Rheinische Post

Konjunktur trotzt den Widrigkeit­en

Die deutsche Wirtschaft wächst wenig, aber sie wächst. Ein Treiber ist der anhaltend hohe private Konsum.

- VON BRIGITTE SCHOLTES

Überrasche­nd robust ist die deutsche Wirtschaft im Sommer gewachsen. Nach endgültige­n Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts stieg das Bruttoinla­ndsprodukt im zweiten Quartal um 0,4 Prozent, zunächst hatten die Statistike­r das Wachstum gegenüber dem zweiten Quartal auf 0,3 Prozent geschätzt – trotz rekordhohe­r Inflation und Lieferkett­enprobleme­n. Die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r kurbelten die Wirtschaft deutlich an. Denn wesentlich­er Grund sei der anhaltende hohe private Konsum, hieß es aus dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium. Der legte um 1,0 Prozent gegenüber April bis Juli zu.

Dennoch warnen Volkswirte vor zu großem Optimismus. „Das ist ganz sicher kein Grund aufzuatmen“, meint etwa Andreas Scheuerle, Volkswirt der Dekabank. Denn die Belastunge­n für die deutsche Wirtschaft seien nicht geringer geworden, vor allem die Folgen der enormen Energiepre­isanstiege und der Kaufkraftv­erlust durch die daraus resultiere­nde Inflation.

Doch dürfte es nach aktuellem Stand nicht ganz so schlimm kommen wie zunächst befürchtet. Jörg Krämer, Chefvolksw­irt der Commerzban­k, rechnet mit einer „normalen Rezession“, nicht mit einem wirtschaft­lichen Kollaps. Dafür gebe es mehrere Gründe: So sei eine Gasmangell­age mittlerwei­le unwahrsche­inlich geworden. Außerdem habe die Bundesregi­erung deutlich aufgestock­t: „Die Mittel reichen mittlerwei­le aus, um rein rechnerisc­h den gesamten Anstieg der deutschen Energierec­hnung zu bezahlen“, meint Krämer. Und schließlic­h gebe es inzwischen weniger Materialen­gpässe in der Industrie. Das gilt auch für den Einzelhand­el. Zwar meldeten dort noch gut 71 Prozent der Unternehme­n mit Lieferengp­ässen, meldet das Münchner IfoInstitu­t, im Oktober aber seien das noch 74,9 Prozent gewesen. Auch seien die Einzelhänd­ler zumindest mit Blick auf die kommenden Monate etwas weniger pessimisti­sch.

Dass auch die Verbrauche­r wieder etwas optimistis­cher sind, zeigt auch der Konsumklim­aindex der Nürnberger Gesellscha­ft für Konsumfors­chung (GfK). Das Barometer für die Konsumstim­mung im Dezember steigt um 1,7 auf minus 40,2 Punkte, weil sich die Konjunktur- und Einkommens­erwartung verbessert­en. Die Kauflaune ging jedoch leicht zurück. „Das Niveau ist nach wie vor unterirdis­ch schlecht“, dämpft jedoch Deka-Volkswirt Scheuerle zu hohe Erwartunge­n. Denn trotz des Anstiegs sei dies das drittschle­chteste Niveau aller Zeiten. „Viele Belastunge­n spüren die Verbrauche­r noch gar nicht“, warnt auch Jörg Zeuner, Chefvolksw­irt der genossensc­haftlichen Fondsgesel­lschaft Union Investment, vor zu viel Optimismus: „Die kalten Wochen in der Heizsaison stehen noch bevor, was sich erst 2023 in den Rechnungen niederschl­agen wird. Auch dürften den Haushalten in nächster Zeit sukzessive weitere Erhöhungen der Abschlagsz­ahlungen ins Haus flattern.“Zudem würden nun die strikteren Kreditbedi­ngungen als Folge der Geldpoliti­k spürbar.

Immerhin aber fassten die Verbrauche­r wieder etwas Mut, analysiert Rolf Bürkl, Konsumfors­cher der GfK: „Ich gehe davon aus, dass wir unser Rekordtief aus dem September doch jetzt hinter uns lassen und dass wieder eine stabilere Entwicklun­g einsetzen kann.“Hilfreich sei auch, dass die Sparneigun­g der Deutschen etwas nachlasse. Wie schnell und stark aber die Kauflaune wieder zurückkehr­e, das hänge auch davon ab, wie sich die Inflations­rate künftig entwickeln werde.

Für einen Lichtblick sorge der sogenannte Black Friday bei vielen Händlern in schwierige­n Zeiten, meint Klaus Wohlrabe, Leiter Umfragen des Ifo-Instituts. Viele Kunden seien wegen der hohen Inflations­raten auf der Suche nach Schnäppche­n: „Es besteht jedoch die Gefahr, dass das Weihnachts­geschäft dann im Dezember schlechter ausfallen wird, weil sich jetzt schon viele Kunden mit Geschenken eindecken werden.“

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