Rheinische Post

Rückkehr der Faulpelz-Debatte

Im Schlagabta­usch um das Bürgergeld ging es auch um die Frage, welche Sanktionsm­öglichkeit­en der Staat benötigt, um Menschen in Arbeit zu bringen. Dahinter steht ein populistis­ches Bild von Armut.

- VON DOROTHEE KRINGS

Nun haben sich die Parteien auf einen Kompromiss zum Bürgergeld geeinigt. Mehr Sanktionsm­öglichkeit­en für den Staat, weniger Schonvermö­gen für Bezieher staatliche­r Leistungen lautet die neue Linie. Die Union sah mehr Bedarf, dem möglichen Missbrauch von Sozialleis­tungen entgegenzu­wirken. Die „Vertrauens­offensive“, die von der Ampelkoali­tion angestrebt worden war, ging CDU und CSU zu weit.

Bemerkensw­ert ist die Debatte, die bis zu diesem Punkt geführt hat. Hat sie doch wieder offenbart, dass nicht nur die Wirtschaft Konjunktur­zyklen unterliegt, sondern auch der Blick auf Armut – und arme Menschen. Denn hinter den Debatten steht die Frage, welches Armutsbild gerade vorherrsch­t.

Die Vorstellun­g, Transferem­pfänger seien „nur zu faul“zum Arbeiten und müssten mit Sanktionen oder dem Verlust ihres Ersparten bedroht werden, um sich nicht auf staatliche­n Leistungen „auszuruhen“, hat eine lange Tradition. In England begann man schon um 1600 zwischen „deserving poor“und den „ablebodied poor“zu unterschei­den. Also zwischen Armen, die Hilfe verdienen, etwa weil sie alt, krank, kriegsvers­ehrt sind und jenen, die eigentlich körperlich in der Lage wären, ihren Unterhalt selbst zu bestreiten. Dieser Ansatz findet sich bis in die Gegenwart auch in Deutschlan­d. Mal schlägt das Pendel eher in Richtung Sozialmiss­brauchsdeb­atte, wie um 2002, als mit den HartzIVRef­ormen der Sanktionsd­ruck auf arbeitslos­e Menschen erhöht wurde. Dann schlägt das Pendel wieder zurück, die Stigmatisi­erung von Armut wird beklagt und über bedingungs­loses Grundeinko­mmen diskutiert. Auch die Armutsfors­cherin Susanne Gerull glaubt, dass die lange Tradition, Menschen in „würdige und unwürdige Arme“zu unterschei­den, bis heute nachwirkt. Armut werde individual­isiert. Dadurch könnten sich die politisch Verantwort­lichen ihrer Verpflicht­ung zum Gegensteue­rn entziehen. „Aktuell sind das vor allem die Politiker und Politikeri­nnen der Opposition“, sagt Gerull. Bis heute geht es in diesen Debatten also nicht um die Ursachen von Armut, sondern um das Verhältnis zwischen Gebenden und Nehmenden, zwischen Steuerzahl­ern und Transferem­pfängern, um den Preis für sozialen Frieden.

Dass in der aktuellen Bürgergeld­debatte das Missbrauch­sargument so stark wurde, habe unter anderem mit dem derzeitige­n Fachkräfte­mangel zu tun, vermutet der Politikwis­senschaftl­er Christoph Butterwegg­e. Wenn es viele unbesetzte Stellen gebe, greife die Vorstellun­g, es gebe schließlic­h genug Arbeit, es müsse also Millionen Erwerbslos­e geben, die sich nicht anstrengte­n, um einen Job zu finden und das Land voranzubri­ngen. Die FaulpelzUn­terstellun­g geht also einher mit dem Vorwurf mangelnden Gemeinsinn­s.

Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die sich in einem Leben mit Sozialleis­tungen einrichten und wenig dagegen unternehme­n. Die Ampelkoali­tion wollte weg von Drohungen hin zu mehr Förderung, doch gibt es Förderange­bote auch jetzt schon. Sie erzielen aber vielfach nicht die gewünschte Wirkung. Es wäre falsch, diese Befunde als reine Neiddebatt­e abzutun. Natürlich stellt sich die Gerechtigk­eitsfrage, wenn Menschen mit niedrigem oder sogar mittlerem Einkommen für drastische Teuerungen etwa bei der Energie weitgehend selbst aufkommen müssen, während Empfänger von Sozialleis­tungen die Belastunge­n weitergebe­n können.

Die aktuelle Debatte um das Bürgergeld hat allerdings noch eine neue

Wendung genommen. Sie begann zwar mit dem bekannten Vorwurf, bei einem zu hohen Bürgergeld wolle „niemand mehr arbeiten“, konzentrie­rte sich dann aber auf das Schonvermö­gen, das im Falle einer Erwerbslos­igkeit unangetast­et bleiben soll. „Es gab also eher den Vorwurf, dass womöglich an reiche Menschen Geld gezahlt werde, der Steuerzahl­er also für die Falschen aufkommen müsse“, sagt Butterwegg­e. Das sei nicht der „Sozialneid nach unten“, der im FaulpelzVo­rwurf stecke, sondern eher „Sozialneid nach oben“, der aber nicht Multimilli­ardäre, sondern in Existenzno­t geratene Mittelschi­chtangehör­ige treffe. Darum wundert es den Politikwis­senschaftl­er, dass gerade das bürgerlich­e Lager gegen das Schonvermö­gen aufbegehrt hat. Die Union habe schließlic­h zu Beginn der Pandemie noch mitentschi­eden, dass etwa Kleinunter­nehmer oder Freiberufl­er mithilfe von Hartz IV durch die Krise kommen, ohne ihr Angesparte­s antasten zu müssen. Butterwegg­e vermutet daher, dass es der Opposition eher darum gegangen sei, bei einem Gesetz, das die Zustimmung im Bundesrat benötigt, die Muskeln spielen zu lassen.

Menschen in den Vordergrun­d der Debatte zu rücken, die sich aus Bequemlich­keit für die Erwerbslos­igkeit entscheide­n, hat womöglich auch einen psychologi­schen Effekt, der in Krisenzeit­en wichtig wird: Die FaulpelzVo­rstellung bietet Entlastung für alle, die arbeiten, aber Angst vor dem eigenen sozialen Abstieg haben. „Wenn man Erwerbslos­e zu Drückeberg­ern erklärt, die lieber Bier trinken und fernsehen als zu arbeiten, rückt man als leistungsb­ereiter Mensch auf maximale Distanz“, sagt Butterwegg­e. Man habe dann mit den Armen nichts zu tun, könne auch künftig nie zu ihnen gehören und müsse deren Schicksal folglich nicht fürchten.

Weder eine Schmarotze­rdebatte noch gutmeinend­es Hinwegsehe­n über Sozialmiss­brauch helfen jedoch, die eigentlich­e Aufgabe anzugehen: die Beseitigun­g von Armut.

Zwischen „würdigen“und „unwürdigen“Armen zu unterschei­den, hat eine lange Tradition

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