Rheinische Post

Die Berserker der gehobenen Unterhaltu­ng

Das Kabarett-Duo Pigor und Eichhorn wütet derzeit intelligen­t und musikalisc­h im Kommödchen.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Wahrschein­lich ist Pigor ja ein bisschen wahnsinnig. Eichhorn natürlich auch. Also klug wahnsinnig. Angenehm verrückt. Und beide zusammen sind auf jeden Fall unfassbar – irgendwie. Die Könige der Kleinkunst und Applaus-Junkies, die Megastars des Kabaretts und Berserker der gehobenen Unterhaltu­ng gastieren gerade im Kommödchen. Doch eigentlich ist „gastieren“das falsche Wort, weil nach der coronabedi­ngten Bühnenabst­inenz die beiden eine Art Wiedergebu­rt feiern. So knallen sie auch gleich zum Auftakt den Fans ihren Existenzna­chweis vor den Latz: „Hallo, wir sind wieder da. Nach über einem Jahr. Fuck Corona. Das ist kein fucking Stream im Internet. Das ist Kabarett!“Im Klartext: „Kabarett, Kabarett, Kabarett – über alles“.

Schon dieses Intro atmet etwas von jener fröhlich ignoranten Selbstüber­schätzung, die die beiden durch den Abend trägt. Thomas Pigor singt und spielt manchmal auch Gitarre, und Benedikt am Klavier „muss begleiten“, wie es seit vielen Programmen heißt und inzwischen nicht mehr so wirklich stimmt. Denn Eichhorn ist gewisserma­ßen etwas erwachsene­r geworden und hat größere Redeanteil­e, sogar eigene Lieder bekommen. Eins davon ist die mit Sicherheit nicht ganz so authentisc­he Beschreibu­ng der eigenen Jugend, die nämlich eines höchstbega­bten Kindes, das in den Pausen lieber Mann und Bernhard (beide mit Vornamen Thomas) als irgendwelc­he Asterix-Comics gelesen hat und lieber Bach als die verhassten Musicals mit diesen Pseudo-Tenören hörte. Die Reaktionen der Schulkamer­aden seien dementspre­chend gewesen.

Und dann kommt es zu diesen magischen Momenten wie jetzt im Kommödchen, wenn Eichhorn den Buchtitel „Minima Moralia“ins Publikum brüllt und der halbe Saal (ohne vorherige Absprache) mit „Adorno“antwortet. Da bekommt man schon einen guten Eindruck davon, wer während der FußballWel­tmeistersc­haft so alles ins Kommödchen pilgert. Das Abendland scheint gerettet, jedenfalls für die zweieinhal­b Stunden des neuen Programms.

Ohne unterhaltu­ngsfrohe Menschen abzuschrec­ken: Pigor und Eichhorn sind die Intellektu­ellen unter Deutschlan­ds Kabarettis­ten, die Argumentat­ionsstrukt­uren eines Rhetorik-Buches zum Leitfaden des Abends machen und diese mit Schopenhau­ers rhetorisch­en Kniffen aus „Die Kunst, recht zu behalten“in Schach zu halten suchen.

Das ist hauchdünn vor Obersemina­r, allerdings einem durchgekna­llten. Schließlic­h wird traditione­ll viel musiziert, vom Hip-Hop bis zum Chanson, mit Pigors manchmal bittersüß schmeichel­nder, dann wieder hysterisch ätzender Stimme. Und halsbreche­rischen Versen und Zeilensprü­ngen, die genügend Stoff für ein weiteres Obersemina­r liefern würden.

Was den beiden so auf die Nerven geht? Selbstrede­nd jede Menge. Political Correctnes­s etwa (unter Eingeweiht­en „Pici“) wie auch der sprachlich­e Putzfimmel unserer Zeit. Wenn der Abend aber in alle Höhen und auf und davon zu schweben droht, landet er wohltuend auf dem Boden unserer Tatsachen. Zum Beispiel mit der Lösung der Jahrhunder­tdebatte des Genderns. Warum bedient man sich nicht einfach des „s“im norddeutsc­hen Platt?, fragen sie. Also geht man nicht zu Lehrerinne­n und Lehrern oder auch Lehrer*innen, sondern einfach zu den „Lehrers“. Gesagt, getan: Dieses „s“wird die Kommödchen-Zuschauer den Abend nicht mehr verlassen. Wie auch die schwächeln­de D-Seite auf der Gitarre, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Sollte man jedenfalls alles selbst erlebt haben – nur noch an diesem Freitag im Kommödchen möglich.

Kleiner Nachtrag: Zum Schluss sitzt dann Benedikt Eichhorn vor der Theke. Nicht aus Langeweile, Lust und Laune. Er verkauft ein paar CDs und das Buch „Volumen X“mit CD. Die müssen weg, sagt er. Kleinkunst eben. Hautnah.

Pigor und Eichhorn sind die Intellektu­ellen unter Deutschlan­ds Kabarettis­ten

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FOTO: THOMAS NITZ Nur noch an diesem Freitag im Kommödchen: das Duo Pigor und Eichhorn.

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