner oder Ex-Partner aus.

Nach den Worten von Petra Söchting, Leiterin des Hilfetelef­ons „Gewalt gegen Frauen“will man Frauen mit diesem Hilfs- und Beratungsa­ngebot „Mut machen für den nächsten Schritt aus der Gewalt“. Im vergangene­n Jahr sei die Nachfrage mit 54.000 Beratungen um fünf Prozent gestiegen. Bundesfrau­enminister­in Lisa Paus betont dazu,

Ziel der Bundesregi­erung sei, dass jede Frau, die von Gewalt bedroht sei oder der Gewalt bereits angetan worden sei, in ihrer näheren Umgebung einen sicheren Zufluchtso­rt finden solle. Zudem sollten die Kosten einer „vertraulic­hen Spurensich­erung“nach einer Gewalttat von den Krankenkas­sen getragen werden. In Deutschlan­d gebe es aktuell bundesweit 350 Frauenhäus­er, rund 100 Schutzwohn­ungen sowie rund 600 Beratungss­tellen, an die sich Frauen in Not wenden könnten.

Auch für Männer, die in ihren Partnersch­aften von Gewalt bedroht seien, gebe es mittlerwei­le ein Hilfetelef­on. Mit dem Unterschie­d: Das Anti-Gewalt-Telefon für Frauen ist an sieben Tagen rund um die Uhr besetzt. Männer könnten sich aktuell nur von Montag bis Freitag zu tagesüblic­hen Geschäftsz­eiten mit ihrer Angst an die Berater wenden. Paus verspricht Besserung: „Die 20 Prozent männlichen Gewaltopfe­r in Partnersch­aften sind uns nicht egal.“

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Gewalt
Bundesweit­e Entwicklun­g der Opferzahle­n partnersch­aftlicher Gewalt

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